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Isildurs Bane & Peter Hammill / In Amazonia

Isildurs Bane & Peter Hammill / In Amazonia

In Amazonia – paradiesisch gut!

Das ist ein schöner & schwerer Brocken, den ich hier zum Einstand bekommen habe. Eine ganz famose CD; eine für die Ewigkeit, für die Insel, zum richtig Zuhören, zum Analysieren und somit auch eine für alle Musiklehrer der weiterführenden Schulen.

Allerdings mit der Einschränkung, die für alle Peter Hammill-Werke gilt: die Stimme sollte Mann/Frau mögen, sonst ist es schlecht. Auf diesem Album gibt es Peter Hammill in Bestform, und das bedeutet eine Gesangsleistung in feinster Solo- UND Van Der Graaf Generator-Manier. Seine wehklagende Stimme, die gelegentlichen 'Überschläge', das zerbrechliche Element und die Suche nach dem nächsten schrägen Akkord sollte der Hörer mögen. Leider reduziert das den potenziellen Hörerkreis, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Dieses Album ist ein Treffer für alle Peter Hammill-Fans, alle Van Der Graaf Generator-Fans und natürlich die von Isildurs Bane. Dieser Personenkreis kann bedenkenlos zuschlagen, auch wenn sich in den unendlichen Mengen von Veröffentlichungen vermeintlich weniger schöne Exemplare befinden. Darüber hinaus sei dieses Album denjenigen empfohlen, die generell ein Faible für die nicht so eingängige Radiomusik haben. Ob nun Porcupine Tree– bzw. Steven Wilson-Hörer, 70er-Jahre-Prog-Fans oder auch Grenzgänger aus dem Jazz könnten hier große Freude erfahren. Ach ja, und natürlich alle, die Mike Oldfields umstrittenstes Werk "Amarok" mögen.

Vor der Musik ist die Idee. Wie kam es zu der Zusammenarbeit der Schweden mit der schon über 70 Jahre alten Legende? Isildurs Bane veranstalten regelmäßig eine EXPO, zu der Musiker aus aller Welt eingeladen werden. Dort wird eine Woche lang intensiv gearbeitet und am Ende steht ein, im wahrsten Sinne des Wortes, einzigartiges Konzert. Im Jahr 2017 war Peter Hammill Gast in dieser Woche und hinterließ bei IB-Mastermind Mats Johansson einen derart nachhaltigen Eindruck, dass er ihn auf eine Zusammenarbeit für eine ganze CD ansprach. PH war aufgrund des Konzerterlebnisses von 2017 sehr angetan von der Idee und auch von den überreichten Musikdateien, sodass er zusagte. Besonders gefallen hat ihm dabei, dass trotz der schon fortgeschrittenen Demos nicht auf den ersten Blick erkennbar war, wie Gesangslage oder Refrains einzubauen waren. Auf dieser Basis fand dann ein reger Austausch mit vielen Änderungen, Diskussionen und überraschenden Ideen statt. Mats Johansson zeigt sich begeistert von der Arbeit mit Peter Hammill: »Ich konnte experimentieren mit Rhythmus, Akkorden, Keyboards und auch atonalen Abschnitten. Nichts schien PH aus der Fassung zu bringen und er schickte stets einen schnellen und oft überraschenden Part zurück«. Mehr zu diesem durchaus spannenden Entstehungsprozess werden wir vielleicht mal mit Mats Johansson besprechen.

Und die Musik? Das Beste Van Der Graaf Generator-Album seit 40 Jahren? Das beste Isildurs Bane-Album? Ein Blick auf das Line-up verspricht Abwechslung, und die ist definitiv vorhanden. Kein schneidendes Saxophon und keine röhrende Hammond sorgen für den respektvollen Abstand zum typischen VDGG-Sound. Und doch könnte der Opener "Before You Know It" auch von "La Rossa" oder "The World Record" stammen. Ein herrliches mit Sound gefülltes Intro, welches einem mit Blick auf das Cover gleich zeigt wo man sich befindet. Wunderbar durchkomponiert und eine schöne, schräge Gesangslinie gepaart mit dramatischer Stimmung und anschwellender Dynamik. Dieser Track gibt die Richtung des Albums prima vor und ist ein schöner Anspieltipp. Nicht wundern, wenn einen das Album dann nicht mehr loslässt. Ein schon fast poppiges, grooviges Stück schließt sich mit "Under The Current" an. Chamber Rock vom Feinsten mit einer großen Klangvielfalt. Dazu mal gehaucht und mal geflüstert die Stimme von Peter Hammill – Gänsehaut.

