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Köll Amannsberger / Paris, bedeckt, 16° – CD-Review

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Two For The One erschien Mitte 2010. 2017 legt das Duo Richard Köll und Stefan Amannsberger nach. Man hat dem sehr schön gestalteten Album den Titel "Paris, bedeckt, 16°" gegeben und setzt damit eine erfolgreiche Zusammenarbeit fort.
Wurde der Vorgänger auch im Duo aufgenommen, gesellen sich jetzt insgesamt vier Gastmusiker dazu. Es sind Josef Hierl (Altsaxofon, Klarinette, Akkordeon), Michael Roß (Querflöte, Tenorsaxofon), der Kontrabassist Martin Thalhammer und Stefan Waldner (Percussion).
Die vierzehn Songs reflektieren fast ausschließlich Eigenkompositionen des Duos, wobei der Schwerpunkt bei Richard Köll liegt. Bei den Coversongs fallen wohl zuerst "Creole Love Call" von Duke Ellington und "Só Danço Samba" von A.C. Jobim ins Auge.

Oh, wie herrlich! Die Köll Amannsberger-Version des Jazz-Klassikers "Creole Love Call" schleicht förmlich mit einem wohligen Gefühl unter die Haut und von da aus auf direktem Weg ins Herz des Hörers. Mit Richard Kölls Bassklarinette und -Querflöte von Michael Roß wird dieses Stück zu einem Highlight von "Paris, bedeckt, 16°". Die Musiker sind sozusagen auf einer Samtunterlage unterwegs und Stefan Amannsbergers zarte Gitarrenklänge vervollständigen den niveauvollen Eindruck. Sein Solo pendelt zwischen Jazz und Blues. Wunderschön! Der Klarinetten-Alleingang umgarnt das Song-Thema auf ideenreiche Weise.
Die "Só Danço Samba" befindet sich zwar etwas weiter unten in der Tracklist, schließt sich aber nahtlos an die vorherige Interpretation an. Hier steht Josef Hierl am Akkordeon im Spotlight. Der Bossa Nova verfügt über Groove und einen infizierenden Swing. Auch hier ist die Atmosphäre entspannt und weil es so schön ist, kann gleich auf den Schlussakkord des Albums eingegangen werden.
"Comes Love", im Ursprung mit einem Text versehen, hat in seinem langen Leben viele Interpreten gefunden. Nicht nur die Jazz-Sängerin Ella Fitzgerald oder Billie Holiday haben sich dieser Nummer angenommen. Unter anderem sind es auch Norah Jones, Joni Mitchell beziehungsweise Diana Krall. Stefan Amannsberger gibt dem Track eine tolle Gypsy-Unterlage und darüber improvisieren die Bläser vom Feinsten. "Comes Love" in der instrumentalen Auslage ist ein krönender Schlusspunkt.

Das Album eröffnende "Der anonyme Soziophobiker" ist alles andere als scheu, um es so auszudrücken. Auf geradezu charmante Art und Weise macht man sich mit diesem Opener nur Freunde. Die Melodie hat die Ausstrahlung einer in voller Blüte stehenden Blumenwiese und hier hat man den Einklang einiger Blasinstrumente schnell im Ohr. Wie ein Schmetterling im Wind kommt einem das Querflötensolo vor und das kleine, ruhigere Intermezzo gibt dem Falter die Gelegenheit, sich auf einer Blume niederzulassen.

Wie kommt man bloß auf den Songtitel "Paris, bedeckt, 16°"? Zu jedem Track gibt es so etwas wie einen Kommentar im Booklet, auch wenn bei "Der anonyme Soziophobiker" »Kein Kommentar!« steht, ist es ein Kommentar. Beim Titelstück des Albums liest man unter anderem: »Wie stellt man sich denn Paris vor, an einem Oktobertag, früh um halb neun? In einem Café, an der Straße sitzend, die Jacke tief in den Nacken ziehend, denn es ist frisch geworden. […] Und wie muss man sich das vorstellen, wenn man noch nie in Paris war?«
Vielleicht genau so, wie es musiklaich ausgedrückt wird. Die Seine-Metropole kommt nie zur Ruhe und trotzdem hat das Lied etwas von der noch entspannten Stimmung einer Großstadt. Nachdenklich-verträumt, der Körper schwankt noch zwischen versunkener Entschleunigung und ersten Tendenzen von Aktivität. Das Stück hat das Flair der Stadt der Liebe und ja, man kann vollkommen nachvollziehen, wie es dort ist, auch wenn man noch nicht dort war. "Paris, bedeckt, 16°" erzählt die Geschichte in pastellen Farben. Das Kontrabasssolo von Martin Thalhammer verstärkt die Szenerie. Ein zeitloser Song!

