
Das hätte der Kaufmann Hsi Men im Buch "Kin Ping Meh" von dreien seiner sechs Frauen sicher nicht gedacht … dass deren Namen über 400 Jahre später einer deutschen Band bei ihrer Namensgebung dienlich sein werden. Pan Kin Lin, Li Ping und Tschun Meh heißen die drei Damen in dem chinesischen Sittenroman und die Band Jahrhunderte später demnach Kin Ping Meh.
Der frivole und erotische Roman wurde gleich nach Erscheinen verboten und all das wusste ich damals natürlich nicht, als meine erste Begegnung mit der Band an dem Wühltisch eines Kaufhauses stattfand.
Dort fand ich die Farben des Covers, die sechs Langhaarigen und natürlich den Bandnamen so einnehmend, dass ich mit etwas Kleingeld zuschlagen musste. Die Single mit dem A-Titel "Everything’s My Way" lief auf meinem Universum-Spieler rauf und runter, aber nach einiger Zeit kristallisierte sich die B-Seite mit dem Stück "Woman" als besserer Dauerläufer heraus. Wobei der Name "Woman" wieder Bezug zum Roman hat und wenn man sich die deutsche Übersetzung von Kin Ping Meh anschaut: »Pflaumenblütenzweig in goldener Vase«. Alles klar, oder?
Gute Seiten hat wohl auch eine Zeitung, die ansonsten gerne gedisst wird: Ja genau – die, deren Name aus vier Buchstaben besteht. Die Mannheimer Band, die sich 1969 gründete, wurde bei einem Wettbewerb den die "Bild am Sonntag" ausrichtete vom Label Polydor entdeckt und als Ergebnis erschien 1970 die bereits erwähnte Single, die heute ein altersgerechtes Domizil in den Tiefen meiner Regale besitzt.
1971 wurde das gleichnamige Debüt bei Polydor veröffenticht. Die beiden Nachfolger bekamen ebenfalls keine Namen mit sinniger Aussage, sondern wurden einfach "No. 2" (1972) sowie "3" benannt und erschienen beim Label Zebra. Nun sind diese beiden Platten bei MIG als überarbeitete und remasterte Doppel-CD im Digi sleeve erschienen und wollen wiederentdeckt werden.
Wie das öfter passiert, folgten schnell Line-up Wechsel, wie man im Anschluss an den Reviewtext sehen kann. Eines der Gründungsmitglieder, Joachim Schäfer, schaffte es lediglich auf die ersten Singles. Er machte aber seinen Weg, wenn auch überwiegend mit andere Musik. Die Band war damals sehr angesagt und tourte zum Beispiel mit Deep Purple, Uriah Heep, den Scorpions oder auch den Hollies. Dass die Jungs auch im Beatclub waren, dürfte nicht überraschen. Das Debütalbum (in der Bonusversion) hat mein ehemaliger Kollege Manni bereits 2006 treffend rezensiert und dabei festgestellt, dass die Musik Kin Ping Mehs zwar in der Kraut-Zeit geboren wurde, aber richtig fetter Prog Rock war mindestens ein kongenialer Begleiter.
Gleich der Einstieg in Album "No. 2", "Come Down To The Riverside", zeigt, wie stark die Band eigentlichen Rock in ein poppiges Gewand packen kann, ohne die rockige Schiene zu verlassen. Klasse Gesang begleitet diesen Opener. Mit "Don’t Force Your Horse" wird bewiesen, dass Track eins keinen Sonderfall darstellt, denn auch dieses treibende Stück mit der schönen Gitarrenarbeit ist Rock, der auch Pop-Ohren keine Schmerzen bereitet. Es zeigt sich aber auch, dass bis jetzt weit und breit nichts von Prog oder Kraut zu hören ist.
Richtig angefixt werde ich vom Beatles-Cover "Come Togehter". Das 'gehackte' Gitarrenintro, der 'unterirdisch' packende Gesang, die sich darüberlegenden Keys. Eine starke Nummer, die krautig nach vorne proggt und trotzdem die 'Pilzköpfe' nicht allzu weit weg erscheinen lässt. Das Gitarrensolo in der Mitte der Spielzeit lässt die Armhaare in senkrechte Stellung gehen. Sauber, meine Herren. Es folgt ein viel zu kurzer und instrumentaler "Together Jam", in dem man merkt, dass sich die Band wohlfühlt. Wohl fühlt sich auch der Rezensent mit den folgenden beiden Stücken. "Liveable Ways" startet Keyboard-dominiert, Breaks bauen Spannung auf und es ist eine Freude, wenn Gitarrensprengsel aufblitzen, während Bass und Felle eine krautige Stimmung schaffen, zu der auch der Gesang anständig beiträgt. Das hat Niveau und auch wenn die Nummer mit acht Minuten die längste des Albums ist, so ist sie doch nicht lang genug. "Day Dreams" ist nur unwesentlich kürzer und ist Prog pur, der einiges von den damals angesagten internationalen Größen dieses Genres hat.
