»If I should fall from grace with god
where no doctor can relieve me
when I’m buried ’neath the sods
so the angels won’t receive me«
»Let me go boys, let me go boys
let me go down in the mud
where the rivers all run dry«
(aus dem Song "If I Should Fall From Grace With God", 1988)
Die Welt hat am vergangenen 30. November 2023 den irischen Musiker und Sänger Shane MacGowan verloren. Als der in England geborene Ire die oben stehenden Zeilen verfasste und erstmals sang, war er noch keine dreißig Jahre alt. Und seinerzeit gab es jede Menge – bis vor wenigen Tagen – nicht enden wollende Gerüchte, dass der Frontmann einen Todeswunsch habe und es mit seinem Lebensstil auch gezielt darauf anlegt, diesen in Erfüllung kommen zu lassen. Doch während die Geschichten über Unmengen an Alkohol und Drogen auch tatsächlich zutreffend waren, so war der ganze Rest kompletter Quatsch. Shane MacGowan liebte das Leben, liebte Musik, liebte gute Lyrik, liebte seine angebetete Victoria und nicht zuletzt liebte er ’sein' Irland. Selbstverständlich grundsätzlich und immer mit einem Drink in der Hand.
Es ist auch kein Geheimnis, dass man im Publikum manchmal erschrocken war, in welchem Zustand der Mann zu Beginn eines Konzertes auf die Bühne kam, eine richtig gute Show abgeliefert hat er dagegen (fast) immer. Und damit genug über dieses Thema, das von der weltweiten Presse aus purer Sensations-Geilheit im Prinzip bis zum Geht-nicht-mehr ausgepresst wurde! Selbst wenn Shane sich selbst nicht gescheut hat, das Thema zu verarbeiten:
»I’m the lowest of the low, I’m the sickest of the sick
they let me out the funny farm, just to put me in the nick«
»Then they let me out the hole, just to crush me on the dole
I’m the lowest of the low, a rockin' boppin' lunatic…«
(aus dem Song "Rock’n’Roll Paddy", 1997)
oder andere in Form seiner Solo-Band The Popes über einen anstehenden, hochdotierten Auftritt in den USA:
»We all meet up in Billy’s pub to talk about the show
Shane falls off the barstool, breaks his fucking hip«
»No more, I can’t take it, I can’t take no more
New York’s out the window, singer’s on the floor
No more, I can’t take it, gonna make a stand
Jesus Christ it’s a hard old life playing in a rock and roll band«
(aus dem Song "Rock’n’Roll Band", 2000)
Shane MacGowan war ein genialer Songwriter. Punkt. Ausrufezeichen! Und wenn selbst solche Koryphäen wie Bob Dylan oder Bruce Springsteen (O-Ton: »Über Shane MacGowan werden noch in einhundert Jahren Songs geschrieben werden!«) seit Jahrzehnten in höchsten Tönen von dem Iren reden und schwadronieren, dann konnte und kann der Verfasser dieser Zeilen mit seiner Meinung nicht ganz falsch liegen. Hört man MacGowan zu und versteht (unabhängig von der Sprache) worum es geht, dann berühren einen nicht nur die Texte, sondern auch seine Stimme bzw. sein unglaublich emotionaler Gesang. Natürlich ging es oft auch laut und aggressiver zur Sache ("The Sick Bed Of Cuchulainn", "Waxie’s Dargle" oder "That Woman’s Got Me Drinking", um nur mal drei Beispiele zu nennen), auf langsameren Stücken wie "The Broad Majestic Shannon", "Lullaby Of London" oder "The Song With No Name" und vielen anderen präsentierte Shane jedoch seine pure Seele auf dem Silber-Tablett. Und das so intensiv, offen und ohne Selbstschutz, das zumindest dem Rezensenten auch heute noch eine Gänsehaut über den Rücken läuft.
Shane MacGowan war kein Star im weitläufigen Sinne, vielmehr ist er immer der geblieben, der er vor den ersten verkauften Alben war. Was ich an dieser Stelle zweifelsfrei nach mehreren persönlichen Begegnungen (am eindrucksvollsten wahrscheinlich eine gemeinsame nächtliche Taxifahrt durch Dublin und weitere Konfusionen) so stehen lassen kann.
Vor fast genau 16 Jahren gratulierten wir Shane MacGowan noch mit der Überschrift Totgesagte leben länger zum 50. Geburtstag. Und selbst danach ging es noch anderthalb Jahrzehnte für ihn weiter. Darauf, wie er bei seinem Lebensstil so alt werden konnte, antwortete er bereits vor geraumer Zeit: »Genieß' das Leben! Mach' das, was du willst und nicht, was dir irgendjemand sagt, das du tun sollst!«
Wenn man die frühe Zeit mit den Nipple Errectors bzw. Nips mal weglässt, hat der gute Shane lediglich fünf Studioalben mit The Pogues und zwei unter eigenem Namen hinterlassen. Das darauf enthaltene Material ist jedoch so nachhaltig, dass es uns glücklicherweise für immer erhalten bleiben und erfüllen wird. Shane MacGowans sterbliche Hülle ist gegangen, befindet sich nun aber ganz sicher an einem seiner liebtsten Orte.
»So I walked as day was dawning
where small birds sang and leaves were falling
where we once watched the row boats landing
by the broad majestic Shannon«
(aus dem Song "The Broad Majestic Shannon", 1988)
Rest in peace, Shane, wir werden dich nie vergessen!
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