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Marcelo Paganini / Identity Crisis – CD- Review

Marcelo Paganini / Identity Crisis

Der Gitarrist Marcelo Paganini ist in Brasilien geboren und lebt in Frankreich. Auf seinem aktuellen Album, "Identity Crisis", schart er eine Menge bekannter Musiker/innen um sich. Und schon diese Auswahl lässt darauf schließen, dass wir auf einen berauschenden, spannenden und aufregenden Mix verschiedener Stilrichtungen hoffen können. Allein die Drummer Lenny White und Chad Wackerman lassen eine Öffnung zum Jazz Rock erahnen. Und Chad Wackerman, der unter anderem mit Frank Zappa zusammenarbeitete und auch mit dem Gitarristen Allan Holdsworth, verhilft mir somit zu einem Brückenschlag. Denn Allan Holdsworth ist wohl offensichtlich ein Vorbild für Paganini gewesen, sein Tod traf ihn genauso wie jener von Eddie Van Halen. Hierzu äußerte sich Paganini entsprechend:»When Allan Holdsworth passed away all of a sudden it was up to me and the others to keep guitar composition and playing moving forward. 'Do your own thing' he said every time we met. Now Eddie Van Halen passed away as well and we realize how hard it will be«.

Für dieses Projekt mit den sechs Songs für "Identitiy Crisis" war das wohl auch die Zündung hierfür. So führt er weiter aus:»I changed the tuning of the guitar so I could not repeat anything I knew before. I decided to only use in the whole album, except for acoustic 12 string intros, the black guitar X-Ing Ibanez, no vibrato bar, bare bones. And to record just one guitar per track, to be able to play it live and sound like the album, or better. When live concerts will come back«.

Angesichts dieser Vorinformationen bin ich natürlich gespannt, was mich nun erwartet. "Bacteria" – offensichtlich ein Song über Bakterien, die, .Za.Long after Big Bang«, diesen überleben – überrascht mich gleich zu Beginn eigentlich dadurch, dass sich Sänger Billy Sherwood hier fast so wie Jack Bruce anhört. Der zunächst weitere Aufbau, wenn sich die Musik langsam dazu schleicht mit Piano und Gitarren, nebst des weiblichen Gesanges, bringt mich gedanklich sofort zum Projekt von Carla Bley, "Escalator Over The Hill", ja, ein wenig skurril in jene Richung zielend klingt es für mich. Auch jeweils ein Hauch von Robert Wyatt und Frank Zappa schweben durch den Raum. Als Gitarrist zeigt sich Paganini eigentlich nur kurz und vor der Fünf-Minuten-Grenze etwa setzt ein Solo an – ist er es an den Keyboards oder benutzt er hier die Synthaxe à la Holdsworth? Ab 6:43 hört man die Gitarre dann aber doch laut und deutlich. Trotz der wohl offensichtlichen Vorbilder Allan Holdsworth und Eddie Van Halen ist er weit davon entfernt, deren Spielweise nachahmen oder kopieren zu wollen, aber ein  eindrucksvoller und virtuoser Flinkefinger ist er, wie er auf fast jedem Song eindrucksvoll beweist.

Im Laufe der Platte stellt sich ein gelungener Mix zwischen Jazz Rock und Prog Rock vor, vornehmlich eher stark auf Keyboards denn als allein auf Gitarren ausgerichtet. Sherwood nimmt hierbei als prägender Sänger eine wichtige Position ein. Es geschieht ausgesprochen viel, ständige Wechsel der Rhythmen, und durch den Einsatz der verschiedenen Musiker sicher auch wichtige Einflüsse in der Verarbeitung. Keyboards und die Gitarren stehen stark im Fokus, abwechselnd, doch auch die jeweiligen Schlagzeuger sind in vollem Einsatz, und der Bass brummelt kräftig, nicht nur alles zusammenhaltend, sondern virtuos vorantreibend. Er brummelt auch bei der Ballade "Soul Much Further Away" und das Tempo wird nun zugunsten eines lässigen Grooves zurück gefahren. Hier als auch beim folgenden "Learn To Love To Wait" sorgt der großartige Drummer Lenny White für den entspannten und coolen Rhythmus.

Letztlich komme ich stets wieder auf das schräge und teils skurrile "Escalator Over The Hill" zurück, mit seinem oft moritatenhaften Charakter. Dieser ist hier zwar nur ansatzweise vorhanden, auch fehlen die typischen Bläser, doch gelegentlich bricht die Stimmung dahin auf. Ferner sind es die verschiedenen Lieder von Jack Bruce aus dessen Solowerk, die mich gedanklich zu "Identity Crisis" führen, besonders aus den Platten "Out Of The Storm" oder "How’s Tricks".

Schließlich ist es Paganini gelungen, eine sehr interessante Platte im Umfeld von Prog Rock, Jazz-Rock und Fusion vorzulegen, die viele Überraschungen birgt, die dank der hochwertigen Musiker, welche zum Teil unter anderem bei Yes, Asia, Steven Wilson, Return To Forever und Frank Zappa spielten, niveauvoll geraten ist und einen bunten Flecken im Allerlei der heutigen Musiklandschaft darstellt. Musik, die zugänglich und quer zugleich ist und dadurch ihre Reibung erzielt.


Line-up Marcelo Paganini:

Marcelo Paganini (acoustic and electric guitars, keyboards – #1-3,5,6)
Billy Sherwood (vocals, bass – #4)
Adam Holzman (keyboards – #1-4)
Rachel Flowers (vocals – #1,4,5, piano – #1, electric guitar first solo – #4, Hammond – #6)
Lenny White (drums – #3,4)
Chad Wackerman (drums – #1,2,6)
Jan Dumee (guitar solo – #3)
Marc Madore (bass – #1,3,5)
Karla Downey (vocals – #3,6)
Jamison Smeltz (vocals – #3,6, sax – #6)
Damilton Viana (percussions – #3)
Esdras Ferreira Nenem (drums – #5)
Adriano Campagnani (bass – #2,6)

Tracklist "Identity Crisis":

  1. Bacteria
  2. Circus Is Empty
  3. Soul Much Further Away
  4. Learn To Love To Wait
  5. Tangerine Way
  6. Captain’s Face

Gesamtspielzeit: 38:25, Erscheinungsjahr: 2020

Über den Autor

Wolfgang Giese

Hauptgenres: Jazz, Blues, Country
Über mich: Althippie, vom Zahn der Zeit geprägt, offen für ALLE Musikstile
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Mail: wolfgang(at)rocktimes.de

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