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Marcus King / El Dorado – CD-Review

Marcus King / El Dorado

Als ich Marcus King zum ersten mal wahrnahm, damals auf der Bühne der Mountain Jam 2016, war mir gleich klar, dass dieser junge Musiker einen Weg gehen wird, der den Rest der Welt nicht unberührt lassen kann. Seine schier unbegrenzten Fähigkeiten auf den Saiten, die für sein Alter schlicht unfassbare, weiche Soul-Stimme, die den Weltschmerz ganzer Generationen eingefangen zu haben scheint – all das lässt er geradezu spielerisch einfließen in Songs voller Emotion und leidenschaftlicher Reife. Nach zwei Alben, auf denen es die Marcus King Band mächtig krachen ließ, folgte 2018 mit Carolina Confessions eine Wendung hin zu einer Art Spurensuche nach den eigenen Wurzeln, ein verzauberndes Album zwischen Blues und Americana. Marcus geht nun den nächsten Schritt, erstmals ohne seine eigene Band, und dringt tief ein in die Kultur seines Umfelds. Er, dessen Opa schon Gitarre gespielt hat.

Dabei überließ Marcus auch auf diesem Weg nichts dem Zufall und heuerte mit Dan Auerbach einen prominenten Produzenten an, Frontmann von The Black Keys, die ein Jahr vor Marcus ebenfalls bei der Mountain Jam spielten. In Dans Easy Eye Studio entstanden die kleinen Meisterwerke, unterstützt von einer Armada legendärer Studiomusiker, unter deren Mitwirkungen schon Songs wie Dusty Springfields "Son Of A Preacher Man" und Hits von Elvis Presley, Bobby Womack und Neil Diamond einst entstanden sind. Wir waten förmlich in tiefer Tradition.

Schon der überaus sanfte Auftakt in "Young Man Dream" mit der akustischen Gitarre und dem schönen, melancholisch reflektierenden Text weist ein Stück weit den Weg. Da elaboriert ein reifer Musiker über die Träume, Hoffnungen, Enttäuschungen eines Siebzehnjährigen – und ist gerade mal ein paar Tage älter.
Ein anderes Beispiel für atemraubendes Songwriting bietet der hinreißend dahin schwebende Blues "Wildflowers & Wine": »Wild flowers and wine. An old scratchy record Plays in the background of our lives. We’re still here dancing after all this time. Wild flowers and wine.«
Zu diesem Song kommt mir ein etwas in die Jahre gekommenes Paar in den Sinn, welches draußen auf der Veranda auf der Schaukel sitzt und in stiller Zufriedenheit in den Sonnenuntergang schaut, wissend, dass man im Leben den rechten Weg gegangen ist. Allein dieses Stück zeigt eindrücklich, dass Marcus King die Seele des Menschen im Allgemeinen versteht, er hat etwas, was gerade seiner Generation weitgehend abhanden gekommen ist: Einfühlungsvermögen.

Immer dann, wenn Marcus King, der sich weitgehend solistisch zurückhält und sein filigranes Saitenspiel ganz und gar der Struktur und Funktion der Lieder unterordnet, dann doch einmal ein paar Licks fliegen lässt wie in "The Well" und "Say You Will", dann spürt man seine kulturelle Verwandtschaft mit Mr. Haynes.
So nimmt es auch nicht Wunder, dass "Too Much Whiskey" fast so beginnt, als hätten die Allman Brothers einen vergessen geglaubten Song wiederentdeckt. Klasse Southern Soul, der dann aber ein Stück weit vom Pfad der zitierten Helden des Südstaaten-Rocks in Richtung Country abzweigt, eine schöne Steel-Guitar wartet an der Kreuzung.

Das mit dem Whiskey ist vermutlich wörtlich zu nehmen, da floss sicher authentische Erfahrung ein. Als ich die Band im Herbst 2016 erstmals live in Köln sah, damals noch vor einer sehr überschaubaren Kulisse, schlurfte Marcus mehrmals an die Bar und gönnte sich ein wenig Feuerwasser. Seiner Konzentration tat das aber keinen Abbruch, der Mann ist zwar jung an Jahren, aber ein höchst professioneller und gestrenger Bandleader; ein Blick und die Truppe tanzt.

