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KEEP IT TRUE RISING – Festivalbericht, 19 & 20.11.2021, Würzburg, Posthalle

KEEP IT TRUE RISING – Festivalbericht, 19 & 20.11.2021, Würzburg, Posthalle

Man befindet sich schon am Rande des absoluten Wahnsinns, in diesen abstrusen Zeiten ein zweitägiges Indoor-Festival akribisch im Vorfeld zu planen und trotz aller Widrigkeiten auch durchzuziehen. Doch davon lässt sich ein Oliver Weinsheimer (Keep It True, Metal Assault, Hammer Of Doom, Harder Than Steel und Hammer And Iron) nicht klein kriegen. Hatte er Keep It True Rising, mit rein europäischer Bandaufstellung, erst als 3 G-Veranstaltung geplant, musste er sich in den folgenden Wochen immer mehr und mehr den bayrischen Pandemieverordnungen von Regent M.S. beugen.

Bis zuletzt schwitzten, hofften und bangten – und das ganz sicher nicht mit der Kopfbewegung – Veranstaltercrew und Fans um das Event, dessen Grundvoraussetzung 'Ohne Maskenpflicht und Abstand' stets als oberstes Gebot bestehen blieb. Einige Tickets wurden aufgrund der sich ändernden Vorschriften natürlich nach und nach wieder zurückgegeben, andere zum Schleuderpreis auf Onlineplattformen und bei Social Media verjubelt. Durch die in der voraus gegangen Woche entworfenen 2G Plus-Regel einigte sich Oliver letzten Endes mit der strengen blau-weißen Obrigkeit und so stand einem Familientreffen der anderen Art mit rund 1800 Gleichgesinnten nichts mehr im Wege. Es folgt – man möge mir dafür journalistische Diplomatie absprechen und es als überlangen Ferienaufsatz in Krisenzeiten abstempeln – ein sehr persönlicher, emotionaler Bericht des wohl schönsten und eindrucksvollsten Wochenendes des Jahres.

Angekommen in Würzburg, ging es erst einmal in die Fußgängerzone der malerischen Altstadt. Sightseeing war jedoch wohl der letzte Gedanke, welcher unserer Reisetruppe in diesen Momenten vorschwebte, denn es stand der notwendige Schnelltesttermin an. Zweimal kitzeln im Nasenloch, 15 Minuten in Angst und Bange ausharren und schon hatte man seine zweite Eintrittskarte, welche beim Einlass an der ersten 'Kontrollschleuse' auch akribisch mit dem Impf- bzw. Genesenenzertifikat und Personalausweis abgeglichen wurde. In der zweiten Schleuse wurden noch die Tickets kontrolliert und die Kontaktdaten erfasst. Wer alles digital macht und sich gerne von seinen Endgeräten überwachen lässt, öffnete hier vor den Augen der Security seine Luca-App, analoge Knallköppe konnten einen Zettel ausfüllen. Ich persönlich bevorzuge seit Anbeginn letztere Variante. Man muss sich ja nicht komplett und ohne Kritik der aktuell vorherrschenden '1984-Mentalität' hingeben … Aber das ist eine rein subjektive Meinung!

Venator

Venator

Als dann das ganze Tamtam durchgestanden war und man endlich die heilige, altehrwürdige Posthalle direkt am Würzburger Hauptbahnhof betreten durfte, eröffneten um Punkt 13 Uhr nachmittags die österreichischen Newcomer Venator den feierlichen Reigen. Ein wenig verloren wirkten die Jungs, besonders Frontmann Johannes, noch auf dieser großen Bühne, denn bisher haben sie sich eher in Clubs und auf kleinen Festivals, wie beispielsweise beim Iron River Festival 2020 im tschechischen Pisek einen Namen gemacht. Trotz aller merklichen Nervosität spielten sie – sichtlich überwältigt vom Publikum – mit viel Spaß in den Backen einige Songs ihres im Februar erscheinenden Albums "Echoes From The Gutter" sowie der letztjährigen Debüt-EP "Paradiser". Wer sich gerne mit neu aufkommenden New Wave Of Traditional Heavy Metal-Truppen auseinandersetzt, der sollte das Linzer Quintett mal ganz schwer auf dem Radar behalten.

