»Mario Hené – muss man den kennen?« war mein erster Gedanke, als ich diese CD aus dem Briefkasten gezogen habe. »21 Lieder mit akustischer Gitarre« steht auf der Vorderseite des Covers. Pickepackevoll ist der Tonträger, der Silberling wird gut ausgenutzt. Das schreit nach Zeit, viel Zeit. Und Muße… und Musenkuss. Und nach Recherche, denn wer zum Kuckuck ist überhaupt dieser Mario Hené?
»Geboren wurde Mario Hené am 8.2.1954 in Berlin-Charlottenburg. Sein Vater Arthur stirbt, als Mario drei Jahre alt ist. Bei seiner Mutter Hilde wächst er mit seinem Bruder Piet im Märkischen Viertel auf: "Ein Ort, wo man Einsamkeit kennen lernt"« entnehme ich seiner Biografie. Dass er mit 12 Jahren angefangen hat Gitarre zu spielen und anfangs klassische Gitarrenstücke von Andrés Segovia nachspielte. Sich im Fingerpicking übte und aus der Mischung von Klassik und Folk seinen eigenen Stil entwickelte. Zum Berufsmusiker wurde er durch Zufall: um viel Zeit für seine heroinabhängige Freundin zu haben, entschied er sich für diesen Weg. Dieser verlief keineswegs gradlinig, auch wenn es zunächst so aussehen sollte. Der Budde-Musikverlag wurde auf ihn aufmerksam, als er Ende der 70er Jahre durch Kneipen tingelte. Weil ihm die vorgegebenen Liedtexte zu schlecht waren, schrieb er eigene: "Du stehst am Fenster" war der erste eigene Song und eröffnet das Portrait. Die randvolle CD ist logisch unterteilt in drei Sets von je sieben Liedern. Der jeweils erste Song eines Sets soll eine Bestandsaufnahme für die entsprechende Lebensphase sein.
Jugendliche Suche und Einordnung
Die ersten sieben Songs basieren auf alten Bandaufnahmