Es ist schön zu wissen und zu hören, dass bei der Ulmer Musik-Institution Kraan seit einigen Jahren wieder so richtig Feuer unter dem Dach ist. Hatte mich die Band seit ca. fünf Jahren bereits mehrfach live auf der Bühne überzeugt, so bewiesen auch die hier seinerzeit vorgestellten Live-Dokumente The Trio Years sowie The Trio Years – Zugabe, dass da noch jede Menge Dampf unter der Haube ist. Und nun ist 50 Jahre nach der Bandgründung, 48 Jahre nach dem Debütalbum und zehn Jahre nach der letzten Studioplatte ("Diamonds") des Trios mit "Sandglass" eine brandneues Werk erschienen. Die Band (die sich immer wieder mal Auszeiten nahm und bei der sich auch das Personal-Karussell zeitweise kräftig drehte) setzt sich heute aus den drei Gründungsmitgliedern Hellmut Hattler, Peter Wolbrandt und Jan Fride zusammen, und dieses Trio hat in den letzten etwa zehn Jahren ganz wunderbar funktioniert. Auch auf "Sandglass"?
Als überaus interessant stellt sich bereits der eröffnende Titeltrack heraus, der einerseits über eine den Hörer herausfordernde vertrackte Rhythmik, andererseits aber auch tolle melodiöse Gitarrenlinien verfügt. Eigentlich typisch Kraan, aber noch eigentlicher immer noch und immer wieder verdammt gut. Auch bei "Sandglass" wird eine Mischung aus Instrumentals und gesungenen Nummern geboten. Dass Hattler und Wolbrandt in diesem Leben ganz sicher nicht mehr als Gesangs-Götter geadelt werden, ist geschenkt und muss nicht weiter ausgeführt werden. Aber dennoch werden die Vocals immer wieder sehr clever eingesetzt und unterstützen die Atmosphäre des jeweiligen Tracks sehr effektiv. Und wie wir alle wissen, bestätigt die Ausnahme die Regel. Dabei handelt es sich in diesem Fall um das Stück "Solitude", das mit seiner tollen Hookline sogar über echtes Radio- und Hitpotenzial verfügt. Kraan sind auch heute noch immer für eine Überraschung gut!
Und wenn wir schon beim Gesang sind, muss auch noch der einzige von Peter Wolbrandt in deutscher Sprache gesungene Text von "Das Meer" erwähnt werden. Auch der mittlerweile verstorbene ehemalige Bandkollege Ingo Bischof wird in Form der von ihm eingespielten Keyboardspuren zu der Nummer "Moonshine On Sunflowers" noch einmal geehrt. Jan Fride liefert dazu einen markanten Beat und Hattler übernimmt zunächst am Bass das Kommando, bis er den Staffelstab an die Gitarre weitergibt. Ein sehr schönes und entspanntes Instrumental, was man unbedingt auch von "Hallo Kante" behaupten kann, wenn hier auch deutlich mehr (unterschwellige) Spannung drin liegt. Mein absoluter Favorit bei den (von den hier und da fallenden wenigen Worten abgesehen) Instrumentals ist jedoch das überragende "Funky Blue" mit seiner unglaublich zwingenden Gitarrenlinie, die umgehend das Kopfkino in Bewegung setzt und gar nicht mehr aus dem Ohr will. Wieder mal ein Hammer-Soundtrack zu einem (noch?) nicht gedrehten Film.
Nur ein Qualitäts-Merkmal von "Sandglass" ist, dass man den insgesamt 13 Tracks so gespannt folgt, dass man am Ende völlig überrascht ist, wie schnell doch gute fünfzig Minuten verfliegen können. Mit zu dieser Leichtigkeit – die dennoch über jede Menge Tiefe verfügt – haben auch einige Gastmusiker wie Juergen Schlachter (der auch für den Mix und das Mastering zuständig war), der Tab Two-Kollege Hattlers und Multiinstrumentalist Joo Kraus, Martin Kasper an den Keyboards sowie Shirley Fischer an der Flöte beigetragen. Letzten Endes bleibt zu sagen, dass allen Beteiligten zusammen, aber natürlich in erster Linie den drei Musikern von Kraan, ein hervorragendes neues Album gelungen ist, das Hoffnung auf mehr macht. Drücken wir also die Daumen, dass uns die Band noch einige Jahre erhalten bleibt!
