Wenngleich Korinthen zählende, pragmatische Analytiker das nimmermüde Spartenphänomen Ost-Rock vormals zu einer 'in die DDR rückführende Note, zudem tiefverwurzelte Begrifflichkeit' erklärten, begreift sich jene auszusterben drohende Generation einst Mauerstaat-Sozialisierter heutzutage, als Botschafter mit herzinplantiertem Gefühl und trotziger Haltung.
Ebenso mochte man bisweilen das Gesamtdeutsch strapazierte und oftmals verklärend stigmatisierte Etikett 'Ostalgie' einerseits als branchenspezifisches Konsumprodukt, wie auch einen nach historischer Anerkennung ringenden Sonderling dieser wehrhaften, ferner noch eingerichteten Aufbau-Generation, verbrauchen.
Ungeachtet all dieser in hiesigen Breitengraden vergebenen Marken scheinen sich die revitalen Fliehkräfte einer Erinnerungskultur, wie die der Arbeiter und-Bauernstaat-Sozialisierten, bei merklich ungebremstem Turbokapitalismus noch weiter zu erhöhen.
Aus diesem Grunde fungiert die ehedem musisch leichtfüßige Verbindung zwischen Wörterdespoten, blendenden Texten und westlichem Rock’n’Roll, derzeit sozusagen sowohl als tönendes Detox zur kurzweiligen Entschleunigung, wie auch Flucht in jenes betreute Lebensgefühl.
So verkörpern mittlerweile die sprachgsteuerten Sounds dieser populären Klassenkämpfer aus der ex-DDR, sowohl einst ideologisch Stromlinienförmiges, später gesamtdeutsch Adoptiertes, als auch musikalische Identitätswünsche nach einer Heimat.
So haben ostdeutsche Identifikationsfiguren, wie Silly, Karat oder City die ernüchternde Wiedervereinigung mehr oder weniger überlebt, zudem damals musikalische Spagatkünstler, wie Feeling B. (jetzt Rammstein) ebenfalls Lyrik-affine Unruheständler wie Dirk Zöllner, sich quasi reformiert bis neu erfunden.
In Zeiten von popkulturellen Revivals insbesondere ebenjener – dem Schlussmacher der »Monotonie des Yeah, Yeah, Yeah«, Walter Ulbricht, sowie Machthaber Honecker, dessen Rock’n’Roll-Perestroika zu spät kam – entwachsenen Generation, verpuppt man sich durchaus gern in bittersüßen Erinnerungen an die allen Widrigkeiten trotzende Bescheidenheit und den Soundtrack unter der einst diktatorisch behüteten 'Käseglocke'.
Somit ist es kaum verwunderlich, dass musikalisch beherzte, von Papas befreienden Amiga-Artefakten beköstigte Überzeuger, wie der 32-Jährige Thüringer Jungblüter Manuel Schmid, mit seinem Sangesstil der 'alten Schule', die seinerzeit wildbewegten Hirnareale wiederum anzuregen vermag.
Gäbe es ein Konvolut aller ostdeutschen Lieder, wäre es tausende Seiten stark und gleichermaßen ein Manifest einer gern verklärten, dennoch vom Aufbruch und Umsturz ergriffenen Lebensschule.
So sinnierten ehemals liedhaft poesie-flechtende Songschreiber und Bildungs-Musikusse, wie ein heut gesundheitlich schwer gezeichneter Holger Biege, mit ihrer Prosa über die Macht der Worte oder die symbiotische Verbundenheit von Liebe und Melodien, andernfalls ein unangepasster indes verblichener Manfred Krug sein rührselig verpacktes Lebenseinerlei.
Glücklicherweise griff nun Manuel Schmid, bekannterweise seit fünf Jahren sprudelnder Kreativquell der sächsischen Artrocklegende Stern-Combo Meissen, in den angefüllten DevoZonalien-Sarkophag der amtlichen Trivial-Schlager-Pop-Rock Plattenfirma Amiga, um eben diese tönenden Kulturseufzer der ex-DDR sodann, gemäß dem siebzigsten Label-Geburtstags, zu entstauben.
Dementsprechend entfaltete sich das livehaftige Unterfangen, jene fühlbare Leichtigkeit der vom westlichen Kaufdruck entkoppelten und DDR-Senioren stimulierenden Lieder feinfühlig, mit ebenso eigenemotional umkleideter Eleganz zu entkrusten, zur gravitätischen Geschichtsstunde.
Schmids hierbei stimmlich behutsames Lupfen unter den lyrischen, dazu tondichterischen Kompost einiger Vorwendefundstücke solch nervtreffender Zeitgenossen, wie ein unrühmlich gegangener, jedoch einst Text-geschmeidiger Kurt Demmler, oder der verschmitzt mit Bach und Beethoven verglichene Franz Bartzsch, erweckte verspielte Seelentätschler wie "Nachtigall" und "Deine Liebe und mein Lied" aus ihren Dornröschenschlaf.
