Du meine Güte, was ist nicht alles schon über die Beziehung John Lennons zu Yoko Ono geschrieben worden. Ich will hier gar nichts wieder groß aufwärmen, aber den allgemein beliebten Stammtisch-Plattitüden die regelmäßig daraufhin hinauslaufen, dass die Japanerin der musikalisch und menschliche Untergang des Engländers war, möchte ich zumindest entgegensetzen, dass – wenn diese Behauptungen zuträfen – dazu immer noch zwei gehören. Im Falle von John Lennons sonderbarsten Alben, die beiden "Unfinished Music…"-Werke (die jetzt individuell neu aufgelegt wurden) sowie "The Wedding Album" war es tatsächlich so, dass der (damals immer noch) Beatle bereits mit Avantgarde experimentierte, bevor überhaupt die Idee eines gemeinsamen Albums mit Yoko Ono entstand. Dass der gemeine Beatles-/John Lennon-Fan sowohl damals wie heute nur sehr bedingt damit zurecht kam/kommt, steht dagegen auf einem ganz anderen Blatt.
Als Lennons Ehefrau Cynthia sich im Jahr 1968 auf einer Urlaubsreise befand, begab es sich, dass der Strohwitwer die janpanische Künstlerin Yoko Ono zu sich nach Hause einlud und ihr seine (im Vergleich zu den Beatles) sehr eigenwilligen und für die Masse untauglichen Aufnahmen vorspielte. Die Asiatin bestand umgehend darauf, dass die beiden ein gemeinsames Album mit genau solcher Musik aufnehmen sollten. Bestärkt durch den Zuspruch dauerte es auch nicht sehr lange (sprich Minuten), um den Briten zu überzeugen. Aufnahmen hatte er genügend, die dann in der Zeitspanne von Mitternacht bis zum Morgengrauen zusammengemixt und mit Yokos und Johns spontan eingeworfenen Vokal-Einwürfen vervollständigt wurden.
Selbstredend gibt es hier keine Songs zu hören, vielmehr handelt es sich um multiple Parts aus unterschiedlichen Tapes, die der gute John in seinem Home Studio bereits in den Kasten gebracht hatte. Zu hören sind neben Gitarrenspuren vor allem auch Experimente auf dem Piano, der Orgel, dem Mellotron und Percussions. Nicht wirklich rhythmisch oder zusammenhängend, fügt Yoko Ono mit ihrem außergewöhnlichen Gesang dann noch ein zusätzliches Mysterium hinzu. Weniger Musik, war diese Scheibe eher ein Statement, ein Trip in andere Welten jenseits der Zwölftakter oder Refrains. Avantgarde, komplette ca. 29 Minuten lang.
Bekannter als die Musik dieser Platte ist sicherlich ihr Cover, das ein Nacktfoto der beiden Protagonisten ziert. Erwartungsgemäß weigerten sich die Labels in England sowie den USA, ein solches Bild zu veröffentlichen, sodass es in eine Schutzhülle gepackt wurde. Durch deren 'Löcher' waren dann gerade noch die Gesichter der beiden Musiker sowie der Titel "Two Virgins" zu sehen. Ob es daran lag, dass in England gerade mal fünftausend Stück davon verkauft werden konnten? In den USA lief es etwas besser, 25.000 Einheiten gingen in der ersten Woche nach Erscheinen über die Ladentheken. Dennoch konnte "Unfinished Music Vol. I -Two Virgins" auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten die Top100 der US Billboard Charts nicht knacken.
Etwa ein halbes Jahr später kam dann mit "Unfinished Music Vol. II – Life With The Lions" die Fortsetzung raus und war – zwar immer noch Avantgarde – nochmal ein ganz anderes Kaliber. Die komplette erste Seite enthält die Nummer "Cambridge 1969", das live vor Publikum aufgenommen wurde. Und, mein lieber Scholli, hier werden sowohl Geduld als auch Nerven und Durchhaltevermögen des ’normalen' Rockfans doch schon gewaltig auf die Probe gestellt. Dieses Stück besteht fast durchgängig aus dem Gitarren-Feedback Lennons (mit einzelnen Akkorden verziert) sowie den… hmm… wortlosen Singer- und Schreiereien Yoko Onos. Lediglich am Schluss, während der letzten wenigen Minuten kommen noch John Tchicai am Saxophon, John Stevens (percussion) und Mal Evans an irgendeiner Uhr mit dazu. Kennt man bereits den Auftritt von The Dirty Mac (eine One-Off-Band bestehend aus John Lennon, Yoko Ono, Keith Richards und Mitch Mitchell) vom "Rock’n’Roll Circus" der Rolling Stones oder auch das Yoko Ono-Soloalbum "Plastic Ono Band" (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Lennon-Album, aber zur gleichen Zeit ebenfalls mit Klaus Voormann am Bass und Ringo Starr am Schlagzeug eingespielt), ist man in etwa vorbereitet. Sich diese Art der Kunst mehr als 25 Minuten am Stück reinzuziehen, ist dann allerdings wieder eine ganz andere Kragenweite.
