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Marcus King Band / Carolina Confessions – CD-Review

Marcus King Band / Carolina Confessions

Marcus King gilt als Wunderkind der modernen Rockmusik und in den Staaten nennen sie ihn bereits die ultimative Zukunft des Blues. Schon seine ersten beiden Studioalben und vielleicht mehr noch seine unglaublichen Live-Auftritte haben dem inzwischen zweiundzwanzigjährigen jungen Mann aus Greenville, South Carolina und seiner herausragenden Band schon frühzeitig einen solchen nachhallenden Ruf eingebracht.

Mit seinem neuen Album "Carolina Confessions" geht Marcus nun in eine weitere Evolutionsstufe: Das Wunderkind ist erwachsen geworden. Ganz ehrlich, ich frage mich, wie so ein junger Mensch eine solche Reife und Reflektiertheit in seine Musik einbringen kann, die doch allein schon  aufgrund seiner einzigartigen Virtuosität herausragt. Mit derart viel Gefühl und Herzschmerz, als blicke er zurück auf ein langes bewegtes und nicht immer komfortables Leben. Nein, Marcus ist eben nicht nur der großartige Gitarrist und talentierte Sänger, der seinen Mentor Warren Haynes so sehr begeistert, er ist auch noch ein begnadeter Songwriter und mitreißender Interpret. »Es gab so viele Dinge, die ich erzählen, mir von der Brust schreiben wollte, über Fehler, die ich gemacht habe und Schmerz, den ich fühlte. Mein Weg ist es, durch das Schreiben und spielen von Songs meine Sünden zu bekennen und meinen Geist zu entlasten«, sagt Marcus selbst. Darin mag der Grund liegen, dass "Carolina Confessions" so tief berührt wie eine selbst gemachte, eindringliche Erfahrung. Musik aus dem Herzen eines Ausnahmetalents und ganz sicher auch aus dem Herzen seiner eigenen Herkunft, denn in diesem Album schwingt neben dem Blues und dem Soul, für den wir Marcus King seit ein paar Jahren schon bewundern, auch eine gute Portion Amerikana mit. Eine Musik mit geografischer Deklination. Mit Wurzeln, Geist und ganz viel Gefühl. Klingt irgendwie auch ein bisschen nach Warren, oder?

Die Songs sind weitgehend in einem melancholischen Themenkreis aus Schuld, Sühne und Vergebung angelegt. »Verzeih mir, dass ich gesündigt habe. Der Schmerz, durch den ich dich durchgebracht habe, bringt mich innerlich um. Ich dachte, wenn ich dich zum Gehen bringen könnte, dann würdest du sehen, ich bin sowieso keinen Pfifferling wert.« So und nicht anders geißelt sich Marcus gleich im Auftakt "Confessions" und lässt keinen Zweifel an der tiefgründigen Authentizität, mit der er dieses große Album durchleben wird. Reflexionen und Visionen eines Zweiundzwanzigjährigen, man mag es kaum glauben.

Marcus King

Marcus King

Passend dazu prangt ein verfallener Beichtstuhl in einem verwilderten Garten auf dem Cover, Wurzeln und Symbolik eines außergewöhnlichen Menschen, der uns an seinem Schmerz, seiner Sühne, aber auch seiner Hingebung und Liebe teilhaben lassen will. In einem Gewand voller Soul lastiger Anspielungen auf die glorreichen Siebziger, in denen ich aufwuchs und die ich so wie hier schon lange nicht mehr in einer neuen Platte assoziiert habe. Soul schwangere Bläser über Blues getränkter Rhythmusfraktion und darüber eine Stimme voller Herz und Seele und eine Gitarre direkt von den Göttern des Rock’n’Roll – Backflashs und Erinnerungen an die große Zeit unserer Kultur.

Immerhin, beschwingte Momente sind bei aller Melancholie durchaus auch auf "Carolina Confessions" vorhanden, man nehme nur das swingende "How Long" mit treibender Rhythmik, groovenden Keyboards und befeuernden Gebläse-Einlagen. Back To The Roots heißt nicht zwangsläufig, dass es nur getragen zugehen muss und ganz nebenbei klingen in "Autums Rains" gravierende solistische Anspielen auf die Urväter des Southern Rocks an. Die Allman Brothers werden es auf ihrer astralen Wolke sicher sehr gern vernommen haben.