The Night Eternal

The Night Eternal

Weiter ging’s im Programm mit The Night Eternal aus dem Ruhrpott, die zwar auch noch unter die Rubrik Newcomer fallen, jedoch bereits in prä-pandemischem Zeitalter mit einer EP auf sich aufmerksam machen konnten und das erste Hammer And Iron im Januar 2020 in Essen eröffneten. Wenige Wochen vor dem Festival stand auch endlich die erste Full-Length "Moonlit Cross" in den Regalen, wovon ein Großteil zum Zuge kam. Wer auf düsteren Heavy Metal vom Schlage Idle Hands/Unto Others oder In Solitude abfährt, kam hier voll auf seine Kosten. Immer sehenswert auch die leidenschaftliche Bühnenperformance von Gesangsderwisch Ricardo, der mit seinen Dreadlocks wie ein Flitzebogen über die Bretter huschte.

Century

Century

Ob Century aus Schweden ihrer Platzierung als bereits dritte Band gerecht wurden, lässt sich bestreiten. Fakt ist: das Trio wirkte in seiner Performance stellenweise noch etwas unsicher, was vielleicht auch daran liegen könnte, dass dies hier tatsächlich ihr erster Auftritt überhaupt war. Auf dem Schirm behalten sollte mal sie trotz alledem, denn der herrlich kauzig-verschrobene Heavy/Power/Epic Metal bringt selige Erinnerungen an ihre in die Jahre gekommenen Landsmänner Heavy Load und Gotham City auf. Schade, dass vor Ort keine Tonträger mehr (Debütdemo) bzw. noch nicht (kommendes Album) zu ergattern waren. Wir bleiben dran!

Zu den folgenden Seven Sisters muss ich mich leider etwas zurücknehmen, da mussten auch mal zwischendurch eingeschobene organisatorische Dinge erledigt werden und der Magen knurrte auch allmählich los … Was ich noch mitbekam, bestätigte meine Einschätzung von früheren Liveshows. Solider wie eigenständiger Heavy Metal, der manche mehr, manche eben weniger vom Hocker reißt. Einige Schreiberkollegen und Bekannte sprachen gar vom Tageshighlight. Ist für mich eine Band, die mir in Clubs wahrscheinlich mehr abgehen. Aber so ist das mit den Meinungen eben!

Jutta Weinhold, Velver Viper

Jutta Weinhold, Velver Viper

Doch ab Punkt 17 Uhr wurde das vordere Drittel vor der Bühne nur noch während den Umbaupausen verlassen, denn der Generationenwechsel von neuen Acts zu alten Meistern stand an. Den Livemarathon eröffnete mit Velvet Viper um Jutta Weinhold die »Mutti des German Metal«, wie wir sie in unserer Reisegruppe gerne liebevoll betitelten. Stolze 74 Jahre ist die Frau, gebürtig aus meinem Nachbarort Essenheim bei Mainz, nun schon alt. Anmerken kann man ihr das zu keiner Zeit. Keine Ahnung, wie man es schafft, mental und optisch so jung zu wirken. Positive Lebenseinstellung vielleicht? Nun, egal: angekündigt wurde ein reines Zed Yago-Set und natürlich wurde das Versprechen auch nach allen Regeln der Kunst eingelöst. "The Spell From Over Yonder", der legendäre "Black Bone Song", das stampfende "Rebel Ladies": hier blieben keine Wünsche offen. Ich verneige mich vor dieser hochklassigen Leistung und hoffe, dass uns die gute Dame noch lange erhalten bleibt!

