Bei vielen Fans der härteren Rockmusik genießt Glenn Hughes hohes Ansehen, wenngleich seine Phasen als Sänger und Bassist von Deep Purple (1973 – 1976) sowie als Frontmann von Black Sabbath (1985 – 1986) nur von kurzer Dauer waren. Im Laufe seiner Karriere spielte er mit vielen renommierten Musikern zusammen. Vorläufiger Höhepunkt war die 2010 gegründete Formation Black Country Communion, der neben Hughes der Gitarrist Joe Bonamassa, Schlagzeuger Jason Bonham und Keyboarder Derek Sherinian angehörten. 2013 war allerdings das Ende besiegelt und es scheint tatsächlich so, dass Projekte von kurzer Dauer die Karriere von Hughes prägen. Dagegen ist er fast ununterbrochen als Livemusiker unterwegs. Neben eigenen Soloprojekten widmet sich der Sänger und Bassist seit 2019 der 2012 in Sydney gegründeten australisch-US-amerikanischen Hard Rock-Band The Dead Daisies.
Als Vorband von Judas Priest konnten sich viele Besucher diesen Part sehr gut im Programm vorstellen. Sie mussten allerdings beim Gastspiel in Halle an der Saale erfahren, dass Glenn Hughes wegen einer Infektion mit dem Coronavirus zum Pausieren gezwungen war. Absagen wollten seine Mitstreiter nicht, sodass kurzerhand Yogi Lonich als Bassist eingesprungen war und Dino Jelusick von Whitesnake den Gesangspart übernahm. Der 30-jährige gebürtige Kroate steht bei den britischen Hardrockern seit 2021 unter Vertrag. Das Set meisterte der talentierte Sänger mit Bravour, darunter die Deep Purple-Cover "Mistreated" und "Burn", die natürlich an Glenn Hughes erinnerten. Jelusick gehört einer jüngeren Musikergeneration an, auf die man für die Zukunft hoffen darf.
Der getrübte Beigeschmack beim Publikum kommt oft dadurch zustande, weil Musiker unbekannt sind und im Falle einer Vertretung dadurch keine Bindung zu den Fans vorhanden ist. Mit ihren abwechslungsreichen Stücken brachten The Dead Daisies dennoch zum Auftakt Schwung in die Halle. Keine Frage, die Akteure auf der Bühne wollten ihre Zuhörer nicht enttäuschen. Nach dem Auftakt mit einigem Rätselraten wartete mit Judas Priest eine Legende des Heavy Metal. Der Zuspruch in der gut besuchten, allerdings nicht ganz ausverkauften Arena der Messe in Halle zeigte, wie hoch deren Konzerte in der Gunst der Besucher stehen. Priest hatten schon vor Corona die Doppelkonzerte mit Ozzy Osbourne mehrmals absagen müssen, weil der frühere Sänger von Black Sabbath aus unterschiedlichen Gründen passen musste. Schließlich kam es ab 2020 zu einer Zwangspause bei Konzerten, sodass es erst 2022 während der aktuellen Tour heißt: "Judas Priest – 50 Heavy Metal Years". Gründungsjahr war schon 1969.
Wer die Briten damals als Band der eigenen Jugendzeit kennen- und schätzen lernen durfte, kann gut und gerne auf zwei nachfolgende Generationen in seiner Familie verweisen. Gleichzeitig kommen junge Fans, sodass ein Priest-Konzert immer ein Generationen-Treffpunkt ist. Sie alle treffen auf eine Truppe, die scheinbar die Zeit angehalten hat. Judas Priest klingen wie immer und es gibt live die gleichen Rituale, wie die Harley auf der Bühne bei "Hell Bent for Leather". Alles schon einmal gesehen, könnten böse Zungen meinen. Doch ganz ehrlich: Wie oft schauen Fernsehzuschauer bei "Dinner for One" zu?
Doch Priest sind richtig gut. Sie bieten mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks eine Show auf technisch hohem Niveau, die keine Wünsche offen lässt. Klassiker oder nicht – beim Opener "One Shot At Glory" kommen die Fans sofort auf Betriebstemperatur, was sich im Verlauf der folgenden knapp zwei Stunden nicht ändern sollte. Wenn Rob Halford im dritten Lied "You’ve Got Another Thing Comin'" singt, dann ist der Festtag praktisch angerichtet. Das 40 Jahre junge (!) Stück aus dem Album "Screaming for Vengeance" ist der erste Ohrwurm an diesem Abend, dem unmittelbar "Freewheel Burning" und das unverwüstliche "Turbo Lover" im Set folgen. Apropos "Turbo Lover": Wer hätte 1986 gedacht, dass einmal von einer Heavy Metal Band gespielte Gitarrensynthesizer derart salonfähig werden? Heute kennen die Begeisterungsstürme in den Konzerten keine Grenzen.
Auf das anschließende "Hell Patrol" folgt "The Sentinel", veröffentlicht 1984 auf "Defenders Of The Faith". Von dieser Platte komme ich einfach nicht los, wobei es mir "The Sentinel" besonders angetan hat. Ein Erfolgsgarant, der in keinem Konzert mehr fehlen darf. Für mich hat der Song alles, was Judas Priest auszeichnet: Schnelligkeit, Rhythmus, eine ausgereifte Melodie und die charismatische Stimme von Rob Halford. So aber ist jeder Track der Briten ein Geschenk für die Ewigkeit.
