Die meisten Musik-Fans könnten eventuell an den Riesen-Hit "Eisbär" aus dem Jahr 1981 denken, wenn sie den Namen der Rock-Band Interzone aus Berlin hören. Auch der Verfasser dieser Zeilen hatte sich bei der Vorbereitung auf dieses Review wohl gedanklich in jene Richtung bewegt (und ist für die erste Fassung auch dabei geblieben). Wie viele unserer Leser weiß er es natürlich besser, weiß, dass "Eisbär" selbstverständlich ein Titel der Schweizer Band Grauzone war. Hier soll es allerdings tatsächlich um die aus Berlin stammende Band Interzone gehen, die es Zeit ihres Bestehens leider nur auf drei Alben brachte. Aber halt, davor gab es tatsächlich auch schon eine – zugegebenermaßen bis in diesem Herbst 2019 noch nie veröffentlichte – Scheibe. Für diese war im Jahr 1979 eigentlich schon alles so gut wie in trockenen Tüchern, bis der Combo ihre Texte (bzw. deren Verfasser) einen gewaltigen Strich durch die Rechnung machten. Hintergrund war, dass der Frontmann Heiner Pudelko damals ziemlich begeistert von dem Dichter Wolf Wondratschek bzw. dessen Buch "Chuck’s Zimmer" war und dessen Poesie dazu verwendete, die Songtexte für Interzone zusammenzubasteln. Letzten Endes war es dann aber so, dass Wondratschek die Zustimmung zur Verwendung seiner gedichteten Worte verweigerte. Damit war die Scheibe gestorben und es dauerte nochmal zwei Jahre, bis die Band ins große Rampenlicht trat.
Nun, Interzone ist schon lange Geschichte und leider verstarb auch der Frontmann Heiner Pudelko bereits vor 24 Jahren. Plötzlich hat sich aber doch etwas bewegt, die alten Aufnahmen für das eigentliche Debütalbum wurden gesichtet und vierzig Jahre später gab nun auch der Dichter seine Zustimmung zur Veröffentlichung. Gut für alle Fans sowie diejenigen, die es noch werden wollen. Nun sollte man allerdings nicht den Fehler machen, Interzone zur Neuen Deutschen Welle (NDW) zu zählen, zu der die Combo aus der Hauptstadt ohnehin nie zu zählen war. Dies macht dann auch direkt der Opener "Cafe Capri" klar, der sich als astreiner Rocker mit jeder Menge Bumms und so geradeaus wie der Papst entpuppt. Die Aufmerksamkeit wird recht schnell auf die extrovertierte und sehr eigene Stimme Pudelkos gezogen. Alleine damit hat die Band bereits das 1:0 erzielt und kann ihrer Kreativität nun vollends freien Auslauf gewähren.
Zum Beispiel mit "Liebeslied", einem lupenreinen Blues, der in allererster Linie wieder vom Gesang dominiert wird. Aber was bei diesem zweiten Stück ebenfalls bereits klar wird, ist, dass sich die Vocals des Frontmanns gesanglich durchaus auch mal in Regionen vorwagen, die man mögen muss bzw. die nicht jede/r mögen wird. Einzigartig sind sie, mit heller Stimme intoniert, fordernd und nicht zulassend, sich ihnen wirklich entziehen zu können. Dem Verfasser dieser Zeilen gefällt diese Originalität, selbst wenn es bei manchen Tracks auch mal ziemlich schrill werden kann. Die von Wolf Wondratschek übernommenen Lyrics erzählen vom Leben auf der Straße, sozusagen dem etwas abgedrehteren ganz normalen Wahnsinn. Wenn man dazu Songtitel wie "Apartment 302", "Wartehalle 9", "Letzte Ausfahrt" oder auch "Henry Miller geht wieder auf den Strich" nimmt, dann liegt der Verdacht nahe, dass Wondratschek ein großer Freund amerikanischer 'Helden' wie Hubert Selby, Charles Bukowski oder der im letzten Songtitel genannte Schriftsteller gewesen sein muss.
Aber Interzone hatten nicht nur Rock und Blues auf der Pfanne, sondern konnten in ihren Tracks durchaus auch mal eine alte Tanzhaus-Nummer oder etwas balladiöses zum Piano zocken. Letzten Endes ist diese Scheibe eine richtig coole Entdeckung und zumindest für die Fans der Band ein echter Zugewinn. Mehrere Todesfälle aus dem direkten Umfeld machten der Combo nach nur drei Alben ("Interzone" von 1981, "Aus Liebe" erschien 1982 und schließlich "Das süße Leben"aus dem Jahr 1985) schließlich den Gar aus, von dem Sänger Heiner Pudelko erschienen (neben vielen anderen kleinen Projekten) noch die Soloalben "Mein Schatz" (1988) sowie "Gloria" (1991), bis bei ihm 1993 ein Gehirntumor diagnostiziert wurde. Pudelko arbeitete bis zum Schluss an verschiedenen Produktionen weiter, bis er dem Krebs schließlich am 11. Januar 1995 erlag.
