Interne Krisen hatte es bei den Rolling Stones, oder besser gesagt im Verhältnis Mick Jagger und Keith Richards spätestens seit Ende der sechziger Jahre ja schon mehr als genug gegeben. Was sich jedoch zirka Mitte der Achtziger abspielte, stellte alles vorherige komplett in den Schatten. So ging es dem Rudeltier Richards ganz extrem gegen den Strich, dass Jagger nach der (zugegebenermaßen nicht ganz so prallen) Stones-Scheibe "Undercover" (1983) nicht auf Tour gehen, sondern lieber ein Soloalbum aufnehmen wollte. Der Siedepunkt wurde während der Aufnahmen zum nächsten Band-Album "Dirty Work" erreicht, als der gute Mick erneut bekannt gab, keine Tour zu fahren, sondern eine weitere Scheibe im Alleingang aufzunehmen. Im inneren Kreis wurde die Situation mit bittersüßem Humor sogar als »III. Weltkrieg« betitelt und die Zukunft der Band stand sprichwörtlich auf Messers Schneide wie noch nie zuvor.
Wobei man aus jetziger Sicht eigentlich froh sein kann, denn zum einen gibt es die Rolling Stones auch heute noch und zum anderen wäre ansonsten wohl mit "Talk Is Cheap" niemals das erste Soloalbum von Keith Richards entstanden. Jener hatte sich mit den X-pensive Winos eine superbe Band (Waddy Wachel an der zweiten Gitarre, Ivan Neville an den Tasten, Charley Drayton am Bass sowie Steve Jordan an den Drums) zusammengestellt, nachdem er die Tracks mit dem Schlagzeuger komponiert hatte. Und der Meister des Gitarren-Riffs enttäuschte keinesfalls, wenn man sich die hier enthaltenen bärenstarken Rocker der Marke "Whip It Up", "Take It So Hard" oder auch "How I Wish" mal so zu Gemüte führt. Aber es war auch ungewöhnliches bzw. zumindest unerwartetes Material vertreten, denn gleich beim Opener "Big Enough" geht es unglaublich funky zur Sache. Außer Steve Jordan waren hier dann auch nicht die Winos, sondern ausgesuchte Funk-Experten – Bootsy Collins am Bass, Maceo Parker am Saxophon sowie Bernie Worrell an den Tasten – mit im Studio.
Dass der Protagonist auch Balladen kann, ist schon lange kein Geheimnis mehr und auf "Talk Is Cheap" ist diesbezüglich mit "Locked Away" eine wunderschöne vertreten. Sarah Dash liefert eine klasse Gesangseinlage bei dem ebenfalls sehr ruhigen "Make No Mistake" und die Nummer "Struggle" kommt auch wieder in einer sehr funkigen Auslegung rüber. Dabei wirkt das alles sehr lebendig und der Hörer hat bei den meisten Tracks das sichere Gefühl, dass die Stücke live im Studio eingespielt wurden. Hinsichtlich der Texte soll Steve Jordan dem Protagonisten damals den Rat gegeben haben: »Wenn dir nichts mehr einfällt, dann singe einfach über Mick!«. Ob dieser Tipp vor oder nach der Entstehung von "I Could Have Stood You Up" erfolgte, ist nicht überliefert. Dennoch haben wir es hier mit einer glasklaren Botschaft an Mr. Jagger zu tun, die diesem ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen (»…suck my dick, I gotta get away from you…«) noch einmal klar machen sollte, dass er (Keith) den mittlerweile als Sir Geadelten (konträr zu dessen Weigerung, mit den Stones auf Tour zu gehen) bisher noch nie im Stich gelassen hatte. Bezüglich weiterer Einzelheiten und Gedankengänge möchte ich nochmal auf mein etwas älteres Review zu dieser Scheibe verweisen.
