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Kaipa Da Capo / Dårskapens Monotoni – CD-Review

Leider muss die Betrachtung dieses nagelneuen Albums mit einer traurigen Nachricht beginnen. Mats Löfgren, zwischen 1977 und 1980 Sänger der Band, ist im Oktober verstorben, gerade mal drei Tage nach der Veröffentlichung von "Dårskapens Monotoni", auf dem immerhin zwei seiner alten Weggefährten mitwirken, nämlich Bassmann Thomas Ericsson und kein geringerer als Roine Stolt, legendärer Saitenmagier auch bei den Flower Kings, Transatlantic und zuletzt Wegbegleiter von Steve Hackett (Ex-Genesis) und Jon Anderson (Ex-Yes).

Dass wir es hier streng genommen nicht mit der Mutterband Kaipa, sondern Kaipa da Capo zu tun haben, könnte sich in der Absenz der bis dahin einzigen Konstante der Schwedischen Progger erklären, Keyboarder und Gründungsmitglied Hans Lundin. Schon mehrfach in der Vergangenheit kam es zu Besetzungswechseln, vor allem Roine stieg mehrmals aus, um sich seinen diversen anderen Projekten zu widmen. Nur Hans war immer dabei. Gelegentlich schien das Kapitel Kaipa dabei schon geschlossen, doch irgendwie trafen sich die Wege von Hans und Roine immer wieder, besprach man neue Projekte, um dann doch die alte Band wieder zum Leben zu erwecken. Wie auch immer, dieses Mal musste also doch ein neuer alter Name her, die 'Zugabe Kaipas'. Also denn, so hören wir rein:

Ein geheimnisvoller Auftakt, wie ein Spaziergang durch lichte schwedische Wälder mündet sogleich in ein wunderschönes Hauptthema, eine klassische Roine Stolt-Phrase, wie wir sie so eindrücklich auch bei den Flower Kings kennen lernen durften und für die ihn die Fans weltweit so verehren. Ganz nebenbei vermitteln uns schon diese ersten Eindrücke einige prägnante Eigenschaften der Ur-Band. Schon immer haben Kaipa, die 1974 ihr erstes Album aufnahmen, auf ziemlich einzigartige Weise folkloristische Elemente ihrer Heimat, Natur-Sounds und jazzige Attituden zu einer unverwechselbaren progressiven Mixtur zusammen gesetzt und damit einen eigentümlichen, sehr authentischen Stil geprägt. Damit wurden sie in Schweden schnell zu einem echten Schwergewicht. Natürlich ist die internationale Verwendung des Schwedischen aus Marketing strategischen Gründen nicht zwingend ein Verkaufsgarant, muss sich doch der geneigte Rockfan an diese Sanges-Sprache erst einmal heran tasten. Darum ist man in der zweiten Auflage der Band irgendwann zum Englischen übergegangen. Schön, dass man seine Wurzeln nun auch durch die eigene Sprache zurück gewinnt. Back to the roots.

Übrigens, auf Deutsch bedeutet der Titelsong "Dårskapens Monotoni" gemäß dem Translator in etwa so viel wie 'Torheit Monotonie'. Nein, monoton wird es ganz sicher nicht. Kaipa da Capo ventilieren schon in diesem ersten zehn minütigen Werk mit großer Spielfreude über dem Grundmuster des Songs. Sie grooven auch mal bluesig entspannt durch die weite schwedische Landschaft, kommen aber immer wieder zum Hauptthema zurück, ganz wie es sich in guten progressiven Nummern gehört (dieses kommt im dritten Song "När Jag Var En Pojk" noch einmal in einer ganz anderen Stimmungslage zum Tragen: 'Als ich ein Junge war' – lautet die Übersetzung des Titels). Hier und da kommen stilistische Verwandtschaften mit Transatlantic auf und das epische Finale weckt Erinnerungen an manche ausladende Flower King Eskapade. Verwundern kann das nicht, ist doch der Saiten-Mann bei allen genannten Bands der gleiche.

In der Vergangenheit wurden Kaipa insbesondere in Schweden häufig mit den frühen Genesis und Focus verglichen. Das macht wahrlich Sinn und scheinbar möchte die Band die Beweise für diese These auch auf dem neuen Album liefern. "Spär Av Vär Tid" startet wie einst Genesis legendäres "The Fountain Of Salmacis" und der Gesang könnte in der ersten Sequenz fast einem Ray Wilson zugeordnet werden. Ist es womöglich auch ein Zeichen für brüderliche Verbundenheit, dass Roine sein Label, das diese Platte produziert hat, einst nach einem sehr berühmten Genesis Album benannt hat? Foxtrot eben.

