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John Mellencamp / Strictly A One-Eyed Jack – CD-Review

John Mellencamp / Strictly A One-Eyed Jack

Knurriges Stimmungsbild mit einem Boss als Farbtupfer

29. März 1992 … der Rezensent gurkte in einem alten VW Derby nach Hamburg, um zur Alsterdorfer Sporthalle zu gelangen … seinerzeit die größte überdachte Live-Konzert-Location der freien Hansestadt. Angesagt hatte sich John Mellencamp, frisch vom Namenszusatz 'Cougar' befreit und mit fulminanten Erfolgsalben wie "American Fool" (1982), "Uh-Huh" (1983), "Scarecrow" (1985), "The Lonesome Jubilee" (1987) und "Big Daddy" (1989) im Gepäck, die ihn zu einer Art 'Südstaatenversion Bruce Springsteens' werden ließen.

Gerade die letzten beiden genannten Werke etablierten den mit feiner Beobachtungsgabe ausgestatten 'Mainstream'-Rocker eher als Folk/Country/Roots-Musiker, heutzutage gerne als 'Americana' subsumiert. Damals trat er allerdings mit "Whenever We Wanted" (1991) an, eine Rückbesinnung zum Rock’n’Roll und nach eigener Aussage der Versuch, ein 'American Fool' mit besseren Texten zu kreieren. Mit u.a. Kenny Aronoff am Schlagwerk und David Grissom zusammen mit Langzeitspezi Mike Wanchic an den Saiten flog dann auch buchstäblich bei einem sensationellen Rock-Gig das Dach weg und ein weiterer Baustein für den späteren Hörverlust des Rezensenten war hinzugefügt.

Auf dem Frontcover von "Whenever We Wanted" sind neben seiner zukünftig Angetrauten mehrere Staffeleien mit Gemälden zu bewundern, welche vom Protagonisten höchstselbst stammen. An dieser Stelle schließt sich zusammen mit der bereits erfolgten Erwähnung des Namens Bruce Springsteen ein Kreis, denn gut 40 Jahre später ist nun "Strictly A One-Eyed Jack" erschienen, Mellencamps 25stes Studioalbum, welches ein Selbstportrait ziert, das Sohnemann Speck Mellencamp gemalt hat.
Auch Mike Wanchic ist wieder mit von der Partie, allerdings bekommen wir beileibe keine Party auf die Ohren. Der Welt im Allgemeinen geht es schlecht, der Heimat Mellencamps mit Phänomenen wie Donald Trump geht es fast noch schlechter und das jahrzehntelange Kettenrauchen hat nicht nur bezüglich der Stimme Spuren hinterlassen.

Folglich startet das Album mit "I Always Lie To Strangers" karg, düster, trostlos, wo auch das schwermütige Violinenmotiv kaum Trost spenden kann. Letztlich bringt Mellencamp das Stimmungsbild seines neuesten Werkes mit der Eingangszeile von "Sweet Honey Brown" auf den Punkt: »The show is over and the monkey is dead.« In Anbetracht der neuesten dramatischen Ereignisse gelingt ihm hier bezüglich der Grundatmosphäre erschreckend vorausschauend eine Punktlandung. Es hat sich ausgerockt, Mellencamp packt grundsätzlich eher den grimmigen Krächz-Dylan, Tom Waits oder den späten Chris Rea aus und wandelt auf sehr rootsigen Spuren. Dabei mangelt es zu keiner Zeit an Intensität und dieses Album wächst mit jedem einzelnen Durchlauf.

John Mellencamp ist aber Profi genug zu wissen, dass neben dem ganzen Rost ein sporadisches Durchschimmern seiner 'Heartland-Rock'-Vergangenheit nicht schaden kann und holte sich dafür niemand geringeren als den 'Boss' ins Studio, um in "Did You Say Such Thing" lässig mit selbigem zu parlieren und dabei sogar mal den Knurr-Modus zu verlassen.
Bei "Wasted Days" teilt sich Mellencamp gar mit Springsteen den Gesang und kommt musikalisch dem aktuellen Wirken des letzteren sehr nahe. In einer besseren Welt würden wir dieses Stück häufiger im UKW-Radio hören. Das Titelstück wiederum gemahnt musikalisch nicht als einziger Song durchaus an Werke wie das eingangs erwähnte "Big Daddy" aus dem Jahre 1989, während mit "Chasing Rainbows" gar ein zärtlicher Ohrwurm am Start ist. "A Life Full Of Rain" beschließt dann programmatisch als 'Nachts-um-Drei-Rausschmeißer' sehr wolkenverhangen ein Album, welches völlig zu Recht weit weg ist von jeglicher Karnevalsstimmung.

Fazit:
Anno 2022 lässt John Mellencamp keine Dächer mehr wegfliegen, sondern an der einen oder anderen Stelle eher das Blut in den Adern gefrieren … frostige Zeiten fordern auch musikalisch ihren Tribut und als zeitgenössischer genauer Beobachter legt Mellencamp den Finger in die Wunden … ohne dabei zu vergessen, dass es auch diverser Auflockerungen bedarf. Ein großartiges Alterswerk!


Line-up John Mellencamp:

John Mellencamp (vocals, acoustic guitar)
Andy York (acoustic guitar, electric guitar, autoharp, banjo, bass, backing vocals)
Mike Wanchic (electric guitar, backing vocals)
Bruce Springsteen (electric guitar #6, #8, #12, vocals #6, #8)
John Gunnell (bass)
Dane Clark (drums, percussion)
Troye Kinnett (piano, accordion, organ, harmonica)
Merritt Lear (violin, backing vocals)
Miriam Sturm (violin)
Joey Tartell (trumpet)

Tracklist "Strictly A One-Eyed Jack":

  1. I Always Lie To Strangers (3:36)
  2. Driving In The Rain (3:26)
  3. I Am A Man That Worries (4:34)
  4. Streets Of Galilee (2:49)
  5. Sweet Honey Brown (5:19)
  6. Did You Say Such A Thing (3:39)
  7. Gone So Soon (3:31)
  8. Wasted Days (4:31)
  9. Simply A One-Eyed Jack (4:42)
  10. Chasing Rainbows (3:27)
  11. Lie To Me (3:31)
  12. A Life Full Of Rain (5:38)

Gesamtspielzeit: 48:43, Erscheinungsjahr: 2022

Über den Autor

Olaf 'Olli' Oetken

Beiträge im Archiv
Hauptgenres (Hard Rock, Southern Rock, Country Rock, AOR, Progressive Rock)

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