Wahre 'Monster-Bands', die es auf mehrere Jahrzehnte Lebenszeit schaffen, sind eine aussterbende Rasse und werden auch schon sehr lange nicht mehr angedacht. Wobei das auf der anderen Seite noch nie wirklich der Fall war, denn wie einst Keith Richards hoffte auch Ian Anderson, Mitgründer und unumstrittener Chef von Jethro Tull anfangs lediglich darauf, ein paar Jahre als Musiker überleben und wenigstens eine Platte aufnehmen zu können. Nun, im Jahr 2017 feierte die stolze Band bzw. Anderson als einziges verbliebenes Originalmitglied ihren fünfzigsten Geburtstag. Da kann man selbstverständlich aus Respekt nur den imaginären Hut ziehen und gratulieren. Wobei die Wurzeln bereits bis in die frühen sechziger Jahre und eine Schülerband zurückreichen, in der der gute Ian, John Evan(s) sowie Jeffrey Hammond zusammen spielten. So richtig Leben in die Bude kam dann mit der Einstellung des Gitarristen Mick Abrahams und dem ersten Album This Was …. Der Rest ist Geschichte.
Um die Band noch einmal gebührlich zu ehren, ist nun mit "Die Ballade von Jethro Tull" ein wunderschönes Buch in festem Einband aber mit weichem Cover erschienen, das die Historie der Engländer in den Worten der Bandmitglieder noch einmal erzählt. Und von den Musikern kommt auch – sofern ich niemanden vergessen habe – tatsächlich jeder zu Wort und berichtet aus seiner Sicht der Dinge die Geschehnisse zu der damaligen Zeit. Sämtliche Alben werden – mal kürzer und mal ein bisschen länger – angesprochen, das Leben auf Tour, die Studioaufnahmen und auch das Privatleben kommen immer wieder mal zur Sprache. Dabei wird – auch wenn man es davor bereits wusste – erneut deutlich, wie sehr Ian Anderson doch die Fäden in der Hand hielt und die Geschicke der Band sowohl musikalisch, wie allerdings auch geschäftlich leitete. Spätestens hier wird dann auch klar, dass Drogen (gar keine) und Alkohol (zunächst gar nicht und auch später erst gelegentlich) im Leben des Leaders keine Rolle spielten. Wie einer der Musiker im Buch bemerkt, »… galt selbst der Genuss eines harmlosen Joints bereits als Kündigungsgrund.« Und das in den wilden Siebzigern …
Sehr interessant stellt sich für den Rezensenten speziell die frühe Ära der Band dar. Die Zeiten, als Ian Anderson noch in feuchten, verschimmelten Zimmern lebte, oft nicht mehr als eine oder zwei Scheiben Toast pro Tag zu essen hatte und sich währenddessen als Frontmann seiner Band, mit Querflöte, auf einem Bein stehend und diesem zerfledderten alten Mantel erfand. Und – nicht zu vergessen – auch noch diese großartige Musik komponierte. Selbst wenn er über die Jahrzehnte eine harte Personalpolitik vertrat und sogar langzeitige Musiker mal eben so feuerte, sagt er heute dass der einzige Musiker, mit dem es richtig persönlichen Stress gab, der bereits erwähnte Mick Abrahams war, der anschließend Blodwyn Pig gründete und Soloalben veröffentlichte. Anschließend zog Anderson es dann vor, nicht mehr mit seinen Mitmusikern zu debattieren, sondern ihnen ihre Papiere lieber vom Management zukommen ließ, wenn er nicht mehr zufrieden war. Am härtesten traf es wohl den langjährigen Gitarristen Martin Barre, wobei die beiden laut dem guten Ian aber auch nie eine freundschaftliche, sondern schlichtweg eine Arbeits-Beziehung hatten. Aber natürlich werden auch die vielen positiven Seiten des Bandleaders beleuchtet.
"Die Ballade von Jethro Tull" ist ein wunderschönes Buch, das ganz wunderbar als Einstiegs-Lektüre für den interessierten Musik-Fan funktioniert. Eine Tull-Bibel ist es hingegen nicht, da die Alben und auch sonstigen Aspekte des Band-Lebens immer nur angeschnitten werden, um einen groben Eindruck zu vermitteln. Daher dürfte der Langzeit-Fan bereits viele oder gar alle der hier beinhalteten Fakten sowieso schon wissen. Für die Sammlung eignet sich das Buch alleine schon wegen des tollen Einbands und der vielen (auch ganzseitigen) Fotos dennoch ganz hervorragend. Und wer weiß, vielleicht findet sich selbst für Fans ja doch noch die eine oder andere bisher unbekannte Geschichte. Aber wie dem auch sei, Fakt ist, dass das Teil sehr kurzweilig und (je nach Erwartung bzw. Anspruch) informativ ist, selbst wenn es nur darum geht herauszufinden, wie die einzelnen Musiker und der Bandchef so ticken bzw. getickt haben.
Rundum also eine klare Empfehlung!
Hannibal Verlag
ISBN: 978-3-85445-687-2
40,00 € (D)
216 Seiten
s/w- und Farb-Fotos
Sprache: Deutsch
Gebundene Ausgabe
Größe und Gewicht: 24.5 x 2.5 x 28.7 cm
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