UPDATE:
Nicht verschweigen möchten wir, dass sich nach der Veröffentlichung des Reviews auch die Vinyl-Ausgabe des Albums in unserer Redaktion eingefunden hat, die mit einem sehr transparenten und wunderschön warmem Sound ebenfalls mit wehenden Fahnen als Gewinner durchs Ziel geht. Im direkten Vergleich zur CD-Ausgabe sind hier mit "Moonshine On Sunflowers", "Budenzauber" sowie "Das Meer" drei Songs weniger am Start, was vermutlich unter anderem dem Fokus geschuldet ist, dem Vinyl die bestmögliche Soundqualität zu ermöglichen. Aber "Sandglass" kann auch mit ’nur' zehn Tracks überzeugen, denn die Stücke sind – wie bereits im CD-Review festgehalten – einfach klasse. Vinyl-Junkies und ganz allgemein Freunde der großen schwarzen Scheiben werden von dieser Ausgabe nicht enttäuscht werden.
Line-up Kraan:
Peter Wolbrandt (guitars, synthesizers, vocals)
Jan Fride (drums & percussion)
Hellmut Hattler (bass, vocals)
Mit:
Martin Kasper (keyboards – #1,3,6,13, harmony vocals – #3,6)
Shirley Fischer (flute – #1)
Joo Kraus (horn section & Wurlitzer piano – #5)
Juergen Schlachter (tambourine – #3)
Ingo Bischof (keyboards – #10)
Tracklist "Sandglass":
- Sandglass
- Funky Blue
- Solitude
- Gleis 10
- Pick Peat
- Path
- Schöner wird’s nicht
- Das Meer (nur CD)
- Hallo Kante
- Moonshine On Sunflowers (nur CD)
- Budenzauber (nur CD)
- Rescue
- Hippie Jam
Gesamtspielzeit: 50:14, Erscheinungsjahr: 2020
2 Kommentare
Roland
22. November 2020 um 8:45 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Am 27.11. Live Streaming mit Kraan
Hier die Info und der link dazu:
Der für den 27. November geplante Auftritt der deutschen Jazzrocker Kraan in der Geislinger Rätsche wird ohne Publikum als Streaming-Konzert stattfinden. Anstelle der geplanten zwei Shows wird es allerdings nur eine geben, die um 20:00 beginnt. Der Zugang ist kostenlos, aber da die Band auch ohne Einnahmen aus Ticketverkauf die vereinbarte Gage erhält, wird um eine Spende gebeten. Details siehe unter dem angeführten
https://www.youtube.com/watch?v=lR7gBIWtcd0&ab_channel=R%C3%A4tsche
Manni
16. Oktober 2020 um 21:36 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Ich finde auch, dass die neue Kraan-Studioplatte eine gute Figur macht, es plätschert zwar auch hier mal vor sich hin, aber weit weniger als bei „Diamonds“ von vor 10 Jahren. Gewöhnungsbedürtig sind indes einerseits die eher kurzen Spielzeiten: bis auf eine Ausnahme kein Song über 5 Min, was aber ja nichts heißen muss. Andererseits wieder mal Kraan ohne den göttlich aufspielenden Johannes „Alto“ Pappert am Saxophon, der mit seinem Instrument so typisch für den Sound dieser Kultband war, auch bei den sonst gut groovenden Live-Aufnahmen der „Trio Years“-Veröffentlichungen aus den letzten beiden Jahren fehlte er (an allen Ecken und Kanten möchte ich für mich hinzufügen).
Neue Hörer, die sich von „Sandglass“ angesprochen fühlen, können sich bei lächerlich günstigen CD-Preisen in regelrechte Nirvana der Band aus den Siebzigern versetzen lassen. Das sich selbst entfachende Feuer erreichte Höchsttemperatur im Form von „Kraan Live“ (1975) und das unwiderstehliche Debüt (1972) ist als Keimzelle des Ganzen einfach zeitlos faszinierend.