Nach Teuflisch, der ersten Scheibe des Künstlers aus dem Jahr 1975, veröffentlicht Sireena nun die beiden Folgewerke "Hart wie Mozart" (1979) sowie "Ich wünsch den Deutschen Alles Gute" (1981). Wie auch bei "Teuflisch" entstanden die Platten unter Mitwirkung von Achim Reichel.
"Hart wie Mozart" gilt bei vielen als sein bestes Werk, da es u. a. noch radikaler als das Debüt sei. Für mich sind beide Scheiben eher gleichwertig, ja, mein Daumen tendiert sogar eher zum Erstwerk, was allerdings daran liegen könnte, dass "Teuflisch" mein Einstieg in die Stingl’sche Musik und Lyrik markiert. Auf jeden Fall aber muss man Kiev in erster Linie als Poet, Dichter, Texter sehen. Die Musik ist das Gewand, in das er seine Worte packt. Größtenteils angenehm und positiv minimalistisch kleidet sie die Geschichten und lenkt daher auch selten ab.
Zeitlich spielten sich die drei ersten (von vier) Alben zur Zeit der Neuen Deutschen Welle ab und wenn man die NDW auf deutschsprachig singende Interpreten mit musikalisch anderem Ansinnen, als der bis dato vorherrschenden Schlager reduziert, könnte man auch Kiev Stingl dieser Musikgattung zuordnen. Könnte man, aber es wäre nicht korrekt. Zu rebellisch, zu sehr am Underground angelegt, zu unangepasst und zu wenig radiotauglich sind seine Nummern. Die meisten zumindest. Ich weiß es nicht, aber ich bin sicher, keines seiner Stücke auf einem kommerziellen NDW-Sampler zu finden.
Kiev, der mit einer packenden Art sprechenden Gesangs seine Geschichten erzählt, wird auf "Hart wie Mozart" von der Band Sterea Lisa begleitet, die dem Underground-Poeten adäquat zur Seite steht. Stilistisch packt Kiev von rotzigem Punk-Geschrei über balladenhaftes Erzählen bis hin zu süßlichem Geschmeichel sehr viel Ausdruck in seine Kompositionen. Musikalisch springt es, dem jeweiligen Thema angepasst, von Dur nach Moll und rockige Tunes driften in reggaehafte Rhythmen. Schmale Synthieklänge im Stile der NDW stehen auch schon mal orchesterhaften Breitwänden gegenüber.
Spannung zu erzeugen und diese auch zu halten war wohl ein Ziel des Musikers, welches er absolut erreicht hat. Man muss aber unbedingt auf die Texte achten. Die komplette Musik ist bei aller Perfektion doch nur dazu da, die jeweiligen Lyrics zu kleiden. Daher ein dickes Lob an das Label, die Texte im Booklet abzudrucken. Dieses ziert das zweite Cover der Platte, denn das Album erschien damals mit zwei unterschiedlichen Frontbildern. Die erste Ausgabe war dem Spiegel-Titelblatt nachempfunden und dort, wo das Magazin die Auslandspreise angab, hatte Stingl Telefonnummern von Hamburger Prostituierten abgedruckt. Der Spiegel ging auf die Barrikaden und so kam es zu einem neuen Cover. Sireena hat im inneren des Booklets das erste Cover mit abgedruckt. Entschärft, denn die Telefonnummern fehlen. Ob die Damen des speziellen Gewerbes unter dieser Nummer heute noch zu erreichen wären? Wir können es nicht verifizieren …
Gekonnt verpackt der Protagonist seine Storys und man mag das eine oder andere Mal sinnieren, wie er es wohl gemeint hat. Wenn er z. B. in "Babies", einem Stück, dessen Melodie, Instrumenteneinsatz sowie Tempo durchaus geeignet ist, selbige in den Schlaf zu wiegen, einen Text beilegt, der uns darüber informiert, dass Autos bums und Muschis miau machen; dass das was Eva macht, schön ist aber dass ihr Pullover stört und ihr ein Lolly steht. Ach ja, und dass es auf Sofas gut geht, sagen ihr die Jungs.
Man merkt zu jeder Zeit, dass Kiev Stingl ein Dichter ist, einer der sicherlich nicht Mainstream ist und dem man somit den Status des Besonderen gerne ans Revers heftet. Sein Album "Hart wie Mozart" dokumentiert das auch musikalisch und eigentlich hätte diese Art intelligenter, deutschsprachiger Rockmusik damals wohl eher eine neue musikalische Richtung markieren sollen. Aber NDW spricht ja von einer Welle und musizierende Poeten vom Schlag eines Kiev Stingls gab und gibt es leider nicht viele. Wellen mach(t)en andere, aber am Schönsten ist es bekanntermaßen ja dort, wo man in Ruhe abhängen kann. Zumindest dann, wenn Musik UND Worte eine Einheit sind.
Line-up Kiev Stingl:
Kiev Stingl (Gesang)
Sterea Lisa:
Andre Rademacher (Gitarre)
Holger Hiller (Geige, Gitarre)
Walter Thielsch (Schlagzeig)
Götz Humpf (Orgel, E-Piano, Synthesizer)
Jean-Paul Prat (Bass Flügel)
Annegret Hoffmann (Mädchenstimme -#3)
Tracklist "Hart wie Mozart":
- Made In Wake Up
- Wir sind modern
- Süß und rein
- Babies
- Solang du willst
- Keine Täter
- Lila Diva
- Der Tod der Marylin Monoe
- Einmal Erröten
- Ich knips dich
- Westeuropa Sohn
Gesamtspielzeit: 40:10, Erscheinungsjahr 2017 (1979)
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