Den nächsten beiden Songs darf man wieder eine angenehme Prise Pop bescheinigen, "Very Long Ago" gar eine Spur Kraut mit Country-Einschlag. "Sometime" kennt man vom Debüt und auch in der vorliegenden Kurzversion zeigt sich die Klasse des Proggers. "Sunday Morning Eve" aus dem 91er "Hazy Age On Stage" ist für mich das schwächste Stück der Platte. Die Nummer ist nicht schlecht, käme sie denn von einer anderen Band, aber dieser Status Quo-Pop passt nicht zu den 'alten Mannheimern'.
"3" startet mit einem Intro, das an Purples "Lazy" erinnert, wenn es Free gespielt hätte. Dabei heißt es doch, dass ab dieser Scheibe Kin Ping Meh poppiger wurde, was dem Einzug des Engländers Geff Harrison ans Revers geheftet wurde. Wie auch immer, die beiden Gitarren klingen im Verlauf gar southern und etwas Wishbone Ash lässt sich auch mühelos finden. Aber tendenziell kann man durchaus seriös der Meinung sein, dass das Debüt sowie "No. 2" die musikalischen Highlights der Band sind. Hier auf "3" ist natürlich die prägende Stimme Harrisons schon lecker, aber "Random" und "Love Is The Day" möchte ich als unaufgeregten Pop Rock, hier und da mit leichtem AOR- und Prog-Einschlag bezeichnen. Allerdings so gespielt, dass man den Musikern attestieren kann, nicht auf Kommerz geschielt zu haben.
Herauszuheben ist der Vierzehnminüter "Circus". Gemäß der Schublade und auch der Titellänge startet die Vorstellung so, wie man das gewohnt ist: man hat alle Zeit der Welt und kann adäquat Aufbauarbeit leisten. Die Band schunkelt und groovt sich ein in einen regelrechten Prog Jam. Die Keys führen und Bass sowie Drums grooven proggy und mit Verstand. Die rauen Reibeisen-Vocals kommen gut. Ein erster stilistischer Break führt fast hin zur Jazz Rock-Fusion und wenn auch im Line-up nicht aufgeführt, so gibt es da unzweifelhaft Gebläseeinsatz.
Ein zweiter stilistischer Break lässt psychedelisches Ambiente zu relaxter Atmosphäre der Rhythmussektion aufkommen. Wie eine frische Prise weht das Gebläse immer wieder ein. Die Nummer kommt eigentlich gut, ist aber vielleicht doch etwas zu lang. "Mrs. Holmes" beendet das dritte Werk unspektakulär als ins Ohr gehender Prog.
Ich lege jetzt "Woman" auf.
Line-up Kin Ping Meh ("No. 2"):
Kalle Weber (drums & percussion)
Thorsten Herzog (bass, vocals)
Frieder Schmitt (organ, piano, e-piano, mellotron 400, vocals)
Willie Wagner (guitar, vocals)
Werner Stephan (lead vocals, acoustic guitar, percussion)
Uli Groß (electric & fingerstyle guitar)
Gerhard 'Gagey' Mrozek (guitar)
Line-up Kin Ping Meh ("3"):
Kalle Weber (drums & percussion)
Alan 'Joe' Wroe (bass)
Frieder Schmitt (Moog, piano, e-piano)
Gerhard 'Gagey' Mrozek (acoustic & electric guitars, vocals)
Guests:
Geff Harrison (vocals)
Uli Groß (11-string-, 12-string-, acoustic- & 6 electric guitars, vocals)
Ralle Oberpichler, Rolf Kühler, Elga Blask, Peter Bender (backing vocals)
Werner Stephan (all vocals – #3)
Tracklists:
- Come Down To The Riverside
- Don’t Force Your Horse
- Come Together
- Together Jam
- Livable Ways
- Day Dreams
- Very Long Ago
- I Wonne Be Lazy
- Bonustracks:
Sometime (single version) - Sunday Morning Eve
- Come On In
- Random
- Love Is The Day
- Rock Is The Way
- Circus
- Mrs. Holmes
Gesamtspielzeit: 48:18 ("No. 2"), 40:36 ("3"), Erscheinungsjahr: 2024 (1972, 1973)
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