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Marcus King Band / Same – CD-Review

Sollte ich in diesen Tagen einen Arzt aufsuchen, dann kann ich nur hoffen, dass kein Elektrokardiogramm anstehen wird. Es würden merkwürdige Ausschläge und Schwankungen zu registrieren sein. Denn mein Herz hüpft gerade vor Verzückung und Begeisterung über ein neues Werk, das offiziell erst am 07. Oktober das Licht der Welt und die Regale der Platten-Verkäufer erblicken wird. Das neue Album der Marcus King Band. Gesundheitlich gefährdend ist das nicht, eher von überaus belebender Wirkung, denn wer den Esel im Blut hat und Warren Haynes auf dem Olymp sieht, der muss zwangsläufig in irgendeine euphorische Reaktion ausbrechen, wenn ein junger Erbe seiner liebsten Musik sich aufmacht, das Werk der alten Allman Brothers in ein neues Zeitalter zu tragen.

Dass Marcus King einen Plan hat, das war mir schon während seines unwiderstehlichen Konzertes bei der diesjährigen 'Mountain Jam' sehr schnell klar. Dass ihm das nötige Talent dazu in die Wiege gelegt wurde, war ebenfalls keine Frage. Aber wie zum Kuckuck kann ein so junger Musiker ein derart reifes Album in die Welt schicken, welches sowohl die tiefsten Wurzeln seiner Kultur und seiner eigenen Jugend und Geschichte widerspiegelt als eben auch einen schier überschäumenden Spirit jugendlicher Frische und Spielfreude an den Tag legt? Ein solcher Junge kann unmöglich von dieser Welt sein. Zwanzig Jahre alt, man kann es nicht oft genug betonen.

Ein Auftakt wie ein bunter Strauß funkiger Blüten sprüht uns euphorisch wie eine Erleuchtung zum stimmungsvollen Auftakt in "Ain’t Nothing Wrong With That" entgegen. Und spätestens mit der wirklich unfassbaren Jam auf seinen Großvater in "Devil’s Land" überwältigt mich Marcus King endgültig mit einer erdig, eleganten Gitarre, die direkt aus den Geschichtsbüchern der gepflegten Rockmusik entkommen zu sein scheint – oder einem gütigen Universum der Götter des Rock’n’Roll. In Monty Pythons "Das Leben des Brian" hätten sie sogleich einen neuen Messias gefunden, ich kann mich nicht ganz davon frei sprechen, dass ich versucht bin, auf eine ähnliche Spur einzubiegen. Das ist göttliche Musik, berührt und begleitet vom Meister selbst.

Marcus vereint die großen Geister seiner Vorgänger zu einer phänomenalen Mixtur und schenkt ihnen ein neues Gesicht – jung und unverbraucht, voller Tatendrang und überschäumendem Temperament. Dabei setzt er sich durchaus auch mit ernsthaften Gedanken auseinander, beleuchtet sehr kritisch die nicht immer nur süßen Tage seiner Kindheit und schenkt uns tiefe Einblicke in sein Seelenleben. »Musik ist eine Art Therapie für mich, hilft mir, meine Schmerzen und Verzweiflung auszudrücken, meine Ängste mit meinem Publikum zu teilen«. Das hilft ungeheuer, Musik ist ein wahrer Heiler.

So spricht er über eine letztlich ziemlich kaputte Beziehung zu einem Mädchen, das ihn erst ausnutzt und seine eigene Schwäche gegen ihn wendet, bevor sie bereut und sich selbst hasst für das, was sie ihm angetan hat "Self-Hatred". Marcus sagt nur, »Mann, das kenn ich«. Autobiografisch oder fiktiv, die Grenzen in seinen Texten gehen fließend ineinander über. Alles präzise auf den Punkt gesteuert durch Marcus' wirklich überirdischen Gesang.

