»Große Güte! Kollege Markus meinte im April dieses Jahres: »…hat man hier eine knapp vierzigminütige Reise an den Rand des Wahnsinns und zurück vor sich…«
Das Zitat stammt von mir selbst und aus meinem Review zu Unforgettable Lost And Unreleased der Italiener Inutili vor etwa neun Jahren. Markus selbst rezensierte ein halbes Jahr zuvor das Album Music To Watch The Clouds On A Sunny Day und schrieb in seinem Artikel so Sachen wie »Nicht unbedingt was für schwache Nerven, im Gegenzug aber auch sehr intensiv und mitreißend«.
Ich selbst nochmal: »Die beiden Kater sind während des ersten Hördurchgangs verschwunden. Einfach nicht mehr da. Menschen sind ebenfalls nicht in der Nähe«. Ich erinnere mich, es war schon eine musikalische Herausforderung, denn im weiten Mantel der Psychedelic gibt es auch Taschen, die nicht so leicht zugänglich sind.«
Nun ja, dieser trübe und verregnete Sonntagmorgen passt für ein paar Hördurchgänge. Von den beiden erwähnten Katern ist einer bereits über die Regenbogenbrücke gegangen, der andere leicht dement und Musik stört ihn schon lange nicht mehr. Da ich dieses Wochenende zudem Strohwitwer bin, muss ich also auf niemanden Rücksicht nehmen und kann "A Love Supreme" richtig brummen lassen. Und nein, die Südeuropäer covern nicht John Coltrane, das wäre zu einfach und warum sie ihr neues und fünftes Werk so benannt haben, kann ich nicht sagen.
Überhaupt ist kaum Information über Inutili vorhanden. Keine mehr oder weniger aussagekräftigen Werbetexte von Label oder Promoter, auch die Bandpräsenzen geben nichts her, sodass man sich in der Tat alleine auf die Musik konzentrieren kann. Das wäre analog auch mal eine Idee für den Restaurantbesuch – keine was auch immer suggerierende Speisekarte, sondern einfach den Koch machen lassen, die Speisen auf dem Teller untersuchen und testen und dann urteilen. Alles ohne Ablenkung. Was die Weinbegleitung zum Essen angeht haben wir keinen Amarone aus Valpolicella im Glas, sondern eher einen guten und ehrlichen Hauswein aus der rauen Rùfina.
Die Band selbst sagt in einem kurzen Statement, dass "A Love Supreme" einfach durch freies und ungezwungenes Jammen im Proberaum entstanden ist. Es wurde nichts geplant oder ausgefeilt, »just a holy respect for music without schemes«. Die beiden oben erwähnten Alben habe ich nicht mehr im Ohr und will sie auch nicht für einen Vergleich hervorkramen. Was aber auffällt ist, dass "I’m On A Plane" ohne Probleme den Weg in die Ohren findet. Fast Desert Rock-mäßig schrammelt die leicht verzerrte Gitarre auch mit leichten Stoner-Anleihen durch die Anfangsminute, eine verfremdete Stimme sagt Unverständliches und dann mischt sich ein psychedelisches Klangsammelsurium unter. Kaum, dass man sich eingehört hat, ist die Nummer auch schon vorbei. Generell ist das komplette Album mit etwas über 39 Minuten für das Genre etwas kurz geraten.
