Marianne Faithfull & Warren Ellis / She Walks In Beauty – CD-Review

Marianne Faithfulls Leben gleicht einer Achterbahn.
1946 geboren, war sie mit achtzehn Jahren verheiratet und sie hatte 1964 ihren ersten Hit.
Es gibt wohl kaum jemanden, der "As Tears Go By" nicht kennt.
Ihre Beziehung zu Mick Jagger beschäftigte nicht nur die Boulevardpresse.
"Sister Morphine" reflektiert die Drogenabhängigkeit.
Aus den Schattenseiten des Leben dann 1979 ihr "Boken English"-Befreiungsschlag.
Lieder wie "The Ballade Of Lucy Jordon", John Lennons "Working Class Hero" oder der Titelsong "Broken English" dürften keine Unbekannten sein.

Mitte der Achtzigerjahre dann das endgültige Überwinden der Sucht.
Marianne Faithfull war auch Schauspielerin.
Musik und die Schauspielerei hielten sich so ziemlich die Waage.
Anfang der Zweitausenderjahre kam es zu einer Zusammenarbeit mit Nick Cave sowie P.J. Harvey. Krebs und Covid-19 setzten ihrer Gesundheit zu.
Marianne Faithfull hatte schon in der "Broken English"-Vergangenheit einen Faible für die Kombination aus Gedichten und Musik ("Why D’You Do It?").
Bringt sie es mit dem Album "She Walks In Beauty" nun zur Perfektion?

Gedichte sind keine Sachtexte, die man einfach so unterbeten kann.
Gedichten muss man Leben einhauchen, eine Seele geben. Wenn dann auch noch eine Vertonung dazu kommt, resultiert dieses Vorhaben in einem zweiseitigen Herangehen.
Bemerkenswert sind dazu die Aussagen, die Warren Ellis tätigte, als der Produzent Head ihm die Sprachaufnahmen von Marianne Faithfull geschickt hat: »[…] Ich war nicht auf Melodie oder Akkorde festgelegt, sondern konnte mir unglaublich viele Freiheiten nehmen. Es ging also nicht darum, etwas zu kreieren, das dem Text folgen oder ihn umreißen muss. Das Wichtigste war, dass es sich nicht im Weg stand. […]«
Marianne Faithfulls Gedicht-Auswahl stützt sich vornehmlich auf die großen Schreiber der britischen Romatik.

Alleine schon der Titelsong und gleichzeitig Album-Eröffnung "She Walks In Beauty" ist eine herrliche Klanglandschaft. Wenn dann Marianne Faithfull mit ihrer von den Höhen – oder eher Tiefen – ihres Lebens gezeichneten Stimme einsetzt, ist Gänsehaut pur angesagt. Wundervoll, wie sie sich – nicht nur hier – die Texte mit dem angemessenen Verständnis zu Eigen gemacht hat und den Hörer dann andächtig daran teilhaben lässt, ist die hohe Kunst, einem auf einem silbernen, nein, goldenen Tablett, doch so etwas Spezielles zu reichen.
Man nimmt das Angebot sehr gerne wahr.

Brillant ergänzen sich Klang-Kultur und gesprochene Worte.
Die Sounds und Marianne Faithfulls Stimme sind im Einklang und man kann sich ohne Probleme nur auf die Musik oder nur auf die Stimme konzentrieren.

Die elf Songs lassen es fast nicht zu, ein Lied besonders hervor zu heben. Wenn es überhaupt erlaubt ist, dann könnte John Keats' "Ode To A Nightingale" nicht nur wegen der Spielzeit genannt werden. Himmlisch, die Musik! Dazu die emotionale Verbundenheit der Protagonistin. Primus inter Pares!

Hingerissen ist man von Vincent Ségals feinsten Cello-Beiträgen in "To Autumn".
Dazu auch noch sehr dezente, wie vereinzelte Regentropfen gesetzte Pianotöne, machen die Ode an den Herbst zu einem weiteren Highlight.
Fast zwölf Minuten geht es um "The Lady Of Shallot". Was Lord Alfred Tennyson 1832 in vier Teilen schrieb, enthält von sich aus schon viel mehr Text, als die anderen Reime. "The Lady Of Shallot" ist eine Ballade.
Wenn ein Track schon als Primus inter Pares bezeichnet wurde, dann ist der abschließende Titel der Höhepunkt einer Platte, die ihre Überzeugungskraft in ihrer großen Intensität ausbreitet.

Marianne Faithfulls "She Walks In Beauty" befindet sich abseits der alltäglichen Musik.
Marianne Faithfull ist speziell.
"She Walks In Beauty" ist speziell.
Die eingangs gestellte Frage kann nur mit ja beantwortet werden.
Das Album ist gemacht für die ganz besonderen Momente eines Tages. Es ist übrigens auch im Vinyl-Format erhältlich
Bleibt gesund und nehmt euch zur Ablenkung Zeit für gute Musik.

Line-up Marianne Faithfull & Warren Ellis:

Marianne Faithfull (spoken words)
Warren Ellis
Nick Cave (piano)
Brian Eno (sounds)
Vincent Ségal (cello)

Tracklist "She Walks In Beauty":

1. She Walks In Beauty (2:40)
2. The Bridges Of Sighs (4:55)
3. La Belle Dame Sans Merci (4:15)
4. Ode To A Nightingle (6:49)
5. To Autumn (3:16)
6. Ozymandias (3:08)
7. The Prelude: Book First Indroduction (2:50)
8. Surprised By Joy (2:08)
9. To The Moon (2:21)
10. So We’ll Go No More A Roving (2:20)
11. The Lady Of Shallot (11:46)

Gesamspielzeit: 46:32, Erscheinungsjahr: 2021