Gut bestellt war es an diesem Wochenende um belgischen Metal der 80er Jahre; als erste von drei Kultacts durften OSTROGOTH aus Gent in den Ring steigen. Mit einem Feuerwerk ihrer alten Klassiker zündeten Songs wie "Queen Of Desire", "Too Hot", "Paris By Night" und die Bandhymne "Full Moon’s Eyes" beim textsicheren Publikum natürlich auf Anhieb wie eine V2 und als die Mannschaft um das einzig verbliebene Originalmitglied und Drummer Mario Pauwels die Bretter verließ, gab es durch die Reihen nur glückliche, zufriedene Gesichter zu sehen. Immer wieder ein Fest!

Acid

Acid

Was hatte sich die gesamte Szene im Vorfeld des bis heute in der Schwebe befindlichen 2020er Keep It True dermaßen ein drittes Nasenloch gefreut, als angekündigt wurde, dass Acid sich reformieren. Für mich persönlich zählen die Landsleute ihrer Vorband seit meiner späten Teenagerzeit zur absoluten Speerspitze des 'female fronted Metal', als eine der unterbewertetsten Bands des Speed Metal generell. Ganz zur erwarteten Reunion kam es letzten Endes jedoch leider nicht, denn zwischenzeitlich gingen Sängerin Katrien De Lombaert und Drummer Geert 'Anvill' Ricquier wieder getrennte Wege. Obwohl für den Nachholtermin nächstes Jahr bereits fest eingeplant, holte Mr. Weinsheimer Kate mit ihrer Version der Band zum Aufwärmen bereits auf dieses Festival. Okay, lange Rede kurzer Sinn: als die ersten Riffs zu "Acid" angestimmt wurden, fiel ich prompt in eine Trance, die sich erst langsam nach dem Grande Finale "Heaven’s Devils" wieder normalisierte.

Katrien De Lombaert

Katrien De Lombaert

Man mag mir ein wenig die 'rosarote Brille' nachsagen, aber wenn man wie Acid einfach nur Übersongs in der kurzen Karriere der ersten 80er-Hälfte aufgenommen hat, dann kann eine derartige Geschichtsstunde nur zum Volltreffer werden.

Natürlich würden jetzt böse Zungen behaupten, die Muddi hat sich mal wieder in Schale geworfen und nochmal ihre Jugend aufleben lassen, doch auch stimmlich ist Kate für ihr Alter nach wie vor eine absolute Granate. Die Backingband, bestehend aus jungen Kerlen zwischen 25 und 35, beherrscht die Tracks blendend und sorgte dafür, dass verstaubte, aber messerscharfe Granaten der Marke "Hooked On Metal", "Max Overload", "No Time" oder "Lost In Hell" sitzen wie eine Eins … Somit avancierte Kate’s Acid mit leichtem Vorsprung zum persönlichen Tageshighlight und 60 Minuten Stimmprobleme beim Sprechen dürften Bände sprechen. Ich freue mich auf das Wiedersehen in Königshofen nächstes Jahr! Wer weiß, ob dann auch das in Würzburg aufgrund der wohl etwas anstößigen Lyrics leider übergangene "Lucifera" angestimmt wird …

Triumph Of Death

Triumph Of Death

Kein Keep It True ohne einen deftigen, härtetechnischen Ausreißer nach oben! Für die Hartwurst-Fraktion hat sich Oliver dann auch gleich ein ganz besonderes Schmankerl überlegt und Tom G. Warrior mit Triumph Of Death verpflichtet. Hellhammer nennt er es aufgrund des Ablebens von Mitgründer Martin Eric Ain im Jahre 2017 nicht mehr, jedoch huldigt dieses Projekt (fast) ausschließlich der Jugendband des späteren Celtic Frost/Tryptikon-Frontmanns. Und so ging es gleich mit dem legendären "The Third Of The Storms" in die Vollen. Eine gute Stunde gab’s feinstes, räudiges Stumpf-ist-Trumpf-Geballer, was bereits auch schon wieder knapp 40 Jahre auf dem Buckel hat. Es ging ab wie Hölle im Publikum, die Boden klebte vor verschütteten Getränken und Tom haute einen Hammer nach dem nächsten ins gierige Publikum: "Massacra", "Crucifixion", "Reaper", "Revelations Of Doom", "Messiah", das Celtic Frost-Cover "Visions Of Mortality" oder die schleppend-beklemmende Bandhymne am Ende. Hier öffneten sich die Pforten zur Unterwelt und wir gingen mit Kusshand durch! YYYYYYEEEEESSSSS!

