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Koenix / Eiland – CD-Review

Koenix / Eiland

Mittelalter-Rock ist seit vielen Jahren ein prominentes Segment in der populären Musik. Es gibt viele, teils sehr unterschiedliche Ansätze und meistens für den sprachlichen Normalo-Mitteleuropäer exotische Erfahrung, weil gerade die schwedische Sprache in dieser Musik häufig zur Anwendung kommt. Zugegeben, Schwyzerdütsch ist auf den ersten Blick oder besser Ton nicht unbedingt zugänglicher, gelesen wird es aber ein wenig verständlicher als beim ersten akustischen Kontakt.

Koenix kommen aus der Schweiz, genau gesagt aus Büren an der Aare. Mensch, von dort kannte ich mal ein junges Mädchen, vor sehr langer Zeit. Sie war aber viel ruhiger als das, was uns auf dem fünften Koenix-Studioalbum "Eiland" erwartet. Anders als puristischere Konzepte basiert deren Musik auf einer äußerst dynamischen und sehr rockenden Rhythmussektion, die ein geradezu diabolisches Feuer entfacht. Dafür tobt man sich in den Harmonien mit diversen legendären Instrumenten aus, die schon unsere Urahnen kannten. Dudelsack und Drehleier begegnen traditionellen Tönen eigentlich ganz anderer Kulturen, wenn Bouzouki oder die Sitar erklingen. Daraus erwächst ein wilder Mix aus vorwärts marschierenden Rhythmen und mystisch verhexenden Tönen, wie ich ihn in dieser Intensität noch nie zuvor gehört habe. Diese Musik ist derart unverschämt tanzbar, dass selbst die Geister unserer Vorfahren mit den Knien zu wippen beginnen scheinen. Wer sich einen ersten Überblick über diese wahnsinnige Welt voller Wunder verschaffen möchte, sollte die Single "Fuchur" anschauen, die mit einem wunderschönen Video im Netz hinterlegt ist und die genau jene unfassbare Lebensfreude widerspiegelt, die uns jenes "Eiland" verspricht. Eine Reise durch Zeit und mitten hinein in eure Fantasie, so ihr denn wollt. Daher passt der Titel-Bezug perfekt, Fuchur ist bekanntlich der Glücksdrache aus Michael Endes "Unendlicher Geschichte". Der Song ist ein hymnisches Bekenntnis.
Es wird auch mal englisch gesungen, "Hanna" lässt sich somit leichter entschlüsseln und hat vielleicht auch den engsten Kontakt zu klassischer Rockmusik. Die Harmonien sind gar nicht so weit von den Hooters entfernt.

Insgesamt aber ist es der tiefe, irgendwie erdbezogene Sound, den das Album ausmacht und seine Magie auslöst. Darum gehört gleich der Opener "Urzyt" zu meinen absoluten Favoriten. Die herrlichen sphärischen Klänge zu Beginn, der archaische Gesang, sie führen tief hinein in die Wälder, wo Geister und Dämonen tanzen. Haben wir den Mut, ihnen zu begegnen? Die aufbegehrende Percussion beantwortet die Frage und zieht uns einem beschwörenden Tanz gleich hinein in eine geheimnisvolle Welt, wo keine Zeit gilt, wo keine Regeln herrschen. Loslassen, abtanzen, die Fantasie führt uns davon. Wohin? Wen interessiert das, jeder wie er mag.
Diese uneingeschränkt positive Kraft, dieser magische Sog ist es, was die Musik so besonders macht, genau die Droge, die man braucht, wenn man mal der Realität entliehen möchte. Die Liebeserklärung an das "Eiland" im Titelsong bringt es sehr schön auf den Punkt, eine Ode an die Freiheit und den Ort seiner Sehnsüchte.

Nach Lage der Dinge werden Koenix demnächst auf diversen Bühnen zu sehen sein, unter anderem an mehreren Tagen beim Kaltenberger Ritterturnier südlich von München. Am dritten September werden sie im legendären Z7 in Pratteln vor den Toren von Basel ihr ARCADIA – Koenix' Folk- und Mittelalterfestival erstmals präsentieren. Ich bin sicher, ein Live-Besuch lohnt sich, zumal die Band dann teilweise ihre Musik zusätzlich durch tänzerische Einlagen und feurige Unterstützung optisch verstärkt. Diese Mischung aus Rock, Folk und Trance hat eine hypnotische Power, die geradezu danach schreit, auch in Bildern interpretiert zu werden. Es wird unseren Flug in eine bunte fröhliche Welt befeuern, auch wenn diese am Ende des Tages tief in uns selbst liegt.

Was das Album auszeichnet, ist die Tatsache, dass gerade durch den druckvoll rhythmischen Duktus eben nicht nur Freunde der Szene angesprochen werden, hier werden sich sicher auch die Anhänger gängigerer Rock-Stile überzeugen lassen, einmal abzutauchen in die Welt der Berggeister, Dämonen und Drachen. Nein, man muss kein Freak sein, um diese Musik geil zu finden.


Line-up Koenix:

Jonas Martin Schneider (vocals, bagpipes)
Michael Hugi (bagpipes, hurdy gurdy)
Marco Piccapietra (irish bouzouki, sitar, guitar)
Philipp Eichenberger (drums)

With:
Ariel Rossi (electric guitar)
David Häggi (accordion)
Danny Hertach (bass)
Rino Kaufmann (backing vocals)

Tracklist "Eiland":

  1. Urzyt
  2. Eiland
  3. Caverna Magica
  4. Let’s Dadada
  5. Fuchur
  6. Hanna
  7. Wulchebruch
  8. Reflections
  9. Mondsucht
  10. Morge Am Drü
  11. Traumschaukel
  12. Tuuti Bolognese

Gesamtspielzeit: 54:30, Erscheinungsjahr: 2022

Über den Autor

Paul Pasternak

Hauptgenres: Psychedelic Rock, Stoner Rock, Blues Rock, Jam Rock, Progressive Rock, Classic Rock, Fusion

Über mich

2 Kommentare

  1. Paul Pasternak

    Sorry, dicke Finger auf der Tastatur 🙂

  2. Marco Piccapietra

    Danke für den Artikel. Ich heisse übrigens Marco nicht Marci 😉

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