Nach etwa zwei Drittel Spielzeit im Block vor den Zugaben hören wir "Victim of Changes ". Das im Original knapp acht Minuten lange Werk aus dem Jahr 1976 (zweites Sudioalbum "Sad Wings of Destiny") besticht in Länge und Intensität, gehört zu den unwiderstehlichen Evergreens und präsentiert den Besuchern in der Messehalle einen Überraschungsgast: Glenn Tipton, an Parkinson erkrankter, verdienter Gitarrist, bringt sich damit bei seinen Fans in Erinnerung, um später in den Zugaben noch einmal in die Saiten zu greifen. Ein Gänsehautmoment, der dieses Lied für mich zum gefühlten Höhepunkt werden lässt.
Durchatmen ist nicht drin: Es folgt mit dem Fleetwood Mac-Cover "The Green Manalishi (With the Two Prong Crown)" eine Komposition, die ich zuerst auf dem ersten Live-Album der Band entdeckt hatte. "Unleashed In The East" ist 1979 erschienen und enhält neben weiteren Nummern das erwähnte "Victim Of Changes". Ein Juwel, wenn auch nicht der einzige geschliffene Diamant aus der Kreativwerkstatt Judas Priest. Dem Joan Baez-Cover "Diamonds & Rust" schließen sich als Zugaben "Painkiller", "Electric Eye", "Hell Bent for Leather", "Breaking the Law" und "Living After Midnight" an. Werke, für die es keine Worte braucht.
Vor allem die Fans, die aus den genannten Gründen so lange auf ihre unverwüstlichen Idole warten mussten, wurden entschädigt. Auf ihre Kosten kamen aber alle Besucher. Naturgemäß beschäftigte viele die Frage nach der immer noch intakten hohen Stimme des "Metal Gods" Halford (70), um an dieser Stelle nicht noch die Frage seines Alters aufzugreifen.
Judas Priest anno 2022: Wer dabei gewesen ist, hat gewiss ein rundum gelungenes Erlebnis fürs Leben im Gepäck. Das Gute daran ist: Diese Erfahrung teilen Menschen unterschiedlicher Generationen. Sie verbindet auch ihre Vorliebe für eine Musik, die einst als New Wave of British Heavy Metal das Licht der Öffentlichkeit erblickte.
Ein herzliches Dankeschön von RockTimes geht an Julia Wehle, MAWI Concert GmbH, für die Bereitstellung der Fotoakkreditierung.
©Fotos: Mario Keim
Line-up The Dead Daisies:
Dino Jelusick (vocals)
Doug Aldrich (guitars)
David Lowy (guitars)
Yogi Lonich (bass)
Brian Tichy (drums)
Setlist The Dead Daisies:
- Long Way to Go
- Rise Up
- Dead and Gone
- Bustle and Flow
- Mistreated (Deep Purple Cover)
- Radiancec
- Shine On
- Burn (Deep Purple Cover)
Line-up Judas Priest:
Rob Halford (vocals)
Richie Faulkner (guitars)
Andy Sneap (guitars)
Ian Hill (bass)
Scott Travis (drums)
Guest:
Glenn Tipton (guitars)
Setlist Judas Priest:
- One Shot at Glory
- Lightning Strike
- You’ve Got Another Thing Comin'
- Freewheel Burning
- Turbo Lover
- Hell Patrol
- The Sentinel
- Victim of Changes
- The Green Manalishi (With the Two Prong Crown, Fleetwood Mac Cover)
- Diamonds & Rust (Joan Baez Cover, with Guitar Intro by Richie Faulkner)
Encore: - Painkiller
- Electric Eye
- Hell Bent for Leather
- Breaking the Law
- Living After Midnight
3 Kommentare
Joe Ho
30. Juni 2023 um 23:26 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Worauf du leider gar nicht eingehst: Der Sound in der Halle war unterirdisch schlecht! Rückkopplungen ohne Ende, ein undifferenzierter Soundbrei sowie nicht nur Robs Stimme basslos… Eine absolute Zumutung, das Ganze. Ja, alle hatten sich auf open air gefreut – sehr schade…
Mario Keim
1. Juli 2023 um 7:58 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hallo Joe,
ich gebe Dir recht und darf das als Nachlässigkeit meinerseits werten. Ich persönlich gehe schon gar nicht mehr drauf ein, dass Spielstätten wie die Messehalle in Erfurt oder die Arena in Leipzig, um zwei weitere Beispiele aus Mitteldeutschland zu nennen, alles andere als konzerttauglich sind. Bedauerlicherweise reiht sich die Messehalle in Halle in diese Aufzählung ein. Das Gastspiel vor elf Monaten war kurzfristig in die Halle verlegt worden. Priest spielten die Tour nach meiner Wahrnehmung nur in Hallen. Was mich wunderte, dass die Messehalle trotz des starken Zuspruchs nicht ausverkauft war. Deep Purple auf der Insel in Halle an der Saale ein paar Tage zuvor war etwa halbvoll. Danke für Deine Anmeldung und alles Gute Dich!
Viele Grüße Mario
Marco Sawinsky
5. August 2022 um 19:56 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Zum Konzert ist wirklich alles gesagt. Da bleibt nichts zu ergänzen.
Aber zur Lokation und den Umständen. Wir hatten uns absichtlich für das Konzert in Halle entschieden, weil es Open-Air sein sollte. Denkste, verlegt in die Messe Arena. OK, erinnert sich noch jemand an Corona? Es war derartig heiß in der Halle und Lüftung… Die bestand aus zwei hochgezogenen Rolltoren in der Umbaupause. Ich würde eseine verantwortungslose Orga nennen und von daher verwundert es auch nicht, dass wir im Nachgang – im Grunde folgerichtig – mit Corona-Fällen als Folge des Konzertbesuches zu tun hatten: Danke Messe Halle GmbH und dem Veranstalter…