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John Lennon / Plastic Ono Band – 2CD-Review

John Lennon - "Plastic Ono Band" - 2CD-Review

Das Ende der Beatles war für John Lennon einerseits ein schwerer Schlag, andererseits aber auch so etwas wie eine Erlösung. Mal ganz abgesehen von dem immensen Druck des Beatle-Daseins waren sich die vier Musiker auch schon länger nicht mehr grün, um es mal gelinde auszudrücken. Lennon hatte bereits drei experimentelle Alben mit Yoko Ono veröffentlicht, hatte darüber hinaus bereits so einige Songs angesammelt, die aufgrund ihrer sehr persönlichen Texte und Offenheit nicht wirklich zu den – bzw. in das Band-Konzept der – Beatles passten und die er nun endlich rauslassen konnte. Die Idee war, diese sehr minimalistisch und roh zu präsentieren, sodass der Brite sich für die Sessions lediglich seinen Ex-Beatle-Kollegen Ringo Starr und dazu mit Klaus Voormann (Ex-Manfred Mann) für den Bass einen Freund aus alten Hamburger Tagen einlud, während er selbst die Gitarre und das Piano übernahm.

Die Scheibe beginnt dann auch mit einem Paukenschlag, nämlich dem von Totenglocken (ähnlich wie bei AC/DCs "Hell’s Bells") eingeläuteten "Mother". Ein Song über die erlittenen Seelenqualen, die durch die gefühlte Ablehnung seiner Eltern ihm gegenüber entstanden waren. Lennons Vater war schon sehr früh abgehauen und hatte die Familie verlassen, seine Mutter hatte immer wieder psychische Probleme, sodass der gute John größtenteils bei Verwandten aufwuchs. Dramatisch spitzt sich die Nummer gegen Ende zu, wenn Lennon scheinbar endlos und immer aggressiver werdend die Zeile »Mama don’t go – Daddy come home!« wiederholt. Wenn der Hörer/die Hörerin sich in die Thematik reindenkt, kommt er/sie beim Anhören kaum um die eine oder andere Gänsehaut herum.

Gleich zwei Tracks ("I Found Out" sowie "Isolation") befassen sich mit dem immensen Druck, ein Superstar zu sein. Einerseits kannst du nicht mehr unerkannt auf die Straße und wirst (ob du Lust hast oder nicht) ständig von irgendwelchen Leuten belagert, andererseits scheint die komplette Welt pausenlos irgendwas (wahlweise für politische, finanzielle oder persönliche Zwecke) von einem zu wollen. Was zwangsläufig zum Rückzug führt, wovon dann das Stück "Isolation" handelt. Hier geht der Seelen-Striptease weiter: »People say we’ve got it made, don’t they know we’re so afraid? We’re afraid of everyone, afraid of the sun… Isolation (Die Leute sagen, wir hätten es geschafft, wissen die nicht, dass wir einfach nur eine Scheiß-Angst haben? Angst vor jedem Mensch, sogar vor der Sonne…Isolation)«. Hört sich sicherlich nicht ganz gesund an und eigentlich kann man vor so viel Offenheit und Ehrlichkeit nur den Hut ziehen.

Der vielleicht allgemein bekannteste Song der Scheibe ist "Working Class Hero", in dem der Engländer (lediglich mit Akustikgitarre und Gesang) die seelischen Qualen eines Heranwachsenden auf den Punkt bringt, der sich von den für ihn gemachten Plänen für eine erfolgreiche Karriere abgewendet hat und lediglich noch das Ziel ein Held der Arbeiterklasse zu werden, als erstrebenswert ansieht. Die Abwendung von vorgegebenen Idolen und Ikonen kommt dann auch in "God" deutlich zum Ausdruck. »Gott ist lediglich ein Konzept, mit dem wir das Ausmaß unseres Schmerzes messen«, singt Lennon, bevor eine ganze Aufzählung beginnt an wen oder was (unter anderem Magie, die Bibel, Tarot, Jesus, Buddha, Yoga, Elvis, Bob Dylan, die Beatles) er nicht (mehr?) glaubt. Der Song endet mit einer Nachricht an die Fans seiner Ex-Band: »I was a dreamweaver but now I’m reborn, I was the walrus but now I’m John – the dream is over!« Der Beatles-Traum ist aus, von jetzt an bin ich nur noch John, bin nur noch ich selbst.

