Ich weiß nicht mehr genau, wann ich das erste Mal mit der Musik des österreichischen Liedermachers Ludwig Hirsch in Berührung kam, aber es muss in der Zeit gewesen sein, als es meinen Rockohren nach Abwechslung dürstete.
Eine Zeit, in der plötzlich Alben von Elster Silberflug, Franz Josef Degenhardt, Hannes Wader, Herman van Veen oder auch Georges Moustaki mit den Großen des Rock auf dem Plattenteller konkurrierten.
Auf einmal war da Musik, der man zuhören MUSSTE, Texte, die der instrumentalen Begleitung nicht nur ebenbürtig waren, nein, die Texte waren das, auf was es ankam. Kein Gitarren- oder Drumsolo stand im Mittelpunkt, es waren die Worte. Klar, traf das auch auf z. B. Dylan, Cohen oder Baez zu. Aber die waren, da nicht in meiner Muttersprache singend, ungleich schwerer zu verstehen. Und auch was die Thematik der Songs betraf, waren die deutschsprachigen Liedermacher einfach näher an allem und näher an mir.
Meine erste gekaufte Hirsch-Platte war "Zartbitter" aus dem Jahr 1980. Der Spinne auf dem Cover wegen, denn diese Tiere sind natürliche Feinde von mir und bestimmt wollte ich mit dem Kauf einen therapeutischen Ansatz legen. Auf Cassette leierten schon länger die "Dunkelgrauen Lieder" aus dem Jahr 1978. Unverständlicherweise gilt "Zartbitter" als schwache Platte. Klar, der morbide Charme, das Obskure, das bitterböse Bissige ist auf "Zartbitter" nicht so ausgeprägt wie beispielsweise auf seinem Überalbum "Dunkelgraue Lieder".
Die 'dunkelgrauen' strotzen vor Schmäh, haben Texte, die tiefer kaum gehen können. Ob das die Nazioma ist, oder der nette und von allen geliebte "Herr Haslinger", der dann auch ganz besonders die kleinen Kindern 'gern' hat. Mitleid hat man mit dem 'Blade Bua', der die Arschkarte in seiner Familie gezogen hat – »Es gibt Kinder, die kommen ohne Schutzengel auf die Welt und der Sandmann haut ihnen Reißnägel in d’Augen. Unterm Christbaum liegt jedes Jahr ein Packerl Tränen als Geschenk…«
Dann diese Mischung aus Melodien, die entweder auch einem Schlager mit hirnlosem Text gut zu Gesicht stünden, mit typisch Wiener Geigen und Zither-Flair und schließlich dieser jeden Text bis zum vor Spannung berstenden Höhepunkt bringenden Antagonismus; diesem Widerspruch aus stellenweise eigentlich positiv klingender Musik mit absolut gruseligen oder hinterfotzigen Worten. Je sanfter die Stimme, desto perverser die Figuren im Song. Und Hirsch verstand es, einen absolut spannenden Moduswechsel von Singen und Sprechen an der Tag zu legen.
Mein wahrscheinlich ultimatives Hirsch-Lied ist das rabenschwarze "I lieg am Ruckn". Ein Toter erzählt aus dem vergrabenen Sarg heraus. Er friert und fragt sich wieso er auf Hochglanz polierte Schuhe anhat, wieso er einen akkurat gezogenen Scheitel hat. Er entdeckt den ersten Wurm, der sich aus seiner Zehe schält und seine letzte Hoffnung ist die Exhumierung, damit er seine Liebste zu sich holen kann, um nicht mehr so zu frieren.
Aber ihm bleibt nur der Refrain:
»Aber vielleicht stehst grad da oben mit ein paar Tränen
und vielleicht sickert eine
a kleine zu mir durch?
A ganz a heiße
bitte
bitte
lass eine fallen
weil mir is so kalt
mir is so kalt«
So klingt ein Liebeslied, wenn es von Ludwig Hirsch stammt.
Aber um dieses Meisterwerk geht es hier nicht. Meine Adventsplatte ist das 1979er Werk "Komm großer schwarzer Vogel". Genauer gesagt, will ich mich zwei Tracks widmen, die auch heute immer noch faszinieren.
Der Ludwig lebt ja nun nicht mehr. Der Mann, der sein Grafikstudium abbrach und die Schauspielschule besuchte, war einige Jahre am Theater unterwegs. Bis er 1978 zu musizieren anfing. 2011 verstarb dieser großartige Musiker, der im Besitz des Amadeus Austrian Music Award war und dem die Stadt Wien ehrenhalber ein Grab widmete. Dabei durfte das Titelstück aus "Komm großer schwarzer Vogel" damals nach 22:00 Uhr in Österreich nicht gespielt werden. Nicht, weil der Text unflätig war, denn dann wäre es wohl nichts geworden mit dem Ehrengrab. Nein, der Text dieser Nummer verströmt auf der einen Seite eine dermaßen greifbare trübe, dunkle und morbide Stimmung, beschreibt allerdings den Tod auch als Erlösung, als etwas auf das man sich freuen und das glücklich machen kann. So dachten die Radiomacher wohl, die Nummer könnte die Suizidrate in die Höhe treiben. Nun ja, da könnte man schlussfolgern, dass nach 22:00 Uhr niemand mehr Gedanken an einen Freitod verschwendet. Dem wird aber nicht so sein und daher sehe ich diese zeitliche Zensur eher als unangebracht an. Die Bedenken, dass dieses Stück bei Gefährdeten Wirkung zeigen könnte, mag ich aber ein Stück weit teilen, wobei ich jedoch als Nicht-Psychologe denke, dass eine Schwalbe (bzw. ein großer schwarzer Vogel) noch keinen Sommer macht. Nichtsdestotrotz wird "Komm großer schwarzer Vogel" wahrscheinlich DAS Lied sein, wenn man an Ludwig Hirsch denkt.