Insgesamt kann man zusammenfassen, dass die Stücke in sich ungeheuer stimmig ausgearbeitet sind. Solistische Extravaganzen sind selten, die instrumentale Begleitung sensibel und eher zurückgenommen. Eine fast schon zarte Gitarre bildet natürlich den roten Faden durch die Kompositionen und die abwechslungsreiche dezente Tastenunterstützung schenkt mitunter Schnipsel wie vom Spinett, klaren Piano oder warmen Orgelklängen, was eben gerade passt. Da spürt man die Erfahrung der Begleitmusiker, die über alle Zweifel erhaben sind – man höre sich hierzu nur mal das sanft driftende "No Pain" am Ende des Albums an. Die wunderschönen Texte wie in der hinreißenden Liebesballade "Beautiful Stranger" kommen dadurch entsprechend intensiv zur Geltung. Der grundsätzliche Duktus der Musik liegt sicher in der Nähe countryorientierter Rockmusik und spielt ein bisschen Doppelpass mit dem "Ashes & Dust"-Album von Warren Haynes. Die Songs auf "El Dorado" sind aber in ihrem Ausdruck meist verträumter, mitunter sogar romantisch. Vielleicht liegt darin ja sogar die tiefere Allegorie des Albumtitels, eine Metapher für die Suche nach der großen Liebe.

Wer mit einer klaren Vision und allen nötigen Fähigkeiten ausgestattet ins Studio geht und sich mit der Crème de la Crème von Nashvilles Studiomusikern umgibt, der wird am Ende ein atmosphärisch dichtes und tiefes Werk vorlegen, über das die Welt wieder einmal staunen wird. Eine Musik zwischen Blues, Soul und Country, die ganz weit in ihre eigene Geschichte greift und doch in einem hoch modernen Gewand erstrahlt. Marcus spielt die Musik seines Landes, seiner Umgebung und seiner eigenen Sozialisation nicht einfach nach, er verhilft ihr auf ein neues Level.

Und er ist Sage und Schreibe erst 23 Jahre alt, man mag es nicht glauben, wenn man sein Werk betrachtet. In den ersten Jahren war er gut beraten, sich seinem guten Freund Warren Haynes anzuvertrauen, der die Band häufig zusammen mit Gov’t Mule auf die Bühnen der Staaten holte. Inzwischen mag man das Gefühl erlangen, dass Marcus King sich mehr und mehr emanzipiert, jedoch klug genug ist, sich immer wieder die richtigen Leute an seine Seite zu holen. Das funktionierte bei der Besetzung der Marcus King Band ganz hervorragend und das gelang fantastisch bei der Produktion von "El Dorado". Man muss kein Goldsucher sein, um mit diesem Album glücklich zu werden.


Line-up Marcus King:

Marcus King (lead vocals, acoustic guitar)
Gene Chrisman (drums)
Sam Bacco (percussion)
Chris St. Hillaire (percussion)
Dave Roe (bass)
Bobby Wood (electric piano)
Mike Rojas (organ, piano)
Russ Pahl (acoustic guitar)
Billy Sanford (acoustic guitar)
Dan Auerbach (electric guitar)
Paul Franklin (steel guitar)
Ashley Wilcoxson (background vocals)
Leisa Hans (background vocals)
Ronnie Bowman (background vocals)

Tracklist "El Dorado":

  1. Young Man’s Dream
  2. The Well
  3. Wildflowers & Wine
  4. One Day She’s Here
  5. Sweet Mariona
  6. Beautiful Stranger
  7. Break
  8. Say You Will
  9. Turn It Up
  10. Too Much Whiskey
  11. Love Song
  12. No Pain

Gesamtspielzeit: 42:15, Erscheinungsjahr: 2020

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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