Nachdem man nach "God" das Album eigentlich als beendet erwartet, trifft den Hörer dann noch ein Home Recording Lennons mit lediglich einer Akustik-Gitarre und Gesang bis ins Mark. Das lediglich zwei kurze Strophen umfassende "My Mummy’s Dead" bringt mit wenigen Worten den ganzen Schmerz des Musikers punktgenau zum Ausdruck, der viel zu wenig von seiner Mutter hatte und darunter Zeit seines Lebens litt.

All diese Tracks sind sehr spartanisch instrumentiert, unterstützen aber gerade deshalb die Texte und die hohe Intensität dieser Scheibe so immens. Und selbst wenn John Lennon in seinen Lyrics weder davor, noch danach jemals wieder so offen über sein gemartertes Innenleben berichtete, sind das alles bärenstarke Songs mit viel Melodie und sehr gutem Songwriting. Vor allem wird der Hörer nicht zwangsweise in die melancholische bzw. depressive Stimmung mit hinein gerissen, sondern hat immer noch genug Abstand, um sich das Ganze lediglich von außen anhören zu können. Imagine? Die Geschmäcker sind verschieden, für den Verfasser dieser Zeilen gilt jedoch, dass es kein besseres Soloalbum von John Lennon gibt, als das gerade besprochene "Plastic Ono Band".

Sehr cool ist, dass an das Ende der Scheibe mit "Give Peace A Chance", "Cold Turkey" sowie "Instant Karma!" noch drei Tracks angefügt wurden, die seinerzeit lediglich als Singles erschienen waren. Diese dürften jedoch allgemein so bekannt sein, dass ich hier nicht weiter darauf eingehen muss. Richtig stark sind sie allemal.

Auf der zweiten CD finden sich die gleichen Songs noch einmal in einer anderen Phase ihres Entstehens wieder. Für den Fan natürlich immer sehr interessant, wenn sich diese unterschiedlichen Takes auch nicht bahnbrechend von den endgültigen unterscheiden. "Plastic Ono Band" gibt es darüber hinaus auch als Doppel-Vinyl, als Einzel-CD sowie in der ganz großen Auslage als Box mit sechs CDs sowie zwei Blu-rays.


Line-up John Lennon:

John Lennon (guitars, piano, organ, vocals)
Klaus Voormann (bass)
Ringo Starr (drums)

With:
Phil Spector (piano – CD 1 – #7)
Billy Preston (piano – CD 1 & 2 – #10)
Tommy Smothers (guitar – CD 1 & 2 – #12)
Eric Clapton (guitar – CD 1 & 2 – #13)
George Harrison (guitar – CD 1 & 2 – #14, piano – CD 1 – #14)
Alan White (drums – CD 1 & 2 – #14, piano – CD 1 – #14)
Mal Evans (tambourine – CD 1 & 2 – #14, tubular bells, handclaps, background vocals – CD 1 – #14)
Tim & Rosemary Leary (background vocals – CD 1 – #12)
Allen Klein (background vocals – CD 1 – #14)
Yoko Ono (vocals – CD 1 & 2 – #12, background vocals – CD 1 – #14)

Tracklist "Plastic Ono Band":

CD 1:

  1. Mother
  2. Hold On
  3. I Found Out
  4. Working Class Hero
  5. Isolation
  6. Remember
  7. Love
  8. Well, Well, Well
  9. Look At Me
  10. God
  11. My Mummy’s Dead
  12. Give Peace A Chance
  13. Cold Turkey
  14. Instant Karma!

CD 2:

  1. Mother (take 61)
  2. Hold On (take 2)
  3. I Found Out (take 1)
  4. Working Class Hero (take 1)
  5. Isolation (take 23)
  6. Remember (rehearsal)
  7. Love (take 6)
  8. Well, Well, Well (take 2)
  9. Look At Me (take 2)
  10. God (take 27)
  11. My Mummy’s Dead (take 2)
  12. Give Peace A Chance (take 2)
  13. Cold Turkey (take 1)
  14. Instant Karma! ( take 5)

Gesamtspielzeit: 52:56 (CD 1), 48:50 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2021 (1970)

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
Über mich
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Mail: markus(at)rocktimes.de

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