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Kaipa da Capo – Konzertbericht, Oberhausen, Zentrum Altenberg, 08.02.2017

Legenden stehen im Licht und zelebrieren ihr Dasein – oder sie blühen im verborgenen und werden nur wenigen bewusst.

Roine Stolt ist als Gitarrist in der Prog-Szene sicherlich unumstritten, für mich ist er der wahre Meister dieser Musik, jemand, den selbst ein David Gilmour um Rat fragen würde. Ist das die Ansicht eines Fans? Ganz sicher!
So oder so war es eine große Freude zu lesen, dass Kaipa, wenn auch aus rechtlichen Gründen unter dem Namen Kaipa da Capo, noch einmal auf Tour gehen werden – wenn ich es denn richtig verstanden habe, dann zum letzten mal.

Sie spielten uns einen wunderschönen Set, der tief in die Geschichte der Band zurückführte und aus den Jahren 1975-77 einige grandiose Kompositionen zum Besten gab, so wie wir sie wohl nie wieder zu hören bekommen. Was soll ich sagen, ob Roine Stolt nun Songs der Neuzeit, gerne auch bei Transatlantic oder Flower Kings intoniert – was immer der Mann tut, er spielt eine Gitarre, die niemals in dieser Welt ersonnen sein kann. Harmonien und Läufe, die wie der Handschlag eines gütigen Gottes wirken, der mal eben die Wolken auseinander schiebt und seinen Geist an all diejenigen herabschickt, die ihm verständnisvoll entgegen treten. Roine spielt eine Gitarre, wie wir sie nicht einmal bei Herrn Gilmour gehört haben.

Die ersten drei Kaipa-Scheiben aus den Jahren 1975 bis 1977 waren somit ebenso präsent wie das neue Album, von dem wir vor der Halbzeitpause nur einen einzigen Song geboten bekamen. "Det Tysta Guldet", das stille Gold, lässt sich laut Roine nicht wörtlich ins Deutsche übersetzen und ist eine Art Protest gegen die politischen Entwicklungen in unserer Welt. Musikalisch docken sie verstärkt bei Focus an, das habe ich ja schon bei der Studioplatte behauptet. Einzigartig bleibt aber die Art und Weise, wie sie grundsätzlich folkloristische Themen mit jazzigen Attituden in ihren locker fließenden Prog einbringen und somit ihrer Musik eine ungeheuer positive Energie einpflanzen, versehen mit Originalität und Authentizität, nicht allein durch Verwendung der eigenen Sprache. Das reißt uns alle mit, auch wenn wir des Schwedischen nicht mächtig sind.

Den zweiten Set beginnen die Jungs mit dem Titelstück des neuen Albums, "Darskapens Monotoni", die hymnische Gitarre von Roine überstrahlt einfach alles, wenn sie diesen Song eröffnen.

Manchmal werden sehr irdische Probleme zum Hemmnis einer Rock-Tour. Roine erzählte auf der Bühne, dass sich Keyboarder Max Lorenz im Dezember einen Fuß gebrochen hat, als er einen besoffenen Enthusiasten daran hindern wollte, die Bühne zu verwüsten. Das war nicht bei einem Kaipa-Konzert, sondern einer eigenen Punk Rock-Angelegenheit der Fall. So oder so das Aus für die Europa-Tournee. Roine musterte uns und fragte leicht ironisierend: »Gibt es denn einige Besoffene oder Bekiffte unter Euch? Nein? Na, dann sind wir ja einigermaßen sicher hier oben auf der Bühne« und Lalle Larsson an den Keyboards durfte einspringen – ein Musiker, der von seiner Geschichte und seinem musikalischen Background perfekt in die Combo passt. Wer sich einmal mit dessen Vergangenheit befasst, wird nicht nur auf Rockmusik, sondern auch eine ganze Menge Liebe zum Jazz stoßen – und das hat man bei dem einen oder anderen Solo sehr erfreut heraus gehört.

Natürlich spielen sie "Tonerna", das gewaltige Epos vom neuen Album und bieten dem Chef eine Menge großartiger Gelegenheiten, sein einzigartiges Gitarrenspiel dramatisch in Szene zu setzen. Egal, wie dezent sich Roine auch verkaufen mag, seine Phrasierungen nehmen uns in epischen Ausschweifungen ein ums andere Mal mit auf einen astralen Trip, lassen uns abdriften in eine schönere Welt voller Frieden und Liebe. Roine ist nicht nur ein Musiker, er ist ein musikalischer Maler, ein Magier, ein monumentaler Macher, der mit seinen meisterhaften Ausschweifungen die Menschen in eine bessere Welt zu führen vermag. Zumindest für die Zeit des Konzerts – und ein bisschen Halbwertzeit.

Kaipa Da Capo, Lalle

Kaipa da Capo-Lalle

Wenn sich zum Schluss die Band entscheidet, noch einmal ein Stück Holz aufzulegen und Roine und Lalle sich in einem wahrhaft erdig, bluesigen Duett gegenseitig den Rotz aus der Nase spielen (sorry für das unschöne Bild, es soll nur helfen zu verdeutlichen, dass Menschen, die genial majestätische Melodien erfinden können, mitunter auch sehr ursprungsbewusst agieren), dann reißt es das Zentrum Altenberg und alle seine heute eher betagten Gäste mächtig aus den Latschen. Die Jungs können einfach alles, selbst der Blues ist ihnen nicht fremd. Und wenn letztlich so etwas wie eine Reminiszenz im finalen Crescendo aus dem "Whirlwind" von Transatlantic ertönt, dann wissen wir hier und heute Abend, dass uns ein ganz Großer der progressiven Musikszene aufgespielt hat, ganz intim und zum Anfassen. Dieser Abend wäre gerade recht für ein ganz großes Auditorium gewesen.

Am Ende stehst du da, deinen Helden direkt vor dir. Und du bedankst dich artig für das geile Konzert. »Hey«, sagte Roine, »Du siehst echt glücklich aus!« Wow, da hätte es tausend Antworten drauf gegeben, aber mir fiel nur ein, mich dafür zu entschuldigen, dass ich heute Abend keine Platten kaufen kann. Warum? Weil ich die alle bereits zuhause in meinen Regalen stehen habe. Was soll man nach so einem eigenen Blödsinn noch Schlaues sagen? Damit entschwand mein großer Held und ich konnte mich nur noch daran erfreuen, dass der Heimweg von Oberhausen nach Duisburg genau sechs Minuten Zugfahrt bedeutet. Im Grunde kam ich mir vor wie ein Vollidiot, der vielleicht ein tolles Gespräch hätte führen können, aber an diesem Abend einfach zu blöd dafür war.

Das ist nun einmal Geschichte und ich werde bemüht sein, es bei Neal Morse in Aschaffenburg besser zu machen. Immerhin hab ich den ja schon mal am Draht gehabt, wenn auch nur schriftlich. Übrig bleibt für mich die Erinnerung an einen meiner größten Helden, der sich erfrischend volksnah zeigte, aber dennoch alle Register seines unglaublichen Könnens zeigte. Roine Stolt ist und bleibt ein Gitarrengott, Kaipa, wie die Original-Band nun immer noch heißt, war vielleicht schon immer sein leidenschaftlichstes Projekt. Wohl dem, der dabei war.


Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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