
Fragwürdige Auszeichnungen und ein europäischer Monolith
Auch dieses Jahr wurden Grammys verliehen, der wichtigste US-amerikanische Musikpreis und außerordentlich prestigeträchtig. Dabei wissen Spötter und wahre Musikkenner*innen längst, dass es dabei mitnichten um eine künstlerische Leistung geht, sondern schnöde Verkaufszahlen, upgegradet Streamingzugriffe, der Maßstab sind.
Und innerhalb dieses Erfolgszirkus haben sich im Laufe der Jahre die musikalischen Koordinaten gewaltig verschoben.
Wer sich bluesige Rockmusik oder rockige Bluesmusik auf die Fahnen geschrieben hat, rutscht mittlerweile in den Fußnoten ganz unten ans Ende der Straße und der Rezensent musste in den unendlichen Weiten des Netzes lange suchen um herauszufinden, dass dieses Jahr das Taj Mahal Sextet und Ruthie Foster triumphierten, beide der saftigen E-Saiten-Einlage gänzlich unverdächtig.
Ein Herr Bonamassa war zumindest nominiert, Europäer fanden nicht statt, ganz so, wie es sich aus politischer Sicht die Oligarchen, Kriegsverbrecher und Tech-Milliardäre dieser Welt vorstellen, um selbige nach eigenem Gusto zu verscherbeln.
Dabei hat unser Kontinent im unter die Räder gekommenen Genre-Segment durchaus veritable Highlights zu bieten, die sich im internationalen Vergleich wahrlich nicht zu verstecken brauchen.
Aus dem reichhaltigen Fundus unseres Nachbarlandes mit den Windmühlen und dem leckeren Käse sticht beispielsweise Julian Sas heraus, der seit mittlerweile stabilen 29 Jahren seiner Leidenschaft zwischen Rory Gallagher, Jimi Hendrix und Jeff Beck frönt, fünfzehn Alben veröffentlicht hat und zu einer monolithischen Institution im Club-Circuit geworden ist, den er verlässlich Jahr für Jahr bespielt und dabei in der Regel beim Nischenpublikum für schwitzende wie lächelnde Gesichter sorgt.
Er fing dabei als glühendes Powertrio an, baute gut 10 Jahre später eine Taste in sein Klanggefüge ein, was schließlich in der Zusammenarbeit mit Roland Bakker mündete und gehaltvolle Facetten des musikalischen Ausdrucks zeitigte.
Doch mittlerweile besinnt sich Sas wieder auf das puristische Dreierformat und haut ganz aktuell mit "Miles And Memories" sein sechzehntes Langeisen raus, eine lange Strecke mit vielen Erinnerungen im Titel und neben bekannten Anleihen beim Blues, besticht der Protagonist durch ein ausgesprochen flüssig energetisches, gleichsam wunderbar sämiges Saitenspiel im Kontext klassisch angelegter Rockmusik, melodisch nur bedingt variabel, aber immer zwingend vorgetragen. Dabei darf keine gesangliche Leistung im Sinne einer Legende wie Paul Rodgers (Free, Bad Company) erwartet werden, Julian Sas orientiert sich da eher an seinen Vorbildern, die entweder gar nicht vor das Mikro traten oder an selbigem weit hinter der Kunst des Saitenspiels zurückblieben.
Im besten Sprechgesang einer einzigen Tonlage führt uns der leidenschaftliche Bandera-Träger seit jeher durch seinen musikalischen Kosmos und traut sich in "Getting Tougher Every Day" gar an eine Hommage des Hendrixschen "Stone Free". "Light Finds A Way" besticht währenddessen mit ungeahnten melodischen Finessen. Titel wie "Kindred Spirits" variieren geschickt das Tempo des Albumflusses. Sein Selbstbewusstsein hat sich Sas in den letzten knapp 30 Jahren von Grund auf erarbeitet und mündet auf "Miles And Memories" in der Quintessenz seines Schaffens in Form des Rausschmeißers "Ain’t Comin' Back", der alle Stärken des Niederländers prägnant zusammenfasst.
Fazit: Im Westen nichts Neues, aber trotzdem begeistert Julian Sas durch mitreißenden Anachronismus, der förmlich nach einer Live-Umsetzung schreit. Innerhalb des selbstgewählten sehr engen musikalischen Korsetts weiß er vollumfänglich zu überzeugen und hat ganz zum Schluss sogar einen potentiellen zukünftigen Genre-Klassiker im Köcher!
Dieser wird es sicherlich nie zu Grammy-Ehren bringen, doch ist das heutzutage wirklich noch erstrebenswert?
Line-up Julian Sas:
Julian Sas (all guitars, vocals)
Edwin van Huik (bass)
Lars-Erik Van Elzakker (drums, percussion)
Tracklist "Miles And Memories":
- Miles And Memories (4:53)
- Midst Of Madness (5:09)
- Light Finds A Way (5:54)
- One Step Closer To Hell (5:48)
- Hiding Place (5:04)
- Getting Tougher Every Day (4:23)
- Kindred Spirits (6:19)
- Ain’t Comin' Back (4:10)
Gesamtspielzeit = 41:43, Erscheinungsjahr 2025
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