Bei "No Bed For Beatle John" singt Yoko Ono Presseartikel aus Zeitungen, während John im Hintergrund Kommentare abgibt und irgendwann in die Vocals einsteigt. Ein Instrument ist bei diesem Titel nicht zu hören. Apropos nicht zu hören: Der Track "Two Minutes Silence" besteht tatsächlich aus… Nichts, Schweigen, Stille. Okay… Avantgarde. Und wer hätte gedacht, dass die Geburt der Techno-Musik bis in die späten Sechziger zurückgeht? Für "Baby’s Heartbeat" wurden Herzschläge des noch ungeborenen Babys der beiden (das Yoko Ono traurigerweise verlor) aufgenommen und von dem Beatle anschließend durch Tape Loops gejagt. Erstaunlicher Sound, wenn auch nicht sonderlich abwechslungsreich. Abgeschlossen wird "Unfinished Music Vol. II" von "Radio Play", das erneut ohne Instrumente daher kommt, sondern vielmehr Yoko Ono dabei einfängt, wie sie erfolgreich am Senderknopf eines Radios arbeitet und es dabei schafft, etwa zwölfeinhalb Minuten lang jeglichen Empfang eines Senders zu umgehen. Zwischendurch gibt es die eine oder andere kurze Unterhaltung mit John, der seinerseits auch mal ein Telefonat zu erledigen hat. Avantgarde halt…
Auch von diesem zweiten Teil der angedachten Dokumentation des eigenen Zusammenlebens der Protagonisten konnten in England nicht mehr als knapp fünftausend Scheiben abgesetzt werden, in den USA insgesamt immerhin 60.000, was aber lediglich Platz 174 in den Billboard Charts einbrachte.
Beide "Unfinished Music"-Alben sind, sagen wir mal… sehr speziell. Man muss schon ein Faible für diese Art der Kunst haben, um sich diese Scheiben regelmäßig auf den Plattenteller zu legen. Um mal einen direkten Vergleich zu ziehen (falls man das überhaupt kann), hat die erste Platte für meinen Geschmack ganz klar die Nase vorn. Wirklich großartig ist allerdings das Drumherum: Nicht nur der Sound des Vinyls ist lupenrein, in beiden Fällen sind jeweils auch noch ein Download Code für die Alben, ein Poster sowie ein kleines Booklet beigefügt.
Sehr gewöhnungsbedürftig und ganz sicher sehr stark geschmacksabhängig. Die andere Seite des Soloartisten und Beatle John Lennon.
Line-up John Lennon & Yoko Ono:
"Unfinished Music Vol. I – Two Virgins":
John Lennon (all instruments and vocals)
Yoko Ono (all instruments and vocals)
Pete Shotton (tape loops)
"Unifinished Music Vol. II – Life With The Lions":
John Lennon (guitars, feedback, vocals)
Yoko Ono (radio, vocals)
With:
John Tchicai (saxophone – #1)
John Stevens (percussion – #1)
Mal Evans (watch – #1)
John Ono Lennon II (heartbeat – #3)
Tracklist "Unfinished Music Vol. I – Two Virgins":
- Two Virgins Part One
Two Virgins Part Two
Tracklist "Unfinished Music Vol. II – Life With The Lions":
- Cambridge 1969
- No Bed For Beatle John
- Baby’s Heartbeat
- Two Minutes Silence
- Radio Play
Gesamtspielzeit: 14:17 (Vol. I, Side 1), 15:13 (Vol.I, Side 2), 26:31 (Vol. II, Side 1), 24:39 (Vol. II, Side 2), Erscheinungsjahr: 2016 (1968, 1969)
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