Wenn sich ein Künstler entschließt, zweiundvierzig Jahre nach dem Erscheinen eines bemerkenswerten und für die Post-Punk-Ära prägenden Albums eine neue Version dieses Klassikers zu erschaffen, dann werden Puristen, zu denen ich mich prinzipiell auch zähle, ein wenig die Augenbrauen hochziehen.
Damals, im Jahr 1979, produzierte Public Image LTD (PIL) das legendäre Album "Metal Box", erschienen auf drei Vinyl-Tonträgern in einer metallenen Box. Die später dazu verlegte CD hat das gleiche Behältnis, ich hatte anlässlich dieser Besprechung Glück, mir ein solches Exemplar sichern zu können, um den Vergleich beider Produktionen besser beurteilen zu können.
Nachdem John Joseph Lydon alias Johnny Rotten 1978 die Sex Pistols verlassen hatte, gründete er PIL und verpflichtete John Joseph Wardle, den die Welt als Jah Wobble kennenlernen sollte, als Bassmann. Nach einer unbestätigten Legende im Internet soll der Künstlername von Mr. Wardle übrigens auf Sid Vicious zurückgehen, der einst im Suff den richtigen Namen nicht mehr artikuliert aussprechen konnte. Die Herrschaften kannten sich bereits vom College, bevor PIL sich formierte.
Jah Wobbles einprägsam monotoner Bass war neben der eintönigen Stimme Lydons und den visionär wavigen Gitarrenlinien das prägende Merkmal der PIL, so gesehen ergibt es zumindest gewachsene genetische Verbindungen zu dem Werk, welches hier neu zusammengebaut wird. Ich gebe zu, dass ich mit den Mischpult-Spielereien und Mixes der Dub-Technik prinzipiell nie etwas am Hut hatte, aber ich muss einräumen, dass dieses Projekt fasziniert und Beachtung verdient.
Um den formalistischen Ansprüchen gerecht zu werden muss ich erwähnen, dass das Original-Album nicht 1:1 widergespiegelt wird. Die ersten acht Nummern stammen von der Metal Box aus 1979, die letzten beiden Songs sind Adaptionen vom ersten PIL-Album, passen in ihrem neuen Gewand aber perfekt in den Kontext.
Die ursprüngliche Version des Openers "Albatross" war ein hypnotischer Flug durch düstere Sphären, ganz konzentriert auf den ruhig markanten Basslauf und den passenden Schlag, während die sechs Saiten ständig im Hintergrund umherkreiseln und der Gesang irgendwie in einer anderen Ebene zu marodieren scheint. Das klingt ein wenig wie entschleunigte Velvet Underground. Ja Wobbles "Rebuilt In Dub"-Version nimmt den ursprünglichen Geist des Songs kurz auf, domestiziert die ursprüngliche, fast narkotische Hypnose durch gängige Gitarrenriffs und allerlei Sound-Applikationen, teilweise mit recht warmen Keyboard-Tönen, so dass wir aus den ohnmächtigen Tiefen punkiger Zerstörtheit in eine farbig moderne Welt treten. Wir begegnen Klängen, die aus den Mustern des Vorgängers durchaus harmonische Momente gewinnen. Ein erstes Statement, ganz klar!
"Swan Lake", welches dem Titel entsprechend das Thema aus Tschaikovskys Werk zitiert und variiert, ist ein absoluter Höhepunkt des gesamten Albums. Hier verschmelzen die klassischen Einflüsse mit perlendem und doch zurückhaltendem Piano und weltmusikalischen Ambient-Momenten mit dem immer noch hinreißend markanten Bass, der marschierende Rhythmus des Hauptthemas erzeugt einen ungeheuren Sog. Im Gegensatz zum im Vergleich zu 1979 verkürzten "Albatross" bekommt der "Swan Lake" deutlich mehr Zeit, sich zu entwickeln als das Original von damals. Eine hypnotische Zeitreise, die sich ins Gehirn einfrisst.