Candlemass

Candlemass

Candlemass und Keep It True war bisher immer eine Kombination, bei der es nie so wirklich funktionieren wollte. Scherzhaft sprach man in Kennerkreisen auch gerne mal von 'Cancelmass', wurden doch die geplanten Headlinershows 2010 (Vulkanausbruch auf Island mit schweren Einschränkungen des Luftverkehrs) und 2019 (Streik der skandinavischen Airlines) immer wieder kurz vor knapp verhindert. Dafür kam es dieses Mal umso geballter, denn die schwedische Epic Doom-Legende versprach uns nichts Geringeres als die ersten beiden Alben Epicus Doomicus Metallicus und " Nightfall" AM STÜCK!

Candlemass

Candlemass

Los ging’s mit dem 87er Zweitwerk, bei dem der zurückgekehrte Originalsänger Johan Längquist zwar nicht immer die eigenwilligen Vibrato-Gesangslinien eines Messiah Marcolin sicher intonierte, doch wer konnte ihm das verübeln? Trafen doch Meisterwerke wie "The Well Of Souls", "At The Gallows End" (!) und "Bewitched" direkt ins Herz der Anwesenden. Als das Debüt "Epicus Doomicus Metallicus" an der Reihe war, zog Johan alle Register, die Halle fraß ihm aus den Händen. Tränen flossen bei "Solitude", bei "Crystal Ball" flogen dutzende Fäuste in die Luft und beim Mitgrölpart am Ende von "A Sorcerer’s Pledge" brüllte gefühlt die ganze Halle mit. Bandchef Leif Edling zeigte sich sichtlich berührt, nach zwei gescheiterten Anläufen endlich auf der Bühne stehen zu dürfen und erwähnte zwischendurch spaßeshalber, es sei ihm nun auch egal, ob er danach noch zwei Wochen in deutscher Quarantäne verbringen müsse. Mit "Bearer Of Pain" von "Ancient Dreams" entließen uns die Schweden in die erste Nacht und wer noch Lust und Energie hatte konnte bei der Aftershowparty zu Klassikern aus der Konserve munter weiter feiern …

Sphinx

Sphinx

Ohne weiteren Testtermin (Die 24 Stunden-Frist war noch nicht verstrichen!) befanden wir uns am nächsten Morgen pünktlich zum Einlass um halb 11 erneut mit Sack und Pack an der Posthalle ein. Man darf es auch die ’schönste Quarantäne meines Lebens' nennen, denn ab dem Ablaufdatum hätte man ja erneut zum Schnelltest rennen dürfen, um wieder rein zu kommen. Lachhaft hin, lachhaft her: ich blieb also 14 Stunden 'gefangen' auf dem Gelände der Posthalle und drehte am Vormittag erst einmal eine Shoppingrunde auf dem hiesigen Metal-Markt.

Sphinx aus dem Ruhrpott sind gerade die Retro-Sensation der Stunde. Das junge Trio hat sich mit Herz und Seele den angeschwärzten Teutonic Thrash-Legenden verschrieben und die Frühwerke von Sodom, Violent Force und Destruction mit der Muttermilch aufgesogen. So liebenswert-chaotisch wie die Jungs war auch ihre Show (Zitat von Frontmann Bohrmann Aggressor: »Entschuldigung, wir haben nicht geprobt!«). Herrlich unperfekt gab’s hier 40 Minuten ordentlich 'Deadly Speed' auf die Glocke und man kann schon gespannt sein auf das Anfang nächsten Jahres erscheinendes Debütalbum "Deathstroke". Mit dem Venom-Cover "Heaven’s On Fire" wurde dem jüngst mit gerade einmal 30 Jahren plötzlich verstorbenen Bandkumpel Dennis noch eine letzte Ehre erwiesen. Geile Aktion, Jungs!

