Neunzehn Jahre alt, eine Stimme zwischen Paul Rodgers und Rod Stewart, voller gefühlvoller Inbrunst und Leidenschaft. Ein Gitarrenspiel wie aus den Genen meines Lieglingshelden Warren Haynes – hab ich da irgendwie fantasiert bei der letzten Mountain Jam im fernen Hunter, NY?
Gut, das Internet verband mich Live mit diesem traditionellen Event, das für mich nun schon zum zweiten mal die Govt Mule-Europa-Tournee nostalgisch beschloss, zu Nacht schlafender Zeit und dieser Typ, der da so jugendlich frisch die Bühne mit seiner Klasse Kombo erstürmte, sah tatsächlich aus wie ein Warren vor sehr langer Zeit. Und verdammt nochmal, er klang auch so. Also alles nur geträumt?
Von wegen, da macht sich ein junger Amerikaner gerade auf den Weg, auf den Pfaden eines Derek Trucks zu wandeln. Entwachsen aus dem Urschlamm der Allmans, die der Rockmusik ihren Stempel so unvergleichlich nachhaltig aufgedrückt haben, entwickelte sich einst der Neffe des Allman’schen Trommlers zu einem inzwischen überall verehrten Weltstar. Mann, Marcus King kann das auch schaffen, den richtigen Namen trägt er ja schon.
Seine Kompositionen klingen wie aus einem Roadmovie durch die (Süd-)Staaten und besitzen eine Reife und Struktur, als könnten sie unmöglich aus einem solch jugendlichen Schädel stammen. Leidenschaftlicher Blues Rock allenthalben, in "Boone" lasziv schwelender Louisiana Swamp, eine Latino-Improvisation namens "Fraudulent Waffle", wie sie selbst Carlos Santana auf seinem neuesten Werk nicht zu bieten hat. Und "Honey" versprüht den schweißtreibenden Soul eines Curtis Mayfield. Doch vor allem quert die Band immer wieder in die Randbereiche des Jazz, ganz im Sinne eines Gregg Allman. Fast schmeichelnd begleitet die klassische Orgel ihren Meister, nicht ohne immer wieder eine kleine Solo-Improvisation einzustreuen. Gelegentlich ergänzt mit kurzen Schnipseln inspirierten Gebläses. So verstärkte Marcus King seine elegant groovende Truppe bei der Mountain Jam um Trompete und Saxophon, während einer späteren Jam mit Gov’t Mule übrigens fantastisch ergänzt durch den immer wieder auch mal zur Posaune greifenden Danny Louis. Ganz nebenbei bemerkt ,sprengte genau dieses Mulekonzert in jener Nacht wirklich alle Grenzen irdischen Daseins. Das als Mulehead unerwähnt zu lassen wäre eine Todsünde.
Hey, und Marcus' "No Deeeney" klingt tatsächlich wie eine Mule-Nummer, gesteigert noch in "Keep Moving" – spirituelle Verwandtschaft.
Marcus King phrasiert wie ein Großer Alter, gefühlvoll intuitiv und mit einem unfassbaren authentischen Duktus – Mann, der Junge ist gerade mal 19 Jahre alt. Doch die Läufe auf seiner Gibson gehen ihm mit einer Leichtigkeit von der Hand, dass man niederknien möchte. Wenn der Blues abgeht, dann kommen gelegentlich sogar ein paar wehmütige Erinnerungen an den so früh verstorbenen Jeff Healey hoch. Knochentrocken in den relaxten Riffs und wie ein geschmeidiger Lavafluss, wenn er zu einem seiner herrlichen Soli ansetzt. Dickey Betts beeinflusste einst Warren Haynes, diese beiden prägten Derek Trucks. Der wiederum spiegelt sich mit Warrens Geist in Marcus King wieder – eine genetisch logische Anthropologie genialer Rockmusik. Irgendwie glaube ich immer noch, mich in einem Traum zu befinden – aber zum Glück ist diese Band total real. Abwechslungsreich an stilistischen Einflüssen, voller brillanter Ideen und virtuoser Rockmusik, produziert übrigens auf Warren Haynes' Teen Evil Label.
Was für ein unglaubliches Debüt mit ganz viel "Soul Inside".