Die Stefan Amannsberger-Komposition "Distance" hat den Blues im Visier. Auf ganz unspektakuläre Art kredenzt uns der klasse Gitarrist mit und ohne Bottleneck, wie ein 12-Takter mit Percussion-Untermalung von Stefan Waldner klingen muss. In der Ruhe liegt die Kraft, Zuversicht und Hoffnung. Eine solche Nummer bewegt natürlich den Blues-Fan ganz besonders.
In dieser Musiker-Kombination tauchen die beiden Künstler nochmals in "33" gemeinsam auf. Hier eher in bedächtig-melancholischer Atmosphäre. Nichtsdestotrotz ein Stück, das magnetische Momente aufweist.
Lernen kann man durch das Album auch noch etwas. Meint man der Songtitel "Die Essigrosendickfühlerweichwanze" sei eine Erfindung der Fantasie, hat sich aber so etwas von vertan. Dieses Insekt gibt es wirklich in Deutschland und ist im wahrsten Sinn des Wortes einmalig. Über ihr Aussehen kann man geteilter Meinung sein, nicht aber über das dazu von Richard Köll komponierte Lied, in dem es darum geht, dass das Kleintier »[…] bald darauf […] ein Rendezvous – mit einer Florfliege […]« hatte. Unglaublich, aber dieses Lied ist so fröhlich, wie es das Treffen gewesen sein könnte. Bei "Die Birne" wird im Booklet Theodor Fontanes "Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland" zitiert. Das lyrische Gedicht findet hier einen Transfer in musikalische Gereimtheiten der balladeseken Art. Wunderschön!

Köll Amannsbergers "Paris, bedeckt, 16°" ist eine faszinierend-unterhaltsame Reise durch Stile und unterschiedliche Stimmungen, die man so nicht oft finden wird. "Paris, bedeckt, 16°" ist musikalische Zauberei auch zwischen den Stil-Stühlen und kommt auch noch mit einem tollen Sound aus den Lautsprechern. Beeindruckend!


Line-up Köll Amannsberger:

Richard Köll (Klarinette, Baritonsaxofon, Bassklarinette)
Stefan Amannsberger (akustische Gitarre, elektrische Gitarre, Lap Steel)

Gastmusiker:
Josef Hierl (Altsaxofon, Klarinette, Akkordeon – #8,10,13,14)
Michael Roß (Querflöte, Tenorsaxofon – #1,2,4,9-11)
Martin Thalhammer (Kontrabass 1-6,9-11,13,14)
Stefan Waldner (Percussion – #7,12)

Tracklist "Paris, bedeckt, 16°":

  1. Der anonyme Soziophobiker (3:41)
  2. Die Birne (4:05)
  3. Some Seconds (4:04)
  4. Die Essigrosendickfühlerweichwanze (3:26)
  5. Paris, bedeckt, 16° (4:53)
  6. Der Vintagerich (3:31)
  7. Distance (3:56)
  8. Schwarze Augen (2:49)
  9. El Pescador (3:25)
  10. Creole Love Call (3:48)
  11. Sonntag, der 6. (4:05)
  12. 33 (4:23)
  13. Só Danço Samba (2:59)
  14. Comes Love (3:25)

Gesamtspielzeit: 53:20, Erscheinungsjahr: 2017

Über den Autor

Joachim 'Joe' Brookes

Genres: Blues, Blues Rock, Alternative Music, Space Rock, Psychedelic Music, Stoner Rock, Jazz ...
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