Megaton Sword aus der Schweiz scheinen momentan so etwas wie die Epic Metal-Rookies der Stunde zu sein, was man an einigen Bandshirts sehen konnte und auch nach Berichten der Stormcrusher Birthday Party im September mitbekam. Im Vorfeld hatte ich mich nicht genauer mit den Schweizern auseinandergesetzt und so hörte ich vor Ort einfach mal unbedarft rein. Nett war das Ganze durchaus, doch irgendwie wollte der Funke noch nicht so ganz überspringen, zu wackelig und unpassend der Gesang, der für mich wie ein Fremdkörper wirkte. Vielleicht springt der Funke ja in Zukunft eher über …

Wheel aus dem Ruhrpott haben mit "Preserved In Time" gerade im April ein neues Album nach acht Jahren Abstinenz veröffentlicht und so merkte man den Jungs auch die besondere Freude an, das neue Material endlich live rüber bringen zu können. Episch angehauchter, düsterer Doom gab’s hier zum gepflegten Nachmittagstee, doch bei all der ganzen Reizüberflutung (Stichwort des Wochenendes!) würde ich mir das Ganze in nicht allzu ferner Zukunft gerne noch einmal genauer in einem kleinen Club anschauen … Die Doomster kamen hier jedenfalls voll auf ihre Kosten!

Nestor

Nestor

Das Keep It True ist bekannt dafür, immer wieder für Überraschungskracher zu sorgen, die nur wenige auf dem Schirm haben und dann durch vorherige Mund-zu-Mund- bzw. Internetpropaganda doch mal neugierig reinschauen. Diese Ehre wurde heute den schwedischen Nestor zuteil. Newcomer sind diese Herren keinesfalls, doch ist ihr jüngst erschienenes Debütalbum "Kids In A Ghost Town" tatsächlich das erste Album ihrer über 25-jährigen Bandkarriere. Melodischer, vor Synthesizern geradezu triefender AOR/Melodic Hard Rock, vollkommen aus der Zeit gefallen und zwischen frühen Bon Jovi, Foreigner und Europe anzusiedeln: so könnte man sie grob umschreiben. Vorherige Zweifel, ob die in einheitlicher »Müllmänner-Uniform« (O-Ton eines Kumpels) gekleideten Herren den kritischen Ohren eines KIT-Publikums standhalten, pulverisierten sie bereits mit dem Opener "On The Run". Song für Song füllte sich die Halle mehr, bei der Ballade "Tomorrow" (Original im Duett mit Samantha Fox, kein Scherz!) half Marta Gabriel von Crystal Viper aus und spätestens mit den beiden abschließenden Gassenhauern "1989" und "Firesign" hatten sie unsere Herzen im Sturm erobert. Und da bereits vor Konzertbeginn die wenigen mitgebrachten CD-Exemplare vergriffen waren, wurde – kaum zu Hause die Tür reingekommen – gleich das Album per Netz bestellt. Man kann davon ausgehen, dass aus dieser Band noch eine etwas größere Nummer wird …