Den Abschluß von Seite A – ja, so will es das Cover mitteilen – bildet das wohl skurrilste Stück des Albums: "Aguirre". Ein schönes, verstecktes Leitmotiv, welches dann im Mittelteil in einen sehr vertrackten rhythmischen Teil mündet. Diese Passage ist die wohl größte Annäherung an VDGG, clever gemacht. Sehr proggig ist die Eröffnung der zweiten Seite, "This Is Where?". Feine Keyboards, Streicher und, wie fast fortwährend auf dem Album, eine exzellente und komplexe Rhythmik, die zu begeistern weiß. Sounds aller Art spielen ebenso auf den Stücken eine große Rolle. Da überrascht dann das vermeintlich recht einfach Klavierintro zu "The Day is Done". Doch schon nach knappen 1:30 taucht diese wunderschöne, dramatische Akkordfolge auf, die sich Peter Hammill natürlich nicht entgehen lässt. Man ahnt schon beim ersten Hördurchgang, hier kommt ein harmonisches Highlight. Spannung, Dramatik und Dynamik auf höchstem Niveau – klasse. Auch dieses Stück endet wie alle, trotz aller Crescendi, ganz ruhig und besinnlich – ausklingend sozusagen. Das nachfolgende Instrumentalstück wirkt jedoch wie ein exzessiver Epilog und greift nochmal das Thema auf.

Die von mir gemachten Vergleiche sollen dem Interessenten nur eine Hilfestellung sein. Dieses wunderbare Album ist in keiner Weise auch nur annähernd ein Plagiat. Und es offenbart immer wieder neue Schmankerl – auch nach dem zehnten Durchgang.

Insgesamt prägen, neben der Stimme, die Tasteninstrumente mit ihren vielfältigen Sounds den Gesamtklang. Logisch, Mats Johansson ist ja der Komponist aller Tracks, abgesehen von den Vocals. Doch es erwarten den Hörer keine Mellotron-Orgien oder altbekannte Synthieläufe, hier lauert an jeder Ecke etwas Anderes. Bedingt durch die vielfältige Instrumentierung, die Isildurs Bane mit ihren Gästen bieten, entsteht ein Klanggebilde, welches an vielen Stellen, trotz großer Dichte, filigrane Passagen bereithält. Das ist nicht nur prima musiziert, sondern auch arrangiert und aufgenommen, gemischt und produziert.

So wiederhole ich gerne mein Eingangsstatement: eine ganz famose CD!


Line-up Isildurs Bane & Peter Hammill:

Peter Hammill  (vocals)
Katrine Amsler (keyboards & electronics)
Klas Assarsson (marimba, vibes & percussion)
Luca Calabrese (trumpet)
Axel Croné (bass & woddwinds)
Samuel Hällkvist (guitar)
Mats Johansson (keyboards)
Liesbeth Lambrecht (violin & viola)
Kjell Severinsson (drums & percussion)

Guests:
Pat Mastelotto (electronic percussion)
Xerxes Andrén (drums & percussion)
Zhazira Ukeyeva (violin)
Mette Gerdle (violin)
Karin Nakagawa (25string koto, japanese vocals)

Tracklist "In Amazonia":

  1. Before You Know It (7:46)
  2. Under The Current (4:46)
  3. Aguirre (5:17)
  4. This Is Where? (10:07)
  5. The Day Is Done (9:05)
  6. This Bird Has Flown (3:02)

Gesamtspielzeit: 40:03, Erscheinungsjahr: 2019

Über den Autor

Peter Funke

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