Wer den Namen des zweiten Stückes nicht zuordnen kann, wird mit der Musik auch recht wenig anzufangen wissen. Hier ziehen die Jungs in zwölfeinhalb Minuten alle Register und spätestens hier entscheidet sich, ob der Player weiterläuft, oder ob die Stopp-Taste gedrückt wird. Sie wird natürlich nicht bemüht, denn Inutili zelebrieren diesen Jam; fast doomig, zäh wie heißer Teer, bedacht und ohne Eile ziehen die Schwaden dieser Nummer durch den Raum. Gäbe es ein Buch, dass alle Register, die ein Psychedeliker ziehen kann auflistet, die Italiener hätten es gelesen. Klingt es anfangs fast wie eine Szene aus Pink Floyds "Pompeii"-Kosmos, so wird im weiteren Verlauf der 'King' an die Seite der Queen geholt und ein Trip beginnt, der sich im weiteren Verlauf in alle möglichen Richtungen ausdehnt, ja erst einmal zerbricht, so als ob jemand langsam die Geschwindigkeit des Plattentellers herunterregelt, um alsbald neu zu starten und das Tempo anzuziehen und man muss irgendwann aufpassen, dass einem der rote Faden nicht reißt. Aber solche Musik hat es an sich, dass man mit wiederholtem Hören trittsicher wird und trotzdem immer wieder neue Ecken entdeckt.
"Walking On Your Lips" klingt nach 1960er Psychedelic. Fast poppig schnell und genial rhythmisch poltert der Dreieinhalbminüter aus den Boxen und wenn die Gitarre per Wah Wah schreit, ist es Zeit, die Lavalampe anzuschalten. "DADADA" dagegen ist erst einmal wieder zu entknoten und man wäre gerne Mäuschen gewesen, da im Proberaum beim Jammen. Ich denke, die Musiker hatten Spaß dabei, als sie sicherlich auch überlegten, wie das freie Spiel bei den späteren Hörern ankommen wird. Man sollte diese Nummer oft hören, wenn man sie verstehen will. Am besten ist es, sich bei jedem Durchgang auf ein Instrument bzw. auf dessen 'Weg' durch die Minuten zu fokussieren. Danach die nächsten Spiele ins Auge bzw. Ohr fassen und letztendlich das Ganze zusammen probieren. Manch einer wird sich jetzt fragen, was das mit Musik hören zu tun hat. Viel, kann ich da nur sagen – sofern man seinen Tag nicht mit Mainstreamradio beginnt und ein offenes Ohr und Teller ohne Ränder hat.
Der Titeltrack ist mit fünfzehneinhalb Minuten wieder genremäßig getimt und im Aufbau spannend gehalten. Die Musiker hatten bei ihrem Spiel alle Zeit der Welt und konnten sich reinfinden. Die verzerrten Vocals flirren durch den Äther, das Schlagzeug rollt rhythmische Wellen in den Raum und die Saiten schwingen über allem. Dunkel und tief die einen und sphärisch die anderen. Leichte Soli markieren in der Ferne fast einen Ereignishorizont und immer wieder zieht sich ein wenig elektronische Zutat durch die vor sich hin mäandernde Psycho-Stoner-Suppe.
Was den Synthesizer betrifft, klärt das Line-up auf, indem es Francesco Gaspari als Gastmusiker nennt. Ansonsten ist mir aufgefallen, dass Danilo di Francesco wohl nicht mehr an Bord ist, zumindest ist er bei dieser Produktion nicht mehr dabei.
Ja, Inutili ist nicht massenkompatibel, aber für Freunde dieser Musikgattung eine Empfehlung. Gerade weil man die Italiener schwerlich auf den bekannten Speiskarten findet und somit viel Spaß und Freude beim Entdecken garantiert sein wird. Warum Inutili auf deutsch nutzlos bedeutet, kann nur ein sprachlicher Gag der Männer aus den Abruzzen sein.
Line-up Inutili:
Alessandro Antinori (bass, guitar)
Pietro Calvarese (guitar, bass)
Giancarlo di Marco (guitar, bass)
Lorenzp Mazzaufo (drums, percusiion, voice)
Special Guest:
Francesco Gaspari (synthesizer, programming)
Tracklist "A Love Supreme":
- I’m On Plane (2:56)
- Queen Crimson (12:36)
- Walking On Your Lips (3:33)
- DADADA (4:45)
- A Love Supreme (15:35)
Gesamtspielzeit: 39:23, Erscheinungsjahr: 2023
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