Unter derlei ruinösen Nomenklatura erschaffene, des weiteren Zensur düpierende Wortaktivismen wie "Albatros", "Nach Süden", respektive "Wie ein Fischlein unterm Eis", damals gleichwohl Metapher-gespickte Faustzeiger nach unumzäunten Flüchten, propagierte der zwar Spätgeborene nichtsdestoweniger Tributzollende an diesem Konzertabend, durchdringend und überzeugend zugleich.
An jenem intimen Novemberabend in einer Geraer Wohnzimmerkneipe lavierte und moderierte sich der wohlfühlstimmige Jungspund instinktiv wie ein Rocklied-Botschafter aus dieser von blumig-codierter, gefühlsschwangerer Lyrik und Normen beherrschten Zeit durchs Programm.
So streuten Marek Arnolds geblasener Zierrat, Markus überdies Ekkehard Dreßlers dezente Rhythmusfiguren dabei beinahe etwas Erdiges zwischen all den mit Pathos und für Zuhörerkulturen interpretierten Sehnsüchten angefüllten Treibsand, in dessen Fluss selbst Schmids aktuell Eigenes nicht zu versickern drohte.
Selten wurde, dank der heimeligen dennoch erregenden Sound-Endfertigung von Philipp Friesel und Grobschnitts Eroc, eine dergestalt sanft animierende Kraft und gleichermaßen poetische Aufsässigkeit der dazumal 'eingezäunten' Generation, so unmittelbar authentisch noch dazu rein akustisch, in Szene gesetzt.
Scheissegal, ob von Kritikern, als ex- Rollkragenpullover, Kunden-Kutten, Jeans oder Kunstleder-auftragender Nostalgietrip mit einer Träne im Knopfloch oder Mauerregime verklärendes Konterfei einer bittergeschmäcklichen Vergangenheit verrufen, sind es doch menschlich tönende Zeitstücke von unauslöschlichen Identitäten.
Letztendlich weitestgehend erlöst vom elektrischem Schnickschnack und jahrzehnte-geschuldetem Rost erhebt hier ein mit allen musischen Weihwassern gesegneter Leisekünstler, zugleich scheinbar reinkarnierter Rockpoet, neben schwülstigen Rock-Preziosen a la Electras "Sixtinischer Madonna" oder Karats gekrönter Freiheits-Vogel gleichermassen, wie auch Lifts tiefenschweres, hier vollends puristisch dargebotenes, Poesie-Parfait "Sommernacht", zum Licht.
Sicher ist, dieses qualitätsbewusste Produkt ist imstande, dem gelernten Ossie sein tönendes Sakrileg und dem Genre-Unbelecktem hingegen musikalisch entdeckungsreiche Aufklärung zu verheißen.
Line-up Manuel Schmid:
Manuel Schmid (Gesang, Keyboards)
Marek Arnold (Saxophon, Klarinette, Keyboards)
Markus Dreßler (Bass, Gitarre)
Ekkehard Dreßler (Schlagzeug)
Gäste:
Wolfgang Scheffler (Keyboards)
Knut Bräuer (Saxophon)
Tracklist "Deine Liebe und mein Lied":
- Worte sind wie Bilder (Lif2.Nach Süden (Lift)
- Sagte mal ein Dichter (Holger Biege)
- Nachtigall (4PS)
- Zu gross der Hut (Veronika Fischer)
- Sonntag (Manfred Krug)
- Glaube mir (Manuel Schmid)
- Leben nur wieder leben (Manuel Schmid)
- Niemals mehr (Veronika Fischer)
- Asyl im Paradies (Silly)
- Albatros (Karat)
- Das Bild (Electra)
- Am Abend mancher Tage (Lift)
- Deine Liebe und mein Lied (Holger Biege)
- Wie ein Fischlein unterm Eis (Karussell)
- Das Ende vom Lied (Manuel Schmid)
- Sommernacht (Lift)
Gesamtspielzeit: 75:15, Erscheinungsjahr: 2017
1 Kommentar
Mario Keim
23. Dezember 2017 um 23:41 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Kleine Korrektur: Ex-Feeling B ist nicht gleichzusetzen mit Rammstein. Lediglich zwei Musiker haben sich der 1994 in Berlin gegründeten international erfolgreichen Band angeschlossen.
Gleichwohl freue ich mich über eine Mischung identitätsstiftender Stücke auf einer neuen CD. Wenngleich ich mich mit dem Begriff Ostrock als Genre nicht allzu viel anzufangen weiß. Wir schreiben (noch) das Jahr 2017. Das sind 28 Jahre nach dem Fall der Mauer. Wir sollten endlich gesamtdeutsch denken und sagen, dass es landauf landab gute deutschsprachige Musik gibt. Nicht mehr und nicht weniger.
Da fällt mir ein, dass diese Scheibe noch gut auf den Gabentisch gepasst hätte… In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!