Gänsehaut erzeugend erinnert mich "The Man You Didn’t Know" an Dave Grusins mitreißenden Soundtrack in dem dramatisch berührenden Jugend-Roadmovie "The Cure". Reflektiert und unter Kontrolle, aber immer am emotionalen Anschlag fließen die Licks der Gitarre dahin wie die unaufhaltsamen Wasser des 'Ol Man River'.

Verspielt funkiger Soul, befeuert von einer Band eigenen Bläserfraktion, Country-Anleihen wie aus den Dylan’schen Gefilden, gelegentliche psychedelische Ausschweifungen eines Jerry Garcia und ein leidenschaftlich mitreißender Jamrock, der in einer Gitarre kulminiert, die sich eigentlich nur der Herr persönlich ausgedacht haben kann. Nein, diese Gitarre entstammt aus den Inspirationen des großartigsten jungen Musikers, den ich jemals gehört habe. Aber ja, und auch der Geist eines Warren Haynes ist all gegenwärtig, wenn Marcus zu einer seiner unglaublichen Solo-Eskapaden abhebt und in "Virginia" greift der Meister höchst selbst zum Bottleneck und leistet Beistand als begeisterter Gesinnungsgenosse. Ganz ungewöhnlich ist das nicht, hat doch Warren schon seit Jahren seine helfende Hand an die Karriere seines legitimen Nachfolgers gelegt.

Und selbst vor Jazz ist der hoch talentierten Combo nicht bange, da wird gegroovt und phrasiert, als wäre man seit vierzig Jahren unterwegs. Nein, der Weg der Markus King Band ist erst auf der Startbahn unterwegs, das aber mit einer unglaublichen Energie und Hingabe, die auch dem Workaholic Warren beeindrucken wird. "Guitar In My Hands" erzählt davon.

So wie einst ein Derek Trucks mit real genetischer Verbindung aus den fruchtbaren Nährböden der Allmans hervorging, um sich an die Spitze der großen Rock-Titanen unserer Zeit zu spielen, so wird Marcus King ein neues Kapitel zeitloser amerikanischer Rock-Kultur beschreiten. Er hat das Zeug dazu und ganz offenkundig auch den Willen, das hat seine Biografie schon in diesen jungen Jahren bewiesen. Marcus braucht die Musik wie die Luft zum Atmen, er hat die Musik in sich und er drückt sich durch sie aus. Ohne seine Musik geht es nicht. Er ist ein positiv Verrückter, der ganz in seiner Welt lebt, einer Welt der immer und überall gegenwärtigen Rockmusik. Wenn ich an meinen Helden Warren denke, dann kommt mir das irgendwie sehr bekannt vor.

"The Marcus King Band" hat das Zeug zu einem Genre-Klassiker und Marcus King wird ein ganz Großer, daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Vor allem aber dürften sich alle Freunde von Gov’t Mule weltweit darüber freuen, dass ihre Musik weiterleben wird, selbst wenn die Helden eines Tages über die Rente nachdenken werden. Herrliche Aussichten für einen 'Mulehead'.

Im November kommen sie zu uns, The Marcus King Band spielt in Köln und Berlin. 'The King Will Come, And The King Will Rule!'


Line-up Marcus King Band:

Marcus King (guitar, vocals)
Jack Ryan (drums, percussion)
Stephen Campbell (bass)
Matt Jennings (keyboard, organ)
Dean Mitchell (saxophone)
Justin Johnson (trumpet, trumbone, backing vocals)

Tracklist The Marcus King Band:

  1. Ain’t Nothing Wrong With That
  2. Devil’s Land
  3. Rita Is Gone
  4. Self Hatred
  5. Jealous Man
  6. The Man You Didn’t Know
  7. Plant Your Corn Early
  8. Radio Soldier
  9. Guitar In My Hand
  10. Thespian Esionage
  11. Virginia
  12. Sorry Bout Your Lover

Gesamtspielzeit: 56:35, Erscheinungsjahr: 2016

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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