Schaut man auf das elegische "Det Tysta Guldet" (Das stille Gold) mit seiner sakralen Orgeluntermalung, die unisono mit der Gitarre einige besonders gefühlvolle und bewegende Phrasen kreiert, dann haben wir den Focus-Sound, mit dem Jan Akkerman und Thijs van Leer einst berühmt geworden sind. Sehr schön, wie die Band aus dem ruhigen Plätschern eines Baches heraus das Thema des Stücks aufbaut. Scatartiger Gesang schwebt jazzig im Hintergrund, verschiedene Keyboard-Lines legen sich ausschwärmend über die Basis. Die Atmosphäre wird durch melodiösen Gesang und Roines wieder einmal mitreißendes Gitarrenspiel präzise aufrecht erhalten und zum Finale mäandern wir sanft aus dem Song, wie wir in ihn hinein geraten sind. Am Ende ist nur noch das Plätschern des Wasser zu hören.

Roine Stolt ist ein ungeheuer vielseitiger Gitarrist, ein musikalischer Landschaftsmaler, mit feinem Federstrich, aber auch bluesig erdig, wenn es angeraten ist. Und ausgestattet mit einem unvergleichlichen Gefühl für Melodien, die niemals trivial wirken. Technische Fertigkeit und Virtuosität in perfektem Einklang. Verbunden mit einer offenkundigen Liebe zur Natur und dem Menschen darin erhebt sich seine Musik zu einer Art Lobpreisung an die Schöpfung. Das müsste sein langjähriger Wegbegleiter aus besten Transatlantic-Tagen, Neal Morse wahrlich gern sehen.

Und in "Tonerna" darf Roine sich gewaltig austoben. In dem bald zwanzig Minuten währenden Mammut-Werk legt ein basslastiger, jazziger Groove mit schönen Hammond-Einwürfen den Grund und Boden für die wirklich großen Soli des Meisters auf diesem Album. Hier zieht Roine noch einmal alle Register seiner Kunst. Seine Spannungsbögen sind wie ein Ritt auf dem Regenbogen durch eine faszinierende Welt der Farben und des Lichts. Einzigartig.

Am Ende schenken uns Kaipa da Capo dann noch ein völlig unerwartetes retrospektives Erlebnis mit philosophischem Tiefgang. Schon der Titel "Monoliten" (Monolith) lässt Erinnerungssequenzen an Kubricks Meisterwerk erwachen. Ja genau, der viel sinnierte Monolith aus '2001-Odyssee im Weltraum'. Im Ausklang des Songs landen wir akustisch und völlig unvermittelt in den Schluss-Szenen des Films und eine sehr freie Übersetzung mit Hilfe des Translators bestätigt unsere Empfindungen:

»Wir leben, wo wir sind. Mit offenem Geist schaffen wir eine Welt, eine Welt, die scheint – voll von leuchtenden Sternen und Rubinen. In einem Haus, einem Hafen, wo die Dunkelheit verschwindet. Wir sind in einem endlosen Raum. Wir sehen auf ein Sternen übersätes Firmament. Wir treiben durch eine Welt der Träume, als Götter auf einem zeitlosen Wind, als Götter auf einem zeitlosen Wind«. Ob Kubrick damals ähnliches empfunden haben mag? Viel schöner kann man diese Idee jedoch kaum in Worte fassen. Eine Ode an das Leben und das Göttliche in uns allen.

Vor uns liegt ein aufrichtiges Album mit einer wunderbar lebensbejahenden Grundstimmung, ausgedehnten Klangmalereien und einem Roine Stolt, der mich hier weit mehr mitnimmt als auf der ebenfalls in diesem Jahr erschienenen Zusammenkunft mit dem Yes-Veteranen Jon Anderson. Roine ist unzweifelhaft der rote Faden und der Taktgeber auf "Dårskapens Monotoni", der Regisseur in einem Film, der die Liebe zu unserer Umwelt und das Göttliche im Menschen zelebriert. Der Altes und Neues zusammen führt und manche Überraschung bereit hält. Freunde progressiver Musik werden ihre pure Freude daran finden, dafür muss man nicht Schwedisch lernen.


Line-up Kaipa da Capo:

Ingemar Bergman (drums, percussion)
Tomas Ericsson (bass)
Roine Stolt (guitar, vocals, keyboard)
Michael Stolt (lead vocal, guitar, keyboards)
Max Lorentz (keyboards, vocals)

Tracklist "Dårskapens Monotoni":

  1. Dårskapens Monotoni
  2. När Jag Var En Pojk
  3. Vi Lever Här
  4. Det Tysta Guldet
  5. Spär av vär tid
  6. Tonerna
  7. Monoliten

Gesamtspielzeit: 66:35, Erscheinungsjahr: 2016

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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