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Jan Sydow / Debüt – CD-Review

Jan Sydow / Debüt – CD-Review

Den Namen des Protagonisten Jan Sydow finden wir im Archiv bei der Wiesbadener Art Rockband The Amber Light sowie im Line-up eines Albums der Künstlerin Claudia Rudek. Laut Presseinfo – und darauf muss ich mich jetzt versteifen, da es anscheinend keine Webpräsenz des Künstlers gibt – ist Jan als Studio- und Livemusiker aber gut unterwegs. Etwa 500 Konzerte stehen in seiner Vita. So zum Beispiel mit der Berlinerin Laura Carbone. Auch im Vorprogramm von Acts wie den Schotten The Jesus And Mary Chain, den Schweden INVSN oder den Landsleuten Phillip Boa And The Voodoo Club.

Obwohl Jan anscheinend gefragt ist und sich kaum über Langeweile beklagen kann, legt er nun mit "Debüt" sein erstes Soloalbum auf. "Debüt" ist also sein Debüt. Selbiges hat er alleine eingespielt und dabei auf großes Kino verzichtet. Der Fokus liegt auf der Akustikgitarre, die er meisterlich zu spielen weiß. Alle Texte und die Musik stammen ebenfalls aus seiner Feder und ich darf schon mal sagen, dass er auch als Songwriter eine sehr gute Figur abgibt.

Ein kurzes Glockenspiel-Intro weicht alsbald der melancholisch gespielten Gitarre und der Hörer weiß, dass man für dieses Album Zeit braucht. Zeit zum Zuhören, um ja jedes Fitzelchen der transportierten Emotionen zu erfassen. "Hanga Roa" heißt der Opener, der im Gegensatz zur Bedeutung der beiden Worte relativ kurz ist. Mein schlaues, elektronisches Gegenüber sagt mir nämlich, dass die beiden Worte bei den Maori 'Mach es lang' bedeuten.

Jan Sydow macht es aber nicht lang, da "Draußen vor der Tür" bereits eine elektrische Gitarre wartet, die sich in schöner Indie-Spielweise zu der akustischen Schwester gesellt. Und genau da liegt die Besonderheit dieser Platte, bzw. der Arbeitsweise Jan Sydows. Unzweifelhaft haben wir es bei "Debüt" mit Liedermacher-Output zu tun; aber Jan verlässt die übliche Präsentationsschiene, indem er der akustischen Gitarre immer wieder unerwartete Gesellen zur Seite stellt. Selbst beschreibt er das wie folgt: »[…] tauchen mal verstörende, dissonante E-Gitarren Akkorde aus dem Nichts auf, um wenig später einem verstimmten Banjo, einer Plastik-Kinderorgel, einer trauernden Melodika oder einem verträumten Glockenspiel Platz zu machen.« Genau so ist es, und genau das lässt die Stücke seines Albums viel tiefer und emotionaler erscheinen, als es der übliche, klampfende Barde könnte.

Man könnte die Musik fast als Folk Noir, als Indie-Liedermaching bezeichnen, so anders erzählt uns Jan, dass wir zwei Schritte nach vorne und dann drei zurück gehen, dass wir viel zu erzählen, aber nichts zu sagen haben ("(Der Wanderprediger) Irrlicht"). An dieser Stelle vielleicht ein kleines Manko der Scheibe – die Lyrics wären es wert, sie im Booklet abgedruckt vorzufinden.
Wenn gerade keine Worte zu vernehmen sind, zeigt sich ganz Besonders, wie gefühlvoll und gekonnt Jan die Akustische beherrscht, wie gekonnt er mit Melodien und auch mit Spannung umgehen kann, denn der zarten Saitenhexerei in "Dodo" gesellen sich plötzlich vehement elektrische Spielereien hinzu.

"Nur ein Lied" ist eine tolle Liedermacher-Nummer, bei Jan gibt es dazu aber auch schöne Slidepassagen zum normalen Spiel. Für mich das Hauptstück sind die "Schlafende Fische". Fast acht Minuten lang Musik vom Feinsten, ein Text, der erst mal erfasst werden will, denn da sehnt sich zum Beispiel eine eingehende Zimmerpflanze nach besseren Zeiten. Das und anderes lässt dem Hörer Zeit für eigenes Hineininterpretieren. Auch eine Besonderheit dieser Platte – ein jeder mag in den Texten herumstöbern und Eigenes einbauen, bzw. finden. Dazu dieses treibende und doch höchst melancholische Saitenspiel. Im Übrigen muss auch das von Jan selbst gezeichnete Cover unbedingt erwähnt werden, da man in dieser Zeichnung je nach Gusto auch einiges sehen kann.

Der instrumentale "Nachtportier" lässt die akustische Gitarre fast klassische Strukturen spielen, während sich die erwähnte Plastik-Kinderorgel wabernd und lullend dazwischen legt. Toll gemacht. "Humpty Dumpty (Radio Song)" fällt etwas aus dem Rahmen, da es zum einen in englischer Sprache gesungen ist und zum anderen musikalisch höchst harmonischen Folk Rock bietet. Zumindest bis sich die fast dystopisch tönende Elektrische dazugesellt.

Ein schönes und gelungenes – im doppelten Sinn – "Debüt". Man wird es leider nicht im täglichen Mainstream-Gedudel hören. Aber das war sicher auch nicht die Intention des Musikers. Weiter so.


Line-up Jan Sydow:

Jan Sydow (guitars, vocals, percussion)

Tracklist "Debüt":

  1. Hanga Roa
  2. Draußen vor der Tür
  3. (Der Wanderprediger) Irrlicht
  4. Dodo
  5. Nur ein Lied
  6. Schlafende Fische
  7. Nachtportier
  8. Humpty Dumpty (Radio Song)

Gesamtspielzeit:36:59, Erscheinungsjahr: 2019

Über den Autor

Ulli Heiser

Hauptgenres: Mittlerweile alles, was mich anspricht
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1 Kommentar

  1. Michael Breuer

    Hi Ulli,

    da hast Du wieder mal eine Perle ausgegraben. The Amber Light habe ich wie der Kollege Mike Schröder (Bericht im Archiv) 2005 in der Zeche Carl in Essen gesehen und mir anschließend gleich zwei Scheiben mitgenommen, vor allem die geile EP Stranger & Strangers, deren ausgedehnter Titelsong damals zu einer Art Underground-Hymne für mich wurde. Eine tolle Nummer. Das einfühlsame Gitarrenspiel von Jan ist mir noch gut bewusst. Klasse, dass der endlich mal wieder auftaucht.

    LG Michael

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