Wie sehr die improvisierten Zwischenparts sich vorübergehend von der punkigen Vorlage lösen, zeigen auch die verspielten Einlagen in "Poptones", wo die Grenzen musikalischer Zuordnung mehr oder weniger aufgelöst werden. Ein perfektes Beispiel, welche Impulse man aus alten Klassikern ziehen kann, um sie zu völlig neuem und anderem Glanz zu führen. Nebenbei sind die elektronischen Soundscapes wirklich beeindruckend und Katy Kings wunderschöne Violine über den sanften schwelgenden Keyboard-Teppichen vermag zu verführen. Wie gesagt, völlig neue Aspekte dieser Musik, wenn man auf die Wurzeln schaut.
"Careering" mit seinem fast vollständig auf synthetische Klänge und Rhythmen aufgebauten Konstrukt könnte jederzeit in einem guten Club oder in der Bar meines Vertrauens laufen, von Rockmusik sind wir hier recht weit entfernt. Schön, dass mit "Graveyard eine gitarrenlastige, gradlinige Nummer folgt, die im Sinne des Originals aufmacht. Aber es wäre eben kein 'Rebuilt', wenn nicht auch hier wieder mit spannenden Einschüben gearbeitet würde, die in diesem Fall eine ausgeprägte Melodik vermitteln. Solche Momente zwischen Ambient, Fusion und Weltmusik berühren und der Kontrast zu den punkigen Wurzeln der Songs machen den Reiz aus.
"Socialist" ist mir dann aber doch zu sehr am Pop orientierte Elektronik in einem modernen Gewand, auch wenn die aggressiven Riffs im Mittelteil ein sehr willkommenes Break schaffen. Es verdeutlicht umso mehr, dass wir uns in einem Grenzbereich aufhalten zwischen den musikalischen Sparten. In der Vergangenheit hat Jah Wobble eben sehr viel mehr Zeit in der elektronischen Szene und an den Mischpulten verbracht als in seinen frühen Aktivitäten bei PIL, die nach gut zwei Jahren beendet waren.
Doch genau dahin führt er uns zurück mit der herrlich retro-bearbeiteten Version von "Public Image". Diese und die letzte Nummer stammen wie schon erwähnt vom Vorgänger der "Metal Box".
Insgesamt verzichtet Jah Wobble weitgehend auf Gesang (wenn überhaupt verwendet er eher eine Art Sprechgesang), was vielleicht auch ein wenig dem Respekt vor John Lydon geschuldet ist, den er womöglich nicht kopieren mag. Unverkennbar ist eine grundsätzliche Orientierung hin zum Pop, wem dies nicht gefällt, wird womöglich mit dem Album nicht glücklich.
Jah Wobble legt mit diesem spannenden Album ein tief ambitioniertes Werk vor, repräsentiert es doch irgendwie alle Facetten seines musikalischen Wirkens und stellt damit auf faszinierende Weise den Fluss der Zeit dar. Es hat sich viel getan in der Zeit seit 1979, nicht nur im Leben von Jah Wobble. Die Idee, ein legendäres Werk aus der Post Punk-Ära mit völlig neuen Einflüssen zu belegen und aus anderen Blickwinkeln zu betrachten, ist voll und ganz aufgegangen, auch wenn PIL-Freunde von damals, die ihrer alten Musik bis heute treu geblieben sind, vermutlich anders empfinden könnten. Das ist auch völlig in Ordnung und erinnert daran, dass Musik vielleicht die letzte große Freiheit darstellt, die uns noch geblieben ist.
Line-up Jah Wobble:
Jon Klein (guitar, programming, beats, mixing)
Keiko Yamazaki (backing vocals – #10)
Katy King (violin – #3 4)
George King (keyboard – #3, 4)
Jah Wobble (bass, vocals, keyboard, programming, drums)
Tracklist "Metal Box-Rebuilt In Dub!":
- Albatross
- Memories
- Swan Lake
- Poptones
- Careering
- Graveyard
- The Suit
- Socialist
- Public Image
- Fodderstompf
Gesamtspielzeit: 63:10, Erscheinungsjahr: 2021
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