»Hut ab, Daumen hoch, Namen merken« schrieb Kollegin Sabine vor etwa siebeneinhalb Jahren, als sie das Album Love & Respect der amerikanischen Singer und Songwriterin Anna Karney rezensierte. 2018 hatte ich dann das Vergnügen, ihren fünften Longplayer No Mercy zu besprechen und dem Album das Prädikat 'Tipp' zu verleihen.
Die stimmliche Präsenz der Sängerin ist einfach phänomenal und wie ich bereits damals schrieb, ist die Schublade Singer/Songwriter nicht groß genug für diese Musik. So ist das auch auf dem neuen Output "Better", der leider lediglich eine 19-minütige EP mit drei neuen Stücken, einem Remix ("Snake Oil Salesman" vom "Love & Respect"-Album sowie einer Coverversion) ist. Man könnte aus Erfahrung annehmen, dass eine EP vor einem neuen Album platziert wird, um zu schauen, wie es läuft. Hier jedoch ist es wohl eher so, dass die Sängerin auch für soziale Gerechtigkeit und positive Attitüden eintritt und daher in der momentanen Zeit mit all dem Negativen einfach ein paar Songs dazu veröffentlichen wollte.
So ist dann auch u.a. » … constant chaos in the news« einer der Motivatoren für die neuen Stücke. Sie fragte sich »How can a social justice songwriter stay silent during this trying times?«. Da die EP nun vor uns liegt, konnte sie wohl nicht stillhalten und geht in ihren Lyrics sardonisch zur Sache. Der EP-Name "Better" ist bewusst gewählt, um den Fokus hin zum Positiven, zu Hoffnung und auch Mut zu legen.
Natürlich liegt mein Interesse erst einmal am Coversong "Ramble On" von Led Zeppelin. Nicht unbedingt die erste Wahl für eine Singer/Songwriterein, möchte man meinen. Aber da diese Schublade, wie gesagt, eh' zu klein für Anna ist und die Zeps zu ihren Favs zählen, hat dieses Stück den Weg auf die Platte gefunden. Und es wird geradezu zelebriert. Die Band agiert sehr nahe am Original und bis auf das fehlende Timbre des Herrn Plant, ist da alles am richtigen Fleck. Die Band um Anna ist allerdings nicht ohne, sind mit Kevin White und James DePrato (beide Chuck Prophet) doch zwei Könner am Werk, die aus ihren Saiten herausholen, was immer auch nötig ist. Mit Erik Smyth ist ein zweiter Gitarrist an Bord, Bill Burgess ist der Dritte im Bunde (hier an der Flamenco Gitarre zu hören) und dann gibt es noch einen vierten Sechssaiter, gespielt von Anna selbst. Wenn Anna nach den abendlichen Shows zum Tagesgeschäft wechselt, bedeutet das übrigens einen Chor zu leiten sowie an öffentlichen Schulen Gitarre zu unterrichten. Soviel zu den Saiten in der Band. Jeff Herrera ist die konstante Größe an den Trommeln und dem Rhythmus. Bill Oritz dürfte von Santana bekannt sein.
Schon der Titeltrack zeigt famose Gitarrenparts und ein tolles Zusammenwirken von Bass und Drums, während Bill im Hintergrund die Trompete gen Decke richtet. Anna singt von allgegenwärtigen Nachrichten, die das bringen, was die Leute hören wollen. Die Echos dieser Worte sind überall und wabern bis hoch in die Atmosphäre. "Trust" geht es etwas ruhiger an, hat aber eine Melodie und Hooks sowie Wechsel von Dur nach Moll und vice versa, dass es einem glatt den Atem verschlägt. Das ist ein ganz großes Stück Musik. Wer immer hier die Lead Gitarre dazu spielt, sollte geadelt werden.
Sabine erwähnte bereits den orientalischen Touch von "Snake Oil Salesman" in ihrer Besprechung. Auf "Better" ist das Stück in einer Remix-Version vorhanden. Das Original kenne ich nicht, kann den Orient aber auch hier erkennen. Es ist immer wieder faszinierend, wie alleine durch Rhythmuswechsel von Bass und Fellen das Ohr vom Abend- ins Morgenland geführt wird. Natürlich sind auch Gitarre und Gesang durch (wahrscheinlich) Verlassen gewohnter Tonleitern beteiligt. Für mein Ohr sind diese orientalischen Klänge immer wieder ein ohrales Erlebnis.
"Round And Round" ist wohl noch am ehesten mit Singer/Songwriter-Output zu vergleichen, da die Nummer etwas ruhiger ist, die Instrumente gezügelter daherkommen und besonders die Flamencogitarre und das Akkordeon den Fokus auf die Lyrics verstärken. Das bringt mich abschließend noch einmal in die Schublade, die man einerseits so gar nicht richtig mag, die es auf der anderen Seite aber einfacher macht, Worte über Musik zu verlieren, bzw. Interesse an einer Scheibe zu wecken. Wenn Singer/Songwriter bedeutet, dass man Songs schreibt, sie auch singt und die Texte das Klischee von Schnaps, Sex, Party und all den guten Sachen nicht bedienen, sondern tatsächlich tief gehen, dann passt die Schublade. Wem das musikalisch aber nicht genügt, sollte Karney trotzdem antesten, denn es rockt und hier und da spitzelt auch etwas Americana durch.
Leider ist "Better" etwas kurz geraten, aber Anna wollte wohl nicht warten, bis ein komplettes Album fertig ist. Auf eine Platte in spe hat "Better" schon neugierig gemacht. Warten wir es ab, denn die Themen die Karney am Herzen liegen, werden wohl nicht weniger …
Line-up Karney:
Anna Karney (vocals, guitar, keys)
Jeff Herrera (drums and percussion)
Erik Smyth (guitar)
Kevin White (bass)
James DePrato (guitar)
Bill Ortiz (trumpet)
Michael Hajimichael (additional words – #4)
Bill Burgess (flamenco guitar)
Julie Wolf (accordion)
Tracklist "Better":
- Better
- Trust
- Ramble On
- Snake Oil Salesman
- Round And Round
Gesamtspielzeit: 18:57, Erscheinungsjahr: 2020
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