Und einmal geht die Post dann auch richtig ab, wenn sich aus dem Album kurz vor dem Ende mit "Welcome 'Round Here" ein gradlinig treibender Song entwickelt, der wirklich ganz nah bei Warren Haynes und den Mule herangewachsen zu sein scheint. Dieser krachende Blues Rock auf puren  Southern-Pfaden mit seiner wilden Jam-Orientierung und einem Solo scheinbar aus einer anderen Dimension lässt keine Gefangenen zu. Wenn die Gitarre ausholt, dann kursiert sie zunächst verträumt in kreiselnden, psychedelischen Bewegungen um das Thema herum, nimmt uns entspannt bei der Hand und dann gibt es einfach nur noch Vollgas nach vorn. Ein Moment der totalen Losgelöstheit, sicherlich die absolute Ausnahme in der sonst so reflektierten Atmosphäre des Albums.

Doch dann der komplette Salto Rückwärts zu "Goodbye Carolina", dem absoluten Über-Song von "Carolina Confessions", so voller Wehmut und selbst referenziellem Schmerz, eine ultimative Hymne auf Heimat, Verlust, Schuld, Sühne und Vergebung. Ein junger Mann, der seine Vergangenheit in allen Facetten erfühlt, verarbeitet und mit uns teilt. Ergreifend und in jeder Note glaubwürdig. Eine folkloristische Akustik-Gitarre, dezente Applikationen von der Lapsteel-Guitar und ein hinreißend einfühlsamer Gesang, der entgegen dem üblichen Duktus in Marcus' Stimme ein klein wenig reduziert und zurückgenommen scheint. Am Ende entblößt Marcus King seine Seele in einem zeitlosen Song voller Magie und Schönheit und der Song wächst in mir mit jedem Mal des hingebungsvollen Zuhörens. Er wuchert und reift und führt mich ins Licht. Frieden mich sich selbst und seiner Umwelt, das, was sich wohl jeder wünscht. Ein bisschen davon lässt "Goodbye Carolina" zurück, wenn man sich drauf einlässt.
Ein unglaubliches, kleines Stückchen Musik.

Marcus King Band

Marcus King Band

Marcus King phrasiert wie ein junger Gott. Insbesondere wenn man ihn live sieht und hört, möchte man meinen, seine Soli seien aus einem einzigen Fluss folgerichtiger Töne geboren. Keine Note, die nicht irgendwie genau die richtige zu sein scheint. Er entdeckt auf seinem neuen Werk mehr als zuvor aber auch die subtilen Töne akustischer Saitenakrobatik und setzt geschickt stilvolle Lapsteel Slide-Einlagen in stimmungsvolle Hintergründe, beeindruckend reduziert im sanft schwebendem "Remember" und gerade dadurch zu neuer Meisterschaft gebracht. Dabei legt er, der große Virtuose, ein erstaunlich reifes Understatement an den Tag. Keine Effekthascherei, kein wildes Solo-Geprotze, es geht einzig und allein darum, die Stimmung möglichst ehrlich und echt zu transportieren. Das gelingt Gänsehaut erregend.

Aufgenommen in Nashville für Fantasy Records und unter den wachsamen Augen eines bewährten Produzenten wie Dave Cobb (der unter anderem auch den großartigen Jason Isbell unter seinen Fittichen hat) entfaltet sich das Können des jungen Meisters angemessen und authentisch, liefert ein eindrückliches Dokument seiner überragenden Klasse. Ein Album weit über den Möglichkeiten gewöhnlicher Anfang Zwanzigjähriger. Marcus ist die Hoffnung, dass die Musik der Allmans, der Dead und der Mule in eine neue Epoche geht und uns auch in Zukunft mit fantastischer Rockmusik erfreut. Im Januar wird die Marcus King Band das zehnte Island Exodus Happening von Gov’t Mule auf Jamaika mit dankbarer Empathie bereichern und es ist ganz und gar kein Wunder, warum sich Warren so wahrhaft väterlich um jemanden kümmert, der sein musikalisches Erbe einst in eine neue Zeit führen wird. Marcus King und seine virtuosen Freunde sind die neue Generation leidenschaftlicher amerikanischer Rockmusik. Mögen sie uns recht oft mit ihrer Kunst erfreuen.

Fotos mit freundlicher Genehmigung von Oktober Promotion.


Line-up Marcus King Band:

Markus King (guitar, vocals)
Jack Ryan (drums)
Stephen Campbell (bass)
Justin Johnson (trumpet, trombone)
Dean Mitchell (sax)
DeShawn 'D’Vibes' Alexander (keyboards)

Tracklist "Carolina Confessions":

  1. Confessions
  2. Where I’m Headed
  3. Homesick
  4. 8 a.m.
  5. How Long
  6. Remember
  7. Side Door
  8. Autumn Rains
  9. Welcome 'Round Here
  10. Goodbye Carolina

Erscheinungsjahr: 2018, Gesamtspielzeit: 48:42

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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