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Karney / No Mercy – CD-Review

Karney / No Mercy - CD-Review

"No Mercy" ist das fünfte Album der amerikanischen Singer/Songwriter- sowie Saiten- und Tastenspielerin Anna Karney. Wobei die Schublade Singer/Songwriter für vorliegendes Album mit Vorsicht zu genießen ist, denn das Spektrum ihres neuen Outputs reicht weit über das hinaus, was man gemeinhin der Singer/Songwriter-Zunft zuschreibt.

Anna komponierte früher Musik für Computerspiele, arbeitete als Chorleiterin und Dirigentin an Schulen und daneben ist noch so einiges mehr in ihrer musikalischen Vita zu finden. Als musikalische Einflüsse nennt sie Bob Dylan, Neil Young, John Lennon, Sheryl Crow, Chrissie Hynde, Fela Kuti und Joni Mitchell. Sehr gute Einflüsse, wie ich meine und aus ihrer Stimme ist weit mehr, als die genannten Damen herauszuhören: rockige Heart, eine elektrische Melanie, eine powervolle Carole King und weiß der Geier, was noch alles.

Dabei hat Anna außer ihrem Organ noch zwei weitere, dicke Granaten in der Hinterhand. Zum einen ein unglaubliches Talent für Songwriting und Arrangement. Da krachen mit "No Mercy" und "Wild Green" gleich zu Beginn zwei Rocker aus den Lautsprechern, die einfach nur überzeugen und aus einem CD-Hören-um-ein-Review-zu-schreiben, ein fesselndes Zuhören machen. Danach folgen zwei etwas gemäßigtere Stücke mit Melodien, bei denen man sich fragt, wie man auf so etwas Geiles kommen kann. Wären die folgenden acht Nummern des Albums Mist, würden die bisher genossenen ausreichen, um ein gutes Werk vorliegen zu haben. Es liegt aber ein sehr gutes vor, obwohl das gerade laufende "I Got Mine" die bisher gelegte Lattenhöhe nicht ganz erreicht.

Granate Nummer zwei ist die Band, deren Musiker aus dem Musik-Mekka, der Bay Area kommen. So zum Beispiel Kevin White und James De Prato, die beide von Chuck Prophet bzw. The Mission Express kommen. Paul Hanson kennt man u. a. von Bela Fleck und dann ist da noch Trompeter Bill Ortiz. Dieser Tausendsassa (u. a. Santana) läuft mir in letzter Zeit oft über den Weg und auf vorliegender Platte sorgt er mit dafür, dass mit "I Got The Light" sowie "Nine Lines (In The 21st Century)" Kronjuwelen in Musik verpackt wurden. Diese beiden Stücke sind in letzter Konsequenz so genial, dass ich gar nicht anders kann, als diesem Album von Karney einen Tipp zu verpassen.

"I Got The Light" beginnt mit einem forschen Rhythmus, vielleicht eine Mischung aus Love Her Madly und Serenade in den sich alsbald in bester Chicago-Manier das Gebläse einschleimt. Darüber thront Annas Stimme, gekonnte Gitarrenlinien definieren Gänsehaut neu und ein Break bringt eine Spur Salsa, Fagott und Trompete duellieren sich, Blood, Sweat & Tears lugen um die Ecke und fast bricht eine Welt auseinander, wenn die Nummer nach viereinhalb Minuten endet.

"Nine Lines (In The 21st Century)" startet auch rhythmisch, allerdings sind die Gitarren nun eher düster und gemahnen an Ad Vanderveen und Lee Clayton. Und wieder ist es Annas Stimme, die über den instrumentalen Köstlichkeiten die Fäden zieht. Im Verlauf gibt es ein Fast-Hip Hop- oder Rap-Gespräch (da kenne ich mich nun gar nicht aus) zwischen Anna und (wahrscheinlich) Michael Hajimichael in Zeitlupentempo. Das 'Gespräch' klingt schwarz und zu den desertigen Gitarren könnte das nicht besser passen. Ein Genuss!

Aus den Vollen wurde auch bei den Leuten hinter der Studioscheibe geschöpft. Da stehen bei Produzent und Techniker Namen wie Grace Jones, Santana, Papa Roach, Herbie Hancock, Dave Matthews, Branford Marsalis oder Lyle Lovett in den Vitas.

Dass Karney in ihrer Heimat laut Promoter ein gutes Airplay hat, zeigt wieder einmal, wie traurig es eigentlich um die deutsche Radiolandschaft bestellt ist. Wenn überhaupt, wäre Karney wohl nur auf Spartensendern, denen das Wort Kulturauftrag wichtiger als Quotenerfüllung ist, zu hören. Oder in Nachtprogrammen, in denen der Moderator freier in seiner Musikauswahl ist. Wie auch immer, die Platte steht nun im Regal und sie wird laufen …


Line-up Karney:

Anna Karney (vocals, guitar, keys)
Jeff Herrera (drums and percussion)
Michael Doyle (guitar)
James DePrato (guitar)
Kimon Manolis (bass)
Kevin White (bass)
Bill Ortiz (trumpet)
Pal Hanson (elecrtic bassoon)
Michael Hajimichael (poems – #2)
Karl Perazzo (percussion)

Tracklist "No Mercy":

  1. No Mercy
  2. Wild Green
  3. Restless Wind
  4. Same Song
  5. I Got Mine
  6. Speed Of A Bullet
  7. Not Lost
  8. Hold On
  9. Beautiful Day
  10. I Got The Light
  11. Manifest Destiny
  12. Nine Lines (In The 21st Century)

Gesamtspielzeit:45:54, Erscheinungsjahr: 2018

Über den Autor

Ulli Heiser

Hauptgenres: Mittlerweile alles, was mich anspricht
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