Line-up Marcus King Band:
Marcus King (lead vocals & guitar)
Jack Ryan (drums)
Antony House (bass)
Alex Abererombie (organ)
Tracklist "Soul Inside":
- Always
- Boone
- Fraudulent Waffle
- Honey
- Dave´s Apparition
- Everything
- No Deeeney
- Dyin´
- Booty Stank
- Opie
- Keep Moving
- I Won´t Be Here
Gesamtspielzeit: 56:02, Jahr: 2016
3 Kommentare
Michael Breuer
2. Juli 2017 um 10:27 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hi Peter, na da werde ich ja fast ein wenig rot im Gesicht. Vor allem wegen Deiner lobenden Worte und ein bisschen auch wegen Derek. Ich habe den tatsächlich jahrelang als Sohnemann von Butch bei mir im Hinterstübchen gelagert gehabt und erst im April, anlässlich einer Recherche für Warrens Geburtstags-Portrait bemerkt, dass ich da auf dem Holzweg war. Kismet. Marcus hab ich im letzten Jahr in der Kantine und in diesem in Berlin gesehen. Die ganze Band war umwerfend gut. Und was mich besonders gefreut hat: 2016 waren wir vielleicht 40-50 Leute, die zugeschaut haben, in Berlin waren es bereits ein paar hundert. Ich habe dort viele Muleheads getroffen, die aus ganz Deutschland angereist waren. Marcus hat in wenigen Monaten seine Popularität hier in Europa enorm gesteigert und in den Staaten gilt er schon eine Weile als Geheimtipp. Klar, da hilft sein "Ziehvater" Warren natürlich auch, wo er kann. Toll, dass so ein junger Musiker eine solch tief verwurzelte Rockmusik spielen kann. So stirbt unsere Lieblingsmusik selbst dann nicht aus, wenn Warren und seine Kumpels einst in Rente gehen werden. Ein schöner Gedanke!
Dir auf jeden Fall vielen lieben Dank, beste Grüße aus Duisburg,
Michael
Peter
11. Juli 2017 um 20:58 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hi Michael,
ne Du brauchst nicht rot zu werden … lach!!!!
Ich find es einfach nur klasse das jemand ohne journalistische Ausbildung (oder ist da doch etwas?) solch tolle Sätze und Zusammenhänge schreiben kann!
Und wegen Derek … irren ist menschlich, und wie ich sehe hast Du es ja schon verbessert.
Tja Marcus ist irgendwie schon ein Phänomen. So jung und trotzdem steckt in ihm soviel Potenzial das einem fast schon Angst und Bange werden kann … positiv gesehen natürlich. Hoffentlich übertreibt er es nur nicht mit den Gigs "around the world", denn die Truppe ist ja permanent unterwegs. Wie er mir in Köln sagte wäre er im Moment doch ganz schön müde, also aufpassen lieber Marcus!!
Im Herbst ist er ja schon wieder in Deutschland, leider sind wir dann in Florida. Und das lustige (eigentlich nicht lustig) daran ist das er dann im Oktober in Florida (z.B. 2x in Key West) auftritt wenn wir wieder zu Hause sind. In Key West sind wir auch für 4 Tage … leider ungefähr 3 Wochen zu früh!!
Ansonsten find ich es sehr nett von dir, das Du auf meine Nachricht geantwortet hast, denn das macht noch lange nicht jeder.
Jetzt freue ich mich erst mal auf Ten Years After mit DeWolff im August in Mönchengladbach. Und dann am 07. November spielen Gov’t Mule, The Brew und Albert Lee bei uns bei den Leverkusener Jazztagen … das wird in Abend!!! Evtl. sieht man sich dort ja, denn das ist doch auch für dich sozusagen vor der Haustür!!
Am 13.11. dann noch Samantha Fish in Bonn … ein toller musikalischer Herbst.
Danke dir für die schönen Worte und einen lieben Gruß aus Leverkusen
Peter
Peter
1. Juli 2017 um 19:33 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Jetzt habe ich alle Rezensionen über Gov’t Mule und die Marcus King Band gelesen, und komme aus dem Staunen kaum noch heraus. Selten solch eine fundierte und facettenreiche Sprache von einem nicht? Musikjournalisten gelesen.
Ich kann so gut wie alles zu 100% unterschreiben weil ich auch ein totaler Gov’t Mule und Marcus King Fan bin. Marcus war mit seiner grandiosen Truppe, Jack Ryan an den drums ist ja der helle Wahnsinn, am 01. Mai diesen Jahres in der Kantine wo ich ihn das erste mal live gesehen habe. Wow, wow, wow, umwerfend geil! Ein Highlight für 2017 … aber am 07. November kommen ja noch Gov’t Mule zu uns nach Leverkusen!!
Nach dem Konzert noch ein bisschen mit Jack und Marcus geplaudert … sehr sympathische Jungs!!
Die Nähe zu Warren Haynes ist natürlich klar, denn beide wurden nicht weit voneinander geboren. Der eine in Greenville, South Carolina, der andere in Asheville, North Carolina.
Aber ein Fehler ist mir dann doch aufgefallen: Derek Truck als den Spross des Allman’schen Trommlers zu bezeichnen ist dann doch zu viel des guten. Butch Truck war der Onkel von Derek, nicht der Vater!!
Aber nichtsdestotrotz lese ich deine Rezensionen7Berichte sehr, sehr gerne, weil sie eben kurzweilig und in einer tollen Sprache geschrieben sind … und sie decken sich zu fast 100% mit meinem Geschmack (ich kann es nur nicht so schön ausdrücken)!!