Killer

Killer

Nach Kate’s Acid und Ostrogoth am Vortag komplettierten Killer am Samstag den belgischen Kult Metal-Reigen. Die 'BeNeLux-Motörhead' legten gleich mit "No Future" einen alten Gassenhauer auf die Bretter und der für diesen Gig zurückgekehrte Originalbassist/Sänger Spooky schien vollkommen aus dem Häuschen zu sein, als er in die tobende Menge schaute. Würdevoll gealtert, hämmerte sich das Trio, bei dem sich Spooky und Gitarrist Shorty den Gesang aufteilten, durch unsterbliche Highspeed Rock’n’Roll/Speed Metal-Klassiker der ersten vier Alben, machte dabei keinerlei den Anschein, zum alten Eisen zu gehören und verließ die Bühne standesgemäß mit dem Hammerdoppel "Wall Of Sound" und der unsterblichen Partyhymne "Ready For Hell". Wo man hinschaute, gab es anschließend mal wieder nur glückselige, ausgepowerte Gesichter und dampfende, verschwitze Köpfe bei der Zigarettenpause im Außenbereich zu sehen. Was haben wir das alles so dermaßen vermisst!

Praying Mantis

Praying Mantis

Leider gab es wenige Tage vor dem Festival mit der Speed Metal-Kulttruppe Iron Angel noch kurzfristig eine Bandabsage zu beklagen, jedoch wurde der Slot letzten Endes frei gelassen, was auch ein wenig für Entzerrung sorgte und – natürlich Schade allemal – in dem Kontext wenig ins Gewicht fiel. So schickten sich anschließend Praying Mantis an, um die Fangemeinde melodischer NWoBHM-Heroen zu beglücken. Gleich zu Beginn wurden mit "Praying Mantis" und "Panic In The Streets" zwei Gassenhauer vom Debütalbum ins Rund geblasen, dazwischen gab es ein kunterbuntes Potpourri ihres Schaffenswerkes, bevor der Uralt-Hammer "Captured City" vom legendären "Metal For Muthas"-Sampler das Finale einläutete. Gitarrist Tino Troy genoss seinen Auftritt sichtlich in vollen Zügen, der würdevoll gealterte Herr in Glatze grinste das ganze Set über wie ein Honigkuchenpferd und auch ihr niederländischer Sänger John Cuijpers legte stimmlich einen Elan auf die Bretter, dass wahre Magie in der Luft hing. Großartige Band und immer wieder gut für positive Überraschungen; damals wie heute!

Ich muss gestehen: Atlantean Kodex mag ich seit ihren Anfängen, aber ich bin auch keine 19 mehr und schaffe es, mir ausnahmslos jede Band durchgängig anzusehen. Daher wurde hier zum Großteil pausiert, um für das große Finale Kraft zu tanken. Nichtsdestotrotz legte sich die Oberpfälzer Epic Metal-Crew wieder einmal ordentlich ins Zeug, Gitarrist Manuel Trummer kam geschmackssicher mit Turbonegro-Shirt auf die Bühne, um dem am Vortag verstorbenen Hank Von Hell eine kleine Ehre zu erweisen und als die gleichnamige Bandhymne zum Abschluss angestimmt wurde, war die gesamte Halle am Beben. Hoffentlich wird das seit dem ersten Pandemiewochenende verschobene Up The Hammers Festival in Athen nächstes Jahr im März nicht wieder nach hinten verlegt. Da ergäbe sich dann für die reisefreudigen Fans gleich zwei Mal die Chance; sowohl auf der Warm Up-Show als auch beim Hauptfestival. Abwarten, was kommt …

Demon gehören zu den spielfreudigsten NWoBHM-Bands überhaupt, sind auf klassischen Metal-Festivals zurecht gerne gesehene Gäste und so fügen sie sich natürlich erstklassig in dieses Billing ein. Dave Hill, nunmehr auch sagenhafte 74 Jahre alt, fegt noch immer für sein Alter wie ein Derwisch über die Bühne, trifft nahezu jeden Ton und bleibt einfach eine wahre Rampensau. Mit einem bunt gemischten Best Of-Set mit besonderer Betonung auf "The Plague" und "The Unexpected Guest" (je drei Songs) lieferten die Briten die volle Breitseite ab. Dave sorgte mit seinen unterhaltsamen Grimassen immer wieder für Hingucker und hatte auch wieder seine kultige Dämonenmaske wie schon beim 2018er Keep It True für die Zugabe "Night Of The Demon" am Start. Selbstverständlich durfte auch nicht die Überhymne überhaupt – "Don’t Break The Circle" – fehlen, bei der man sich immer wieder mit Pipi in den Augen und grölend in den Armen liegt . »The circle must keep going on and on«!
Immer wieder herzerwärmend, rührend und wunderschön! Bleibt uns bitte noch lange erhalten …