Line-up Interzone:
Heiner Pudelko (harmonica, lead vocals)
Leo Lehr (guitars, background vocals)
Hans Wallbaum (drums)
Ralf 'Trotter' Schmidt (bass)
Mario 'Bibi' Schulz (guitars)
Aki Furi (keyboards, B 3)
Tracklist "Letzte Ausfahrt":
- Cafe Capri
- Liebeslied
- Das alte, sentimentale Gefühl
- R&R Freak
- Gizeh
- Picknick auf einer Blutfontäne
- Letzte Ausfahrt
- The Ticket That Exploded
- Henry Miller geht wieder auf den Strich
- Supergirl
- Wartehalle 9
- Apartment 302
Gesamtspielzeit: 37:00, Erscheinungsjahr: 2019 (1979)
4 Kommentare
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Tom
11. Februar 2020 um 16:49 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Der Eisbär war schon ein Griff in die Kiste, aber die hunderttausendfach wiederholte Geschichte, Wondratschek hätte die Texte nicht zugelassen und damit das Album blockiert greifen einfach nicht, denn mit "liebeslied" kam ein echter Wondratschek auf das erste Album von Interzone. Wenn die doch angeblich 40 Jahre keinen Kontakt hatten, wie gingen denn dann die Gema-Gelder für Textdichter an den Wolf?
Glaubt doch nicht alle diese Geschichten der Plattenfirmen, googelt fünf Minuten bevor ihr euch Journalist oder was auch immer nennt. Und schaut mal was es auch zur generellen Weigerung von Wondratschek zu Tonfassungen seiner Gedichte gibt, die eben auch nicht stimmt: Verschiedene seiner Texte wurden von der deutschen Bluesrockband Interzone und deren Sänger Heiner Pudelko vertont. Auf Tonträger sind erschienen Liebeslied und Adam jr. 1982 erschien die LP Complicated Ladies, auf der Esther Ofarim vier Songs von Wolf Wondratschek, vertont von Eberhard Schoener, singt. De-Phazz-Stimme Barbara Lahr bediente sich 2002 aus dem Band Das leise Lachen am Ohr eines andern und verwirklichte ein ganzes Album mit englischen Übersetzungen bislang stummer Lieder. https://www.wikiwand.com/de/Wolf_Wondratschek
Das ist doch alles ein Hype um ein altes Album, das eben auch wirklich kaum Höhepunkte bietet. Auch die Entschuldigung, es sein nur 8-Spur ist doch Unfug, denn die Beatles arbeiteten zum Anfang mit 4-Spur. Plattenfirma findet Mist im Keller, ein PR-Mann wird engagiert, jetzt wird aus Mist zumindest Streaming-Kupfer…. so geht das, hat mitMusik, Musikgeschichte und wichtig nix zu tun. Damals hat das aus Qualitätsgründen wohl keiner bringen wollen – und ja, es klingt überwiegend so, als wenn eine Schülerband Rolling Stones übt und einer dazu Gedichte schreit. Die waren noch nicht so weit, das erste richtige Album dann schon, aber für den großen Wurf hat es nicht gereicht, aber Schuld war nie Wondratschek….
mk
12. Februar 2020 um 21:16 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hi Tom,
vielen Dank für deine netten Worten und die tatsächlich erhellenden Informationen. Ja, die Sache mit dem "Eisbär" war ein Griff ins Klo, danke, dass du mich daran erinnert hast. Was aber noch lange kein Grund dafür ist, in deinem Kommentar persönlich zu werden, was ich hier für meinen Teil (lediglich aus Gründen des guten Geschmacks) vermeiden werde.
Und nur am Rande: Sei versichert, dass wir ganz sicher nicht "…alle diese Geschichten der Plattenfirmen…" glauben, aber wenn "…diese hunderttausendfach wiederholte Geschichte…" sogar auf der offiziellen Website von Heiner Pudelko und Interzone hinterlegt (und falsch) ist, dann haben wir offensichtlich nur noch die Wahl, uns ab jetzt entweder vor jedem Review ins Nirvana zu recherchieren oder eben doch den Angaben der beteiligten Musiker Glauben zu schenken. Und mit Letzterem sind wir bis jetzt immer sehr gut gefahren.
Aber wie dem auch sei, die Homepage der Band hat ihre Wahrheit, Wondratscheck wird ganz bestimmt seine Wahrheit haben und du hast deine (die du ja ausführlich mitgeteilt hast). Und bezüglich der Qualität der Musik auf "Letzte Ausfahrt" kann sich ja jeder selbst ein Urteil bilden.
Nichts für ungut,
Markus
Carlo LF
19. November 2019 um 16:30 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Oh, das ist eine kleine Verwechslung. "Eisbär" war von der Schweizer Band "Grauzone".
Markus
19. November 2019 um 19:35 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Uuuuuuh, Carlo, da hast du mich allerdings eiskalt erwischt… Treffer und versenkt. Keine Ahnung, wie ich diese beiden Bands durcheinander bringen konnte, wahrscheinlich wg. der '…zone' im Namen und weil es von den beiden Stimmen sehr gut hingekommen wäre… trotzdem ein dicker Faux-pas, der nicht passieren sollte und darf.
Vielen Dank für den Hinweis, ich werd' das jetzt direkt umschreiben!
Markus