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I’m ready, my lord – Zum Tod Leonard Cohens

Charlie Colin (Ex-Train) im Mai 2024 verstorben 9. Mai 2024 verstorben

Leonard Norman Cohen

(21. September 1934 – 7. November 2016)

»Hineni, hineni
I’m ready, my lord«

 


Das hebräische 'Hineni' steht für 'Hier bin ich'. Der Rest ist selbsterklärend. Aus tiefster Tiefe rollt dieses »I’m ready, my lord« in "You Want It Darker", dem letzten Werk des kanadischen Singer/Songwriters. Abgrundtief. Dunkel. Noch dunkler. Aber gleichzeitig auch angekommen und irgendwie versöhnt, zumindest das Unausweichliche akzeptierend. Nicht dass der Songtext insgesamt milde wäre, es geht mir nur um den Vortrag dieser Zeilen. Die Stimmung ist so ganz anders als das "Hallelujah" in den Live-Aufnahmen aus Dublin. Da hat er gerungen und gehadert – möglicherweise um die Zeit, die er noch brauchte, um sein letztes Album fertigzustellen. Schon bei der relativ überraschenden Ankündigung im August hatte ich so ein komisches Gefühl. Nicht nur, weil Leonard Cohen ja bereits ein sehr respektables Alter erreicht hatte, nicht nur weil das Jahr 2016 für die Musikwelt eines voller schwerer Verluste war. Auch nicht, weil ganz kurz zuvor Marianne Ihlen verstorben war – die Frau, die in "So Long, Marianne" verewigt ist. Ich musste an David Bowie und sein "Blackstar" denken – warum auch immer.

Leonard Cohen übt auf mich schon lange eine seltsame Faszination aus. Nicht dass ich sein Werk wirklich gut und intensiv kennen würde. Denn trotz dieser Faszination schrecke ich vor manchen seiner Alben immer wieder zurück. Natürlich, "Suzanne" und "So Long Marianne" gingen sicher an niemandem vorbei, der irgendwann in den letzten 40 Jahren mal ein Radio laufen ließ. Was für eine Stimme… und was für eine Stimmung.

Der Leonard Cohen der ersten Jahre verkörpert für mich in der Rückschau sehr intensive, nicht nur positive Gefühle. Schon auf seinem Debüt "Songs Of Leonard Cohen" herrschen sie vor: Die Melancholie und Sehnsucht in "Suzanne", diese vielschichtige Liebeserklärung an eine geheimnisvolle Frau, die gleichzeitig eine solche Traurigkeit in sich trägt. Die unerfüllte Sehnsucht in "Winter Lady", die Entfremdung im "Stranger Song" und immer wieder das Abschiednehmen, Loslassen wie in "So Long, Marianne" oder "Hey, That’s No Way To Say Goodbye". Auch die gesellschaftskritischen oder persönlichen Themen, wie beispielsweise "Story Of Isaac" oder "Bird On A Wire" auf dem zweiten Album "Songs From A Room" tragen so viel Schwermut in sich, dass ich sie anfangs nur sparsam dosiert an mich ranlassen konnte. Die große Gefühlsachterbahn startet auf "Songs Of Love And Hate". Zwischen Schwermut und Verzweiflung mischt sich bitterer Zynismus, beispielsweise in "Dress Rehearsal Rag" oder "Diamonds In The Mine". "Famous Blue Raincoat" ist der wahrscheinlich bekannteste Song dieses Albums. Er wirkt so zart und zerbrechlich, dass er mir einen dicken fetten Kloß im Hals beschert und Pipi in die Augen treibt. Ähnlich von der Stimmung her ist "Joan Of Arc", diese langsame und so gefühlvolle Ballade, bei der Cohen ganz sicher nicht (nur) die große französische Freiheitskämpferin im Sinn hatte.

Wenn ich je auf die Idee käme, am Rand eines Hochhausdaches zu stehen und noch den letzten kleinen Kick zum Sprung bräuchte, dann wäre dafür vermutlich einer der Songs vom "The Future"-Album gut geeignet. "Anthem" oder "The Future", ja selbst "Waiting For A Miracle" ziehen mich mindestens 10.000 Meter in die Tiefe. In dunkelste Abgründe, aus denen es kein Entrinnen gibt. Und doch bleibt da diese Faszination. Erste direkte Begegnungen mit seiner Musik dürfte ich zunächst in den 80er-Jahren gehabt haben, "First We Take Manhattan" und "Hallelujah" fallen mir dazu ein. Selbstschutz verhinderte das zu tiefe Eintauchen in den Cohen-Kosmos, denn gerade zu dieser Zeit war sein Auftreten eher kalt und depressiv. Die 'Light-Version' in Form der Jennifer Warnes Interpretationen waren meine erste intensivere Verbindung zu seinem Werk. Abgemildert durch Jennifers Vortrag konnten seine Songs ihre Wirkung in homöopathischer Dosis entfalten. Jahre später hielt dann das "Greatest Hits"-Album Einzug, das durch die Zusammenstellung ziemlich weichgespült und verträglich war. Die regulären Alben waren mir lange Zeit zu intensiv. Die Düsternis in seinen Songs war dennoch anziehend und abstoßend zugleich. Es wurde still um Leonard Cohen, der sich Mitte der 90er in ein buddhistisches Kloster in den Bergen bei Los Angeles zurückzog und ich muss gestehen, die Veröffentlichungen in den 2000er Jahren gingen an mir ziemlich vorbei.

Bis dann die oben bereits angesprochenen Dublin-Aufnahmen von 2014 erschienen. Sie zeigten einen Leonard Cohen, der mir im Alter so gut gefiel wie nie zuvor. Es war, als hätten seine Songs schon immer darauf gewartet, so vorgetragen zu werden. Und mit "You Want It Darker" ist es ihm gelungen, noch ein Sahnehäubchen auf dieses Lebenswerk draufzusetzen. So sehr ihm noch einige Jahre zu gönnen gewesen wären, so tröstlich, dass er wenigstens das noch vollenden und in diesem Gefühl gehen konnte. Ruhe in Frieden, Leonard!

»Hineni, hineni
I’m ready, my lord«

Über den Autor

Sabine Feickert

Hauptgenres: Rock, Deutschrock, Mittelalter, 'leise Töne'
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