Wie mein Kollege Markus in der Ankündigung des Albums "Faith…" bereits zitierte, nannte der Melody Maker die Waliser Rockband Man einst das »bestgehütete Geheimnis der britischen Rockszene«, Ehre, wem Ehre gebührt. Dabei gehört Man sicher zu den Formationen, die irgendwie jeder kennt und doch Probleme haben könnte, auf Anhieb ein paar Alben oder Tracks der Band zu nennen. An der Qualität der Musik liegt das sicher nicht, möglicherweise eher schon an den häufig wechselnden Gesichtern der Bandmitglieder. Dieser Fakt beinhaltet aber auch einen unschätzbaren Vorteil, da man durch stetig wechselnde Besetzung im Laufe der Jahrzehnte nicht so sehr in die Verlegenheit gerät, aktuelle Platten und Konzerte zwingend mit früheren Epochen zu vergleichen. So stellt man sich der Musik ein wenig unvoreingenommener, was ich sehr begrüße.
Tatsächlich sollte das hier vorliegende Konzert eigentlich eine Release-Party für das neue Album "Reanimated Memories" darstellen. Es kam anders, wenn auch erst ein paar Wochen später begründet. Mit Martin Ace – der wohl größten Konstante in der Man-Geschichte – und Phil Ryan waren zwar keine Gründungsmitglieder auf der Bühne, aber doch zwei Musiker, die in unterschiedlicher Dauer seit 1970 zur Man-Familie gehören. Beide liefern eine wundervolle Performance über die mehr als zwei Stunden des Konzerts, doch es zerriss mir im Nachhinein ein Stück weit das Herz, als ich las, dass Phil sechs Wochen nach der Aufnahme verstorben ist. Der Fakt war mir bis dahin nicht bekannt, so tief stecke ich in der Bandgeschichte bislang nicht drin. So wurde der fantastische Mitschnitt zu seinem Vermächtnis, er wird dort droben diverse frühere Man-Musiker angetroffen haben.
R.I.P. Phil.
Bereits seit den frühen Zweitausender Jahren spielt Josh Ace an der Seite seines Vaters Martin die Rhythmus-Gitarre und agiert als einer von vier mehr oder weniger gleichberechtigten Sängern. Nur René Robrahn am Schlagzeug hält sich da raus. Die Lead Guitar bedient der ebenfalls noch recht junge James Beck, er wird uns mehrere Male mit seinen Soli aus dem Sessel reißen. Mit den Altmeistern Phil am elektrischen Piano und an der Hammond Orgel sowie Martin am Bass, stehen fünf Vollblutmusiker an jenem Abend im März 2016 in Stuttgart auf der Bühne und spielen ein hinreißendes Konzert zwischen den Welten und den Zeiten der weitläufigen Rockmusik. Denn Man ist stilistisch fast ebenso schwer einzuordnen wie die Aufzählung all ihrer ehemaligen Mitstreiter sich gestalten würde. Zu diesen Ex-Mitgliedern gehörte übrigens auch der legendäre Westcoast-Guitarero John Cipollina von Quicksilver Messenger Service, dessen Erbe man in der Musik von Man gelegentlich an der einen oder anderen Einlage in den Improvisationen heraushören mag. Hin und wieder fühle ich auch ein wenig Verwandtschaft mit Roger McGuinn, gerade wenn die Harmonien ein wenig folkiger aufmachen. Mitunter vermag man einen Hauch von Country zu spüren, alles eingefasst in ein recht progressives und psychedelisches Konzept. Dass die Band auch immer wieder Zeit und Freude an knackig rotzigen Passagen findet, liegt quasi auch in den Genen, kam doch einst Terry Williams mit Martin Ace zu Man. Der wechselte 1976 zu Rockpile, wo er es richtig krachen ließ und später Mark Knopflers legendäre Dire Straits auf Trapp hielt.
Dass sie mit einer alten Nummer, nämlich "Many Are Called, But Few Get Up" vom 1971er Album "Do You Like It Here Now, Are You Settling In?" aufmachen, legt eher eine falsche Fährte. Das Konzert besteht zum Hauptteil aus neuen Stücken. Eine Release-Party eben, da gehört sich das auch so! Der Song vermittelt ein wenig Jack Bruce-Feeling bzw. erinnert an seine Projekte, vielleicht sogar noch etwas mehr an den progressiveren Ansatz der Herren Beck, Bogert und Appice.
Die kürzeren Lieder nach dem progressiven Auftakt sind deutlich Song-orientiert und zeigen die stilistisch vielfältigen Einflüsse. In "Nothing Fails Like Success" streift James erstmals den Bottleneck über, es ist Blues Time. Seine Solo-Phrasierung kommt sehr authentisch rüber, er verfügt über ein klares Konzept und ist meilenweit davon entfernt, seine aufregenden Läufe und Licks zu sehr in fremden Gewässern anzusiedeln, der Junge hat eindeutig seinen eigenen Stil. Das schöne, folkige "The Ballad Of Billy Lee" klingt tatsächlich wie ein Klassiker aus einem Western, gehört aber auch zum neuen Material. Martins Stimme passt dazu wie der Sattel auf dem Gaul und sein Sohn legt mit "We Know" gleich westernmäßig nach. Hier darf Phil sich erstmals genüsslich auf dem Piano austoben. Die Harmonien leben auch von dem geschickt in den Refrain eingebauten Mehrklang der Stimmen.
