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Jimi Hendrix / Both Sides Of The Sky – CD-Review

Jimi Hendrix - "Both Sides Of The Sky" - CD-Review

Es ist wirklich kaum zu glauben, aber die Hinterlassenschaft des Ausnahme-Gitarristen Jimi Hendrix scheint nahezu unerschöpflich zu sein. Jetzt, stramme 48 Jahre nach dem viel zu frühen Tod des Amerikaners tauchen auf der neuen Scheibe "Both Sides Of The Sky" weitere zehn neue, im Aufnahme-Studio entstandene und bisher noch nie veröffentlichte Tracks auf. Das ist schon Wahnsinn, speziell wenn man bedenkt, dass wir es hier keinesfalls mit Ramsch, sondern vielmehr hochwertigem Material zu tun haben. Dieses Album ist der dritte und (vorerst?) letzte Teil einer Trilogie, die im Jahr 2010 mit "Valleys Of Neptune" begann und 2013 mit People, Hell And Angels weitergeführt wurde. Insgesamt 13 Tracks sind hier vertreten, von denen lediglich "Power Of Soul", "Things I Used To Do" sowie "Georgia Blues" in den auf diesem Album vertretenen Versionen bereits auf anderen Tonträgern erhältlich waren.

Die meisten Stücke stammen aus dem Jahr 1969 und wurden von Hendrix, dem Bassisten Billy Cox und dem Schlagzeuger Buddy Miles eingespielt. Dazu kommen wieder jede Menge Gäste, die wir aber zunächst einmal noch aus dem Fokus lassen möchten. Die erste Session Jimis – der mit seiner Experience nicht mehr wirklich glücklich war – mit den beiden gerade genannten Musikern fand am 22. April 1969 in den Record Plant Studios in New York City statt und macht mit der Muddy Waters-Nummer "Mannish Boy" gleich schon mal klar, wohin die Reise gehen sollte. Keine Frage, dass der Gitarrist hier seine ganz eigene (und schnellere) Fassung an den Start brachte. Dennoch waren die tief im Blues getränkten Wurzeln unüberhörbar. Die beiden jüngsten und einzigen aus dem Jahr 1970 stammenden Titel sind das bereits erwähnte "Power Of Soul" sowie "Send My Love To Linda". Wobei sich beide Songs nicht unbedingt in die Top5 dieser Veröffentlichung einreihen können, da speziell der zweite etwas fahrig und unfokussiert wirkt. Wobei heute nicht mehr nachvollziehbar und auch im Booklet nicht zu eruieren ist, in welchem Stadium (vielleicht eine erste Einspielung oder ein Probedurchlauf?) sich der Track befand.

Die Experimentier-Freude des Mannes mit dem damals so außergewöhnlichen Gitarrensound macht sich unter anderem bei "Sweet Angel" (einem wunderschönen Instrumental) bemerkbar, auf dem Hendrix neben der Gitarre und dem Bass auch ein Vibrophone spielte. Mit hoher Effizienz übrigens, da das zusätzliche Arbeitsgerät diesem Stück jede Menge zusätzliche Atmosphäre verleiht und es zu einem richtig guten macht. Für "Cherokee Mist" spielte der Meister neben der Gitarre sogar noch eine Sitar ein. Ganz klar noch ein unfertiger Track, wenn auch bereits mit Gesang versehen. "Hear My Train A-Comin'" ist der einzige auf diesem Album vertretene Song der original Jimi Hendrix Experience und zumindest diese (gute) Version war bisher ebenfalls noch nie zu haben. Das sehr flotte "Stepping Stone" stammt aus dem November 1969 in der Trio-Besetzung Hendrix/Cox/Miles und legt einen ordentlichen Upbeat vor. Ganz stark und sicher zu den Highlights dieses Albums sind die bereits davor veröffentlichten "The Things I Used To Do" (sehr bluesig und mit Johnny Winter als zweitem Gitarristen) sowie "Georgia Blues" mit einem entfesselten Lonnie Youngblood an Saxofon und Gesang, der ein ehemaliger Bandkollege Jimis aus den Zeiten mit Curtis Knight & The Squires war.

Einer der von ihm selbst komponierten Lieblingssongs war für Jimi Hendrix immer "Lover Man", das wir hier in einer Version vom 15. Dezember 1969 aus den Record Plant Studios erleben dürfen. Von diesem Titel gibt es wohl schon frühere Aufnahmen, die den guten Jimi aber nie wirklich zufrieden gestellt hatten. Die hier vertretene kommt dann tatsächlich auch richtig stark und mit ganz feinem Sound aus den Boxen. Das zweite wunderschöne Instrumental, bei dem Jimi lediglich von den Stöcken und Fellen Buddy Miles' unterstützt wurde, hört auf den Namen "Jungle". Und schließlich sind da noch die beiden Nummern mit Stephen Stills an der Orgel und am Gesang. Zum einen brachte Stills das ganz frisch von Joni Mitchell geschriebene (und noch von niemandem aufgenommene) "Woodstock" mit, bei dem sich Hendrix lediglich auf den Bass konzentrierte und seinem Kumpel Steven das Feld bei den Vocals überließ. Coole Version, die die beiden hier mit Buddy Miles an den Drums abliefern. Das zweite Stück nennt sich "$20 Fine", groovt wieder glänzend mit Stills am Gesang, Hendrix an einer starken Gitarre sowie Mitch Mitchell am Schlagzeug und Duane Hitchings am Piano.

Klar ist, dass es sich bei diesen 13 Tracks für Hendrix selbst nicht um die allererste Sahne handelte, denn sonst hätte er sie damals wahrscheinlich bereits veröffentlicht. Ebenfalls klar wird dem Hörer jedoch, dass hier mit Stücken wie "Lover Man", "Jungle", Mannish Boy" und weiteren jede Menge gutes Material vorhanden war und in den Planungen für ein nächstes Studioalbum eventuell sogar bereits eine Rolle spielte. Dazu sollte es jedoch nicht mehr kommen und somit beenden wir hiermit auch weitere Spekulationen.

"Both Sides Of The Sky" stellt einen sehr gelungenen Abschluss der zu Anfang erwähnten Trilogie dar und dürfte eine wertige sowie auch erfreuliche Ergänzung eines jeden Hendrix-Fans und -Sammlers sein.


Line-up Jimi Hendrix:

Jimi Hendrix (acoustic & electric guitars, bass – #8,10, vibrophone – #10, sitar – #13, lead vocals)
Billy Cox (bass, background vocals – #6)
Buddy Miles (drums, background vocals – #6)

With:

Johnny Winter (guitar – #8)
Lonnie Youngblood (saxophone & lead vocals – #9)
Stephen Stills (organ & lead vocals – #5,11)
John Winfield (organ – #9)
Duane Hitchings (piano – #5)
Noel Redding (bass – #3)
Hank Anderson (bass – #9)
Mitch Mitchell (drums – #3,5,10,13)
Dallas Taylor (drums – #8)
Jimmy Mayes (drums – #9)

Tracklist "Both Sides Of The Sky":

  1. Mannish Boy
  2. Lover Man
  3. Hear My Train A-Comin'
  4. Stepping Stone
  5. $20 Fine
  6. Power Of Soul
  7. Jungle
  8. Things I Used To Do
  9. Georgia Blues
  10. Sweet Angel
  11. Woodstock
  12. Send My Love To Linda
  13. Cherokee Mist

Gesamtspielzeit: 65:48, Erscheinungsjahr: 2018 (1968 – 1970)

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
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Mail: markus(at)rocktimes.de

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