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Jerry Harrison / Casual Gods – CD-Review

RockTimes-Regalgriffe haben selten etwas mit der musikalischen Aktualität zu tun.
Sehr wohl ist es interessant, Alben aus dem Schrank zu ziehen, die immer noch ein hohes Maß an Sympathie genießen. 1991 war Schluss mit der richtungsweisenden New Wave-Band Talking Heads. Schon vorher veröffentlichten Frontmann David Byrne sowie Keyboarder Jerry Harrison Platten unter eigenem Namen. 1981 war es beim Tastenmann "The Red And The Black", unter anderem mit Nona Hendryx als Sängerin. Zu dem Zeitpunkt erschien David Byrnes "My Life In The Bush Of Ghosts", eine Kollaboration mit Brian Eno, der damals drei Talking Heads-Scheiben produzierte, sowie Drummer Chris Frantz.
Bezogen auf Jerry Harrison kam Ende der Achtzigerjahre "Casual Gods" auf den Markt. Mit dieser Scheibe blieb er eher in der musikalischen Schiene der Talking Heads. David Byrne widmete sich bei "Rei Momo" dagegen mehr südamerikanischen Tanzrhythmen wie Salsa oder Rumba.
Zum Zeitpunkt dieser Rezension lag "Casual Gods" einfach näher am Player als die gerade erwähnte David Byrne-Scheibe.

Im Booklet gibt es nicht ein Bild von den Musikern, sondern nur äußerst beklemmende Fotos von »[…] 50,000 men […] digging for gold in a hole that was once a mountain. Though they look like ants or endless caravans of packed animals, they are men, reduced to this condition by poverty and the bewilling indifference of casual gods.«

Auf der anderen Seite verfügen die zwölf Songs, inklusive "Bobby (Extended Mix)", über eine ganz andere Sprache, die wesentlich positiver ist, als die Bilder.
Mit "Rev It Up" kommt das Album bemerkenswert gut aus den Startlöchern. Funk und Groove regieren die Szenerie. Jerry Harrisons Gesang ist toll und die schneidenden Gitarren-Riffs untermauern die funkige Atmosphäre. Nicht die Sechssaiter, sondern ein hochtöniges Keyboardsolo vom Protagonisten schwebt quasi über den anderen Instrumenten. Einfach klasse, diese Platten-Eröffnung.
So überraschend, wie das Tasten-Solo im Opener ist der Alleingang in "Cherokee Chief", denn hier sind Chris Spedding und Robbie McIntosh mit von der Partie. Dieses Lied ist, neben vielen anderen aus meiner Sicht eines der Highlights, weil dieses Stück über ein Bottleneck-Solo verfügt, das der Nummer einen anderen Touch gibt, als man es erwartet hätte. Nebenbei fällt es schwer, sich dem Rick Jaeger-Groove zu entziehen.

Ein wenig im Kontrast zu gerade erwähntem Song steht das unmittelbar folgende "A Perfect Lie". Um einiges lockerer kommt einem die Stimmung vor. Es liegt wohl an den tollen Backing Vocals von Joyce Bowden, die phasenweise auch alleine singt, und Arthur Russell. Außerdem gibt es einen einmaligen Album-Saxofon-Einsatz – Solo eingeschlossen – von Dickie Landry und danach ein krachendes Gitarren-Solo zum Abheben.

Vielleicht gibt es ja Leute, die gar nicht über Jerry Harrison als Talking Heads-Mitglied auf "Casual Gods" gestoßen sind. Der Weg zur vorliegenden Platte führte über Filmmusik, denn "Man With A Gun" ist Teil des "Two Moon Junction"-Streifens (deutsch: "Two Moon Junction – Fesseln der Leidenschaft") und ohne Gesang in "Something Wild" (Deutscher Titel: "Gefährliche Freundin") zu hören.
Dieses Lied ist in ruhigem Ambiente angesiedelt. Jerry Harrison & Co. üben eher Zurückhaltung und auch damit kann man punkten. Den Refrain summt der Hörer ziemlich schnell mit. So hat dieser balladesk-schwebende Track in gewisser Weise Ohrwurm-Charakter.

Beeindruckend ist auch das zupackende "Breakdown In The Passing Lane" und "Bobby" hat man wohl nicht ganz ohne Grund ans Ende der Scheibe gesetzt. Da im Booklet explizit kein Musiker für diesen Track gelistet wird, ist es gut möglich, dass es sich bei dieser Jerry Harrison/Ernie Brooks-Komposition um einen Alleingang des Protagonisten handelt. "Bobby" ist mit seinen Didgeridoo-Klängen sehr ursprünglich. Das Stück verfügt über eine eindringliche Wirkung, ist zum Teil beklemmend und rundet – obwohl es anders ist – die Scheibe bestens ab. Die erweiterte Fassung mit sieben Minuten Spielzeit ist ebenfalls imponierend.

Auch wenn man "Casual Gods" nach rund dreißig Jahren wieder hört, kann festgestellt werden, dass diese Scheibe kein bisschen an Faszination eingebüßt hat. In diesem Sinn …


Line-up Jerry Harrison:

Jerry Harrison (guitar, keyboards, vocals)
Alex Weir (guitar – #1-10, bass – #2,3,5,8-10)
Chris Spedding (guitar – #1,5)
Robbie McIntosh (guitar – #5,6)
Rick Jaeger (drums – #1,5-12)
David Van Tieghem (drums – #2, percussion – #4,5)
Yogi Horton (drums – #3)
Bernie Worrell (keyboards, bass synthesizer – #6)
Jim Liban (harmonica – #8)
Dickie Landry (saxophone – #6)
Arlene Holmes (backing vocals – #1-4,7)
Lovelace Redmond (backing vocals – #2-4)
Arthur Russell (backing vocals – #6)
Joyce Bowden (backing vocals – #6)
Monique Dayan (backing vocals – #5)
Ernie Brooks (backing vocals – #8)

Tracklist "Casual Gods":

  1. Rev It Up (4:10)
  2. Song Of Angels (3:36)
  3. Man With A Gun (4:39)
  4. Let It Come Down (4:53)
  5. Cherokee Chief (4:42)
  6. A Perfect Lie (4:29)
  7. Are You Running (3:55)
  8. Breakdown In The Passing Lane (4:36)
  9. A.K.A. Love (4:23)
  10. We’re Always Talking (4:53)
  11. Bobby (4:04)
  12. Bobby [Extended Mix] (6:58)

Gesamtspielzeit: 55:34, Erscheinungsjahr: 1988

Über den Autor

Joachim 'Joe' Brookes

Genres: Blues, Blues Rock, Alternative Music, Space Rock, Psychedelic Music, Stoner Rock, Jazz ...
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