Blind Guardian

Blind Guardian

Ein großer Ruck ging durch die Gemeinde, als mit Blind Guardian als Headliner die wohl kommerziell erfolgreichste Band der Festivalhistorie angekündigt wurde. Normalerweise spielen die Krefelder ja doch eher auf Festivals wie dem Summer Breeze oder Bang Your Head!!! zu später Stunde, doch – Wuhan sei hier ausnahmsweise mal Dank! – konnte das Team sie aufgrund fehlender Konkurrenz am Markt für Keep It True Rising ins Boot holen. Angekündigt als »Old School-Show« schaute die Meute erst einmal reichlich blöd aus dem Häuschen, als sie mit "The Ninth Wave" vom 2015er "Beyond The Red Mirror"-Album auf die Bretter stiegen. Gut, abgehakt! Was jedoch danach losgerteten wurde, war nicht mehr von dieser Welt! "Welcome To Dying", "Nightfall", "Born In A Mourning Hall", "Lost In A Twilight Hall", "Time What Is Time"; die Meute ging völlig steil, meine Begleitung zerriss mir gar vor lauter Elan die Kutte am Kragen, als sie mich zum gepflegten Abschädeln vorziehen wollte. Eine Offenbarung für alle Fans, die die großen Meisterwerke der 90er verehren, durch die sich Blind Guardian in den Metal-Olymp spielten.

Blind Guardian

Blind Guardian

Natürlich: die zwei Frühwerke "Battalions Of Fear" ("Majesty") und "Follow The Blind" ("Valhalla") hätten ruhig noch ein klein wenig mehr zum Zuge kommen können und auch die etwas gestelzt wirkenden Ansagen von Hansi Kürsch kamen streckenweise ein wenig prüde rüber. Aber das alles ist Jammern auf allerhöchstem Niveau. Beim legendären "The Bard’s Song – In The Forest" gingen Handylampen und Feuerzeuge hoch, bei "Valhalla" setzte das Publikum alles dran, um bis über die Stadtgrenze hinaus gehört zu werden und mit dem abschließenden "Mirror Mirror" entließ uns die einheimische Legende lautstark in die Nacht. Kaum war der letzte Ton verklungen, ging jedoch erwartungsgemäß das Gemaule und Gemecker über die Setlist los. Wohin das Ohr reichte, gab es Verbesserungsvorschläge. Nun, man kann sich heutzutage natürlich das Leben noch extra schwer machen oder man wählt den entspannteren Weg und freut sich einfach wie ein Sechsjähriger an Weihnachten und Geburtstag zusammen, in solchen Zeiten ein derartiges Konzert erlebt zu haben. Ich persönlich bevorzuge letztere Variante und behalte es zusammen mit Acid am Vortag als Konzert des Jahres in bester Erinnerung!