Zum dreißigsten Geburtstag ist dieser Klassiker nun in mehreren Formaten neu aufgelegt worden, wobei mir die Doppel-CD-Version mit einer zuätzlichen Scheibe vorliegt, die sechs weitere Tracks aus den Sessions zum Album enthält. Wobei auffällt, dass vier dieser sechs mit anderem Personal, nämlich dem des gerade erwähnten Tracks "I Could Have Stood You Up" eingespielt wurden. Der ehemalige Stones-Gitarrist Mick Taylor ist hier dabei, ebenso wie Bobby Keys am Saxofon und der ehemalige Chuck Berry-Pianist Johnnie Johnson. Der letztgenannte Musiker ist dann auch beim eröffnenden "Blues Jam" ausgiebig vertreten, während sich Keith und Taylor die Bälle an den Gitarren gegenseitig zuwerfen. Für "My Babe" steht Richards wieder vor dem Mikro, während er den Klassiker doch recht originalgetreu bringt. Erneut macht Johnnie Johnson eine verdammt gute Figur. "Slim" kommt dann wieder ohne Gesang, dafür aber sehr lebendig (inklusive der sich stimmlich im Hintergrund verständigenden Musiker) daher, während erneut dem von Keith so verehrten Tastenmann wieder sehr viel Raum für Soli eingeräumt wird.
Little Johnnie Jones' "Big Town Playboy" gab es schon vorab im Netz zu hören und fügt sich in diese Sessions ganz wunderbar ein. Wenn, und das ist ein Fakt, Keith auch gut daran tat, sich hinsichtlich "Talk Is Cheap" für die Songs zu entscheiden, die tatsächlich dann auf der Scheibe landeten. Ein echtes Outtake mit den X-pensive Winos ist "Mark On Me", das sich in einem noch sehr frühen Stadium befindet und im weiteren Verlauf der Sessions nicht weiter ausgebaut bzw. wieder fallen gelassen wurde. Das Instrumental "Brute Force" enstammt dann noch mal der Session mit Bootsy Collins und Bernie Worrell, die ja auch für "Big Enough" am Start waren. Wenn mit dieser zweiten CD musikalisch auch ganz sicher nicht die Welt verändert wird, so ist sie doch eine sehr willkommene Ergänzung für den Stones– bzw. Keith Richards-Fan. Insgesamt also eine sehr geglückte Neuauflage eines Albums, das schon heute als Klassiker eingestuft werden darf.
Line-up Keith Richards:
Keith Richards (lead & background vocals, electric & acoustic guitars, percussion)
Steve Jordan (drums, percussion, background vocals, bass – #2)
Waddy Wachtel (electric guitars, acoustic & slide guitars)
Charley Drayton (bass, background vocals, drums – #2)
Ivan Neville (piano & keyboards – CD 1 – #2, 3, 7, 10, 11, CD 2 – #5)
With:
Sarah Dash (background vocals – #1, 5, 8)
Patti Scialfa (background vocals – #7, 9)
Mick Taylor (guitar – CD 1 – #4, CD 2 – #1-4)
Bobby Keys (baritone & tenor sax – CD 1 – #4, 9, CD 2 – #1-4)
Johnnie Johnson (piano – CD 1 – #4, CD 2 – #1-4)
Chuck Leavell (organ – CD 1 – #4, CD 2 – #1-4)
Bootsy Collins (bass – CD 1 – #1, CD 2 – #6)
Bernie Worrell (organ, clavinet – CD 1 – #1, 5, 6, 8, CD 2 – #6)
Maceo Parker (alto sax – #1)
Stanley 'Bucketwheat' Dural (accordion – #6, 8, 10)
Joey Spampinato (bass – CD 1 – #4, 8, CD 2 – #1-4)
Sam Butler (background vocals – #8)
Michael Doucet (violin – #10)
Tracklist "Talk Is Cheap -30th Anniversary Edition":
- Big Enough
- Take It So Hard
- Struggle
- I Could Have Stood You Up
- Make No Mistake
- You Don’t Move Me
- How I Wish
- Rockawhile
- Whip It Up
- Locked Away
- It Means A Lot
- Blues Jam
- My Babe
- Slim
- Big Town Playboy
- Mark On Me
- Brute Force
Gesamtspielzeit: 47:07 (CD 1), 32:22 (CD 2)
Neueste Kommentare