Wah Wah und Hall leiten in das jammige "In Time", wo Phil den Hauptpart am Gesang trägt und wirklich ein bisschen wie Jack Bruce klingt und tatsächlich könnte man sich diese Nummer bei Jack Bruce & Friends vorstellen, als die Anfang der Achtziger die Rockwelt verzückten, unter anderem auch den Rockpalast. Liegt es an der Nähe zu einem ganz berühmten Titel, dass James hier zunächst ein wenig wie Mr. Gilmour phrasiert? Nicht sehr lange, das aufregende Solo nimmt Fahrt auf und liegt nun eher bei Stan Webb – aber wie schon gesagt, der Junge braucht im Grunde keine Vergleiche, der macht sein eigenes Ding. Mit "Romain", einem weiteren slidigen Blues und gleichzeitig eine energetische Powernummer, endet die erste CD. Kurz vor Toresschluss wechselt der Song dann plötzlich noch seinen Ausdruck und endet in einer Twin Guitar wie bei Wishbone Ash.
Man gewinnt das Gefühl, dass die Band jetzt richtig Fahrt aufnimmt, "Conflict Of Interest (Do It)" ist ebenfalls eine jamgeprägte Nummer, wo Phil auch einige Synthie-Schnipsel einbringt. Doch dann bearbeitet er seine Hammond XK-1 mit aller Virtuosität und Leidenschaft und inspiriert James neben ihm zu einem weiteren Parforce-Ritt. Spätestens jetzt sind alle Freunde von ABB und Gov’t Mule an Bord, es groovt und treibt und rockt wie Sau. Martin und René haben die Rhythmus-Maschine komplett im Griff und die Soli der Tasten- und Saitenzauberer reißen mit.
Und dann ein Break: »And now for something completely different« lautet die Ansage, Freunde der Monty Python-Truppe werden die Phrase kennen. Phil sagt »faith, that’s what I always was looking for« – und setzt damit unbewusst wohl den Titel für das Album. Eigentlich heißt der Song, den sie nun sehr psychedelisch spielen, "The God Delusion". Wir sind jetzt in einem letzten Part mit gängigeren und kürzeren Songs. In der Ansage zu "Ordinary Man" frotzeln Martin und Phil, es scheint zu diesem Song wohl eine kompliziertere Geschichte zu geben, die sie uns aber nicht erzählen. Der Titel lässt ja im Bezug zum Bandnamen alle denkbaren Hintergründe zu. Und dann ist Schluss mit lustig, ab jetzt geht der Jam ab. Drei Nummern in knapp fünfundvierzig Minuten haben sie noch im Köcher. "Spunk Rock" aus dem Jahr 1977 beginnt das Treiben und schließt gleichzeitig den Regel-Set ab. Die Nummer macht auf mit repetitiven Hooklines und nimmt nach einem Break über den Gesang Fahrt auf. Die erste Solo-Gitarre wirkt ein wenig proggy, dann holen uns die bekannten Hooks zurück. Wenn sich Druck und Tempo ein Stück zurücknehmen, ist es an derzeit für Phil, sein Können auf den schwarz-weißen Tasten zu entfalten. Das geile Gitarrensolo setzt den Deckel auf den Topf, jetzt fliegen wirklich die Kühe.
Und doch, das Beste kommt zum Schluss. "C’mon" sind achtzehn Minuten fließender Energie, soulig entfacht, entspannt ausholend, um dann die Daumenschrauben langsam immer enger anzuziehen. Ein Crescendo wie aus dem Lehrbuch, Rockmusik vom Feinsten!
"Bananas", ein klassischer Rausschmeißer, der durch die rotzige zweite Gitarre ungeheuer gut in die moderne Zeit des Retro-orientierten Undergrounds passt, finalisiert das Ganze.
Die DVD enthält exakt das Programm der beiden CDs.
Die Musik auf diesem Live-Album ist ganz und gar handgemacht und treibt viele ekstatische Blüten in Form dramatisch ansteigender Freak-outs hervor, sie sollte eigentlich jeden ansprechen, der sich für die gute Rockmusik interessiert. Völlig egal, in welchen Sparten man sich aufhalten mag, Man befriedigt mit diesem Mix aus traditionsbewussten Wurzeln und einer guten Portion aus aktuellem, knackigem Underground die Bedürfnisse der jungen wie alten Fans. So wie die unterschiedlichen Generationen auf der Bühne sie repräsentieren. Gerade das ist ein ungeheures Verdienst der Band, nicht einfach nur noch Reste zu verwalten, wie es leider viele tun, sondern sich auch jetzt und heute noch in gewisser Weise neu zu entdecken, ohne ihre Wurzeln zu vergessen. So wird Geschichte nicht verwaltet, sondern weiter geschrieben.
Das klingt ungeheuer frisch und mitreißend, ein zeitlos schönes Kleinod aus der Geschichte unserer Musik und nebenbei das letzte Dokument eines wunderbaren Tastenspielers, den wir hier zum letzten Mal in action erleben dürfen.
Für Phil habe ich eine versteckte Träne im Auge, aber der Rest lässt mich mit einem breiten Grinsen zurück. So muss Musik sein und niemals anders.
Line-up Man:
Martin Ace (bass, vocals)
Phil Ryan (electric piano, Hammond organ, synthesizer, vocals)
James Beck (guitar, vocals)
Josh Ace (guitar, vocals)
René Robrahn (drums
Tracklist "Faith – Live At The Theaterhaus Stuttgart March 10th 2016":
CD1 / DVD
- Many Are Called, But Few get Up
- No Solution
- I Always Thought The Walrus Was Protected
- Nothing Fails Like Success
- The Ballad Of Billy Lee
- We Know
- In Time
- Romain
CD2 / DVD
- Conflict Of Interest (Do It)
- The God Delusion
- One More Ride On The Waltzers
- Ordinary Man
- Spunk Rock
- C’mon
- Bananas
Gesamtspielzeit: 54:30 (CD1), 67:49 (CD2), 130:00 (DVD), Erscheinungsjahr: 2021
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