Blind Guardian

Blind Guardian

Wer sich nachträglich ein Bild dieses zweitägigen Gipfeltreffens machen möchte, hat übrigens nach wie vor die Möglichkeit, sich ein Großteil der Shows online auf YouTube anzuschauen. Viele der Konzerte wurden von Kameramann Oliver 'Bomber' Barth und seiner Crew gefilmt und live ins Internet gestreamt. Wer nach diesem Bericht neugierig geworden ist, kann sich somit auch selbst von Auftritten überzeugen. Eine großartige Sache! Warum ich das Ganze übrigens wie einen Schüleraufsatz über ein Ferienerlebnis schreibe? Nun, 20 Monate sich andauernd ändernde Verordnungen, gesetzliche Kontaktbeschränkungen, Konzerte mit Abstandsregeln und zu aller Krönung die bedrückende Isolation im Lockdown-Winter 2020/21 lassen bei extrovertierten Konzertjunkies ihre Spuren in der Psyche. Umso imposanter dann das Gefühl, nach einer ewigen, folternden Durststrecke wieder etwas zu erleben, was man bis März 2020 für das normalste der Welt hielt …
Dafür ziehe ich meinen Hut vor der gesamten Crew und bin stolz darauf, zu einer kleinen, aber feinen Szene zu gehören, die sich niemals klein kriegen lässt und für ihre Überzeugungen kämpft!

Nachtrag: Nur wenige Tage nach dem KIT Rising ließ Herr Regent als erster der Republik wieder einmal seinen Durchschlaghammer kreisen und beförderte den Freistaat in einen Quasi-Lockdown für Veranstaltungen, worüber bereits vor Ort hitzig mit Einheimischen diskutiert wurde. Man kann sich eigentlich fast gar nicht vorstellen, wie wohl uns doch eine höhere Macht an diesen Tagen gesinnt war … Jegliche Coronainfektion blieb an diesen zwei Tagen natürlich fern, aber welcher Politiker lässt sich schon Gegenbeispiele mit langhaarigen Heavy Metal-Fans gerne auf den Schreibtisch legen?! Bleibt nach dem Wochenende wieder die große Hoffnung bestehen, dass wir Ende April in Lauda-Königshofen auch wieder Freunde abseits des europäischen Kontinents zum 2020er Nachholtermin begrüßen dürfen; wenn die neu zusammengewürfelte Regierung dann sämtliche Musiksubkulturen wieder aus dem Winterschlaf erweckt hat und ein halbwegs normales Kulturleben wieder möglich sein wird; unter welchen Umständen auch immer …


Setlist Blind Guardian:

  1. The Ninth Wave
  2. Welcome To Dying
  3. Nightfall
  4. Born In A Mourning Hall
  5. Time Stands Still (At The Iron Hill)
  6. Lost In The Twilight Hall
  7. Lord Of The Rings
  8. Time What Is Time
  9. The Piper’s Calling
  10. Somewhere Far Beyond
  11. Deliver Us From Evil (new song)
  12. And The Story Ends
  13. Majesty
  14. And Then There Was Silence
  15. The Bard’s Song – In The Forest
  16. Valhalla
  17. Mirror Mirror

Setlist Candlemass:

  1. Gothic Stone (Intro)
  2. The Well Of Souls
  3. Codex Gigas
  4. At The Gallows End
  5. Samarithan
  6. Dark Are The Veils Of Death
  7. Mourners Lament
  8. Bewitched
  9. Solitude
  10. Demon’s Gate
  11. Crystal Ball
  12. Black Stone Wielder
  13. Under The Oak
  14. A Sorcerer’s Pledge
  15. Bearer Of Pain (Zugabe)

Setlist Demon:

  1. Full Moon (Intro)
  2. Sign Of A Madman
  3. Wonderland
  4. The Plague
  5. The Spell
  6. Nowhere To Run
  7. Fill Your Head With Rock
  8. Standing On The Edge
  9. Blackheath (+Intro)
  10. Life On The Wire
  11. Don’t Break The Circle
  12. Night Of The Demon (Zugabe)

Setlist Acid:

  1. Acid
  2. Maniac
  3. Hooked On Metal
  4. Prince Of Hell And Fire
  5. No Time
  6. Big Ben
  7. Exterminator
  8. Lost In Hell
  9. Black Car
  10. Max Overload
  11. Heaven’s Devils

Setlist Triumph Of Death

Setlist Triumph Of Death

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Marius Gindra

1 Kommentar

  1. Michael Gindra

    Super-Bericht, Sohnemann

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