Wie auch "1928". Diese Nummer war damals Kult. Zum einen weil sich da ganz ungeniert an Pink Floyds Shine On You Crazy Diamond bedient wurde. Die Geschichte, die erzählt wird, lässt das Plagiat aber in einem anderen Licht erscheinen. Will sagen, man ärgert sich nicht darüber, weil der Hirsch-Text die Gilmourschen Gitarrenpassagen so richtig wirken lässt. Ja fast möchte ich sagen, die Melodie wirkt noch intensiver als beim Original. Zum anderen ist da natürlich die Story. Worum geht es?
Ein alter Mann erzählt von Außerirdischen, die auf die Erde gekommen sind, um den Menschen etwas zu bringen. Pillen gegen die Traurigkeit nämlich. Aber es gibt keine Menschen mehr. Die Menschheit hat sich ausgelöscht. Durch einen allerletzten Krieg. Die Besucher aus dem All wollen trotzdem noch wissen, wie die Menschen so waren, wie sie ausgesehen haben. Und sie fangen an zu suchen und finden einen alten Filmprojektor, den sie schließlich anwerfen. Und sie sehen einen "Mickey Mouse"-Film und kommen zu dem Schluss, dass die Menschen lustig waren und dass sie die Pillen gegen die Traurigkeit gar nicht gebraucht hätten. Dann düsen sie wieder davon. Ich bin auch nach vielen Jahren immer noch fasziniert von diesem Lied.
Mehr als diese beiden Tracks aus "Komm großer schwarzer Vogel" will ich in dieser Adventsrezi nicht erwähnen. Aber auch die anderen Stücke sind Hirsch pur.
Wer Ludwig Hirsch noch nicht kennt, sollte da unbedingt mal rangehen. Ich möchte aus seinem Fundus unbedingt "Komm großer schwarzer Vogel" und "Dunkelgraue Lieder" empfehlen. Diese beiden Scheiben laufen nicht oft, aber von Zeit zu Zeit muss ich diesen Österreicher aus dem Regal holen und jedes Mal erliege ich diesem morbiden Charme aufs Neue.
Tracklist "Komm großer schwarzer Vogel":
- Ich hab’s wollen wissen
- Das Geburtstagsgeschenk
- Tante Dorothee
- Der Clown
- Herbert
- 1928
- Die gottverdammte Pleite
- Komm grosser schwarzer Vogel
- An Euch
Gesamtspielzeit: 40:46, Erscheinungsjahr: 1979
6 Kommentare
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Lothar heinrich kroetz
7. Oktober 2024 um 8:07 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hallo,was uli ueber ludwig schreibt trifft wie man so schoen sagt den Nagel auf dem Kopf.was ich noch zu sagen mich wage ist eine Empfehlung,ich glaube live dvd gibt es nur Gottlieb und auf dieser ist ludwig in einer so guter Form, mit singen erzählen tanzen und mehr.fuer mich eine muss hoeren sehen und staunen.p.s.steht aehnlich irgendwo auf dem Cover.liebe gruesse aus dem schwarzwald lothar kroetz
Ulli Heiser
7. Oktober 2024 um 8:43 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hallo Lothar,
es freut mich sehr, dass dieser acht Jahre alte Artikel noch immer Leser findet. Dieses Album hat es aber auch verdient, immer mal wieder hervorgeholt zu werden.
Was Gottlieb angeht habe ich mal gegoogelt und es scheint wirklich die einzige DVD von Ludwig Hirsch zu sein. Zumindest habe ich sonst nichts gefunden. Ausverkauf ist das Teil, natürlich!
Bei der Suche bin ich auf eine Platte aus dem Jahr 1973 gestoßen. Darauf ist Ludwig u. a. mit dem unvergessenen Fritz Muliar vertreten.
Wenn ich mir deinen Nachnamen ansehe, muss ich fragen, ob du etwas mit dem ebenfalls großartigen Franz Xaver zu tun hast?
Beste Grüße
Ulli
Andrea Groh
22. Dezember 2016 um 20:38 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Auch wenn es vielleicht ein wenig aus der Reihe fällt: Ich finde seine Coverversion (mit verändertem Inhalt) von "Marmor Stein und Eisen bricht" ebenfalls erwähnenswert – wie er durch den Text eine völlig andere Bedeutung erreicht
Auszug:
Marmor Stein und Eisen bricht –
ins Gras wer ma beißen
ob’s uns schmeckt oder nicht.
Alles alles geht vorbei durch die Pershing 2
Ulli Heiser
23. Dezember 2016 um 16:58 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Ja Andrea, das ist ein sehr gelungenes Cover.
Rainer Hellstern
21. Dezember 2016 um 11:36 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hallo Ulli,
Ja, unglaubliche Texte hat der Ludwig geschrieben.
"Geh spuck den Schnuller aus" lief bei uns im Südwesten
sogar öfters im Radio. Heute völlig undenkbar.
Danke, da such ich heute Abend gleich mal die
Hirsch Platten raus. So schöne Weihnachtslieder…
Gruß,
Rainer
Ulli Heiser
21. Dezember 2016 um 17:20 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Oh, an Weihnachten kommen die Texte sicher besonders gut 🙂
Und Danke für dein Feedback.