Mit gemischten Gefühlen spitzt der Verfasser diesmal seinen imaginären Griffel, ereilte ihn doch gerade vor einem Tag die Nachricht, dass die Protagonistin des zu reviewenden Albums, Jennifer Kowa, am 25. Juli 2024 verstorben ist. Deren Name mag in den letzten Jahr(zehnt)en vielleicht nicht mehr ganz so weitläufig bekannt gewesen sein, ein Stück deutscher Musikgeschichte hat sie dennoch mitgeschrieben. So war die Sängerin noch unter dem Namen Jennifer Hensel Mitglied der deutschen Band Octopus, die 1976 ihr großartiges Debüt Boat Of Thoughts vorlegte. Nach den beiden weiteren Alben An Ocean Of Rock (1978) sowie Rubber Angel (1980) stieg die gute Jennifer aus und startete mit ihrem späteren – oder schon? – Ehemann Win Kowa (der sich bei Octopus noch Winfried Kowalik nannte) die Band The Radio. Bezüglich Octopus war unser Ulli übrigens gerade erst vor einem Jahr über die wiederentdeckten The Lost Tapes ganz aus dem Häuschen. Einige Jahre und Alben später ging es nach dem Ende von The Radio für Jennifer dann solo weiter.
Im Jahr 1988 entstanden dann Aufnahmen für ein neues Studioalbum, denen damals jedoch kein Plattenvertrag oder eine Veröffentlichung vergönnt waren. Anfang 2023 lernte das Ehepaar Kowa den Schlagzeuger und Produzenten Marlon Klein kennen, der unter anderem auch Gründungsmitglied der Dissidenten war. Der war von dem Gesang von Frau Kowa auf diesen älteren Aufnahmen derart begeistert, dass er die nur noch auf einem DAT-Demo existierenden Songs unbedingt noch mal rausbringen wollte. Sehr viel davon war zwar nicht mehr verwertbar, aber glücklicherweise konnten die etwa 35 Jahre alten Gesangsspuren komplett gerettet werden. Win Kowa spielte die Saiten-Instrumente sowie Keyboards wo von Nöten noch einmal ein und Marlon Klein trommelte die komplette Scheibe nochmal neu. Was nun vorliegt, ist ein Gruß aus der Vergangenheit, da die neun Tracks natürlich auch in dieser überarbeiteten Form noch den Geist eines schon länger vergangenen Jahrzehnts atmen.
"Stay Strong" bietet qualitativ guten Pop Rock, der immer wieder mal mit funkigen Elementen angereichert wird und darüber hinaus gut tanzbar ist. Über allem thront dann die die Aufmerksamkeit des Hörers ganz natürlich auf sich ziehende Stimme von Misses Kowa. Und die driftet mit etwas tieferem Timbre gerne auch mal in soulige Sphären ab. Die Vocals kommen durchgehend kraftvoll, sehr diszipliniert und ausgearbeitet rüber, die Stimme ist klasse. Der Favorit des Rezensenten ist allerdings das abschließende "Young Heart", weil sich die Sängerin hier am deutlichsten hörbar von ihren Gefühlen leiten lässt und vor allem gegen Ende des Stücks aus der – im Studio so wichtigen – Disziplin der Genauigkeit ausbricht und ihren 'Bauch' übernehmen lässt. Davon abgesehen können aber durchaus auch Nummern wie etwa der Opener "I’m A Woman", "Where Have All The Motions Gone", "My Dream" oder "Break Some Of The Rules" überzeugen.
Okay, bei dieser Scheibe darf man nun nicht von einem Rock-Album ausgehen, vielmehr dominiert hier die bereits weiter oben beschriebene Mischung aus Pop Rock, Funk und souligen Abstechern. Durch das Ableben von Jennifer Kowa darf hinsichtlich der Platte "Stay Strong" also getrost von ihrem Vermächtnis gesprochen werden, ein letzter Gruß an ihre Fans und alle diejenigen, die die Frontlady bisher nicht kannten. Die letztgenannten Musik-Freunde können dies jedoch in Form ihres Backkatalogs mit den Bands Octopus, The Radio sowie den Soloalben wie etwa Slow Down nachholen. Ruhe in Frieden!
Line-up Jennifer Kowa:
Jennifer Kowa (vocals)
Win Kowa (guitars, keyboards)
Marlon Klein (drums & percussion)
With:
Christian Schneider (saxophone – #9)
Kerstin Kuschik (background vocals – #4)
Tracklist "Stay Strong":
- I’m A Woman
- Break Some Of The Rules
- Lover Of Your Spirit
- Icebox
- My Dream
- Where Have All The Motions Gone
- I Love You
- Profit Of Pain
- Young Heart
Gesamtspielzeit: 40:26, Erscheinungsjahr: 2024 (1988)
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