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John Abercrombie / Timeless – CD-Review

Wohl kaum ein Musiker kann auf eine derart lange Zusammenarbeit mit einem Plattenlabel zurückblicken. John Abercrombies erstes Solo-Album "Timeless" erschien 1975 auf ECM. Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2016 und der amerikanische Jazz-Gitarrist hat bis dato eine beeindruckende Zahl von Alben auf den Markt gebracht. Mit Anfang Siebzig ist John Abercrombie immer noch on the road und beglückt sein Publikum stets mit bestem Jazz.

Der 1944 in Port Chester, New York geborene Künstler übte mit vierzehn Jahren fleißig die Riffs von Chuck Berry, wechselte aber durch die Musik von Barney Kessel relativ schnell zum Jazz. Später spielte er mit anderen Studenten in Bars und Kneipen, unter anderem trat man im Paul’s Mall auf. Zu der Zeit sah er John Coltrane beziehungsweise Thelonious Monk auf der Bühne.
In noch ziemlich jungen Jahren spielte der Gitarrist in der Brecker Brothers' Band Dreams. Bevor er zu Billy Cobham stieß waren Gil Evans oder Gato Barbieri Stationen seines Schaffens. Dann folgte sozusagen ein Schnitt, als John Abercrombie auf einer Tour mit Billy Cobham vor einem Auftritt im Spectrum, Philadelphia dachte: »[…] what am I doing here? It just didn’t compute.«
Laut John Abercrombies Biografie auf seiner Homepage war "Timeless" sein » […] first solo album […]«. Der Meister-Gitarrist spielte zusammen mit Keyboarder Jan Hammer und Schlagzeuger Jack DeJohnette.

John Abercrombie war auf dem Pfad der Fusion quasi immer schon ziemlich experimentierfreudig, ohne die Tradition des Jazz aus den Augen zu lassen. Wer hätte damals schon ahnen können, dass "Timeless" seinen zeitlos-schönen Charakter über die Jahrzehnte aufrecht erhalten konnte. Die vorliegende Platte ist eines der Paradebeispiele für beste Fusion. Gänsehaut erzeugen nicht nur die tiefen und noch tieferen Basstöne zu Beginn von "Lungs", mit knapp über zwölf Minuten der längste Track des vorzüglichen Albums. Apropos Spielzeit: Das Titelstück "Timeless" ist nur unwesentlich kürzer.

Dann bleiben wir doch gleich beim gerade genannten Album-Abschluss "Timeless".
Aus der Stille heraus entwickeln sich leicht wabernde Keyboardklänge. Fast zart gesellt sich John Abercrombie mit ersten feinen Tönen dazu. Nur durch leichte Nuancen im Keyboard-Teppich wird die Atmosphäre intensiver. John Abercrombie gibt seiner Fantasie freien Lauf. Sein Spiel changiert zwischen angespannten und entspannten Tonfolgen. Himmlisch, wie man diesen Track über mehr als vier Minuten in der anmutigen Schwebe hält. Die Keyboards verabschieden sich für einen Moment und dann setzt in diesem Lied zum ersten Mal Jack DeJohnette ein. Ganz zart streicht er mit seinen Jazzbesen über die Felle seines Schlagzeugs. Die Aussagekraft von John Abercrombies Gitarre ist großartig. Seine Tempovariationen und Akzentuierung einzelner Noten sind brillant. Jan Hammer gibt dem Song dann viel mehr Raum und löst den Protagonisten mit seinem Solo ab. Die Finger tanzen quasi über die schwarzen und weißen Tasten. Die erzeugten Sounds sind phasenweise Abbilder pastellfarbener Pinselstriche auf einer weißen Leinwand. Der Song "Timeless" ist eine brillant inszenierte Traumlandschaft.

Piano und akustische Gitarre bestimmen die Atmosphäre von "Love Song". Die Stimmung ist auch hier eher getragen. Liebe wird in den Händen dieser Musiker zu schimmernden Chiffontüchern, die im Sonnenlicht schweben. Jan Hammer setzt hier die Tasten-Akzente und dieser Song kommt ganz ohne Schlagzeug aus. Hervorragendes Stück!
Diesen Liedern sozusagen gegenüber stehen Stücke wie "Red And Orange", einer Jan Hammer-Komposition. Dynamik, Hektik im Quadrat, phasenweise typische Orgelklänge aus dem Rock und ein Jack DeJohnette, der die beiden anderen Musiker nach vorne treibt. Fusion at its best!
"Ralph’s Piano Waltz" groovt, macht Laune und beim magnetisierenden Melodiebogen ertappt man sich doch glatt beim Mitsummen. "Remembering" prägen zum Teil furiose Saitenfahrten und man kann sich gar nicht so richtig entscheiden, welches Lied man denn nun ganz besonders mag. Vielleicht geht es so auch gar nicht, denn "Timeless" ist einerseits spannend-aufregend und andererseits entspannt-entspannend. Mit diesem Album gelang John Abercrombie seinerzeit ein ganz großer Wurf, gab sich schon zu Beginn seiner Solo-Karriere eine Identifikation. An ihr musste sich der Künstler messen lassen. Aus meiner Sicht hat der Amerikaner in "Gateway" (1976) mit Ralph Towner, "Sargasso Sea" (1976), "Works" (1984), "Lift Every Voice" (2002) und "Structures" (2006) weitere herausragende Platten auf den Markt gebracht.


Line-up John Abercrombie:

John Abercrombie (guitar)
Jan Hammer (organ, piano, synthesizer)
Jack DeJohnette (drums)

Tracklist "Timeless":

  1. Lungs (12:09)
  2. Love Song (4:35)
  3. Ralph’s Piano Waltz (4:56)
  4. Red And Orange (5:24)
  5. Remembering (4:32)
  6. Timeless (11:58)

Gesamtspielzeit: 43:34, Erscheinungsjahr: 1975

Über den Autor

Joachim 'Joe' Brookes

Genres: Blues, Blues Rock, Alternative Music, Space Rock, Psychedelic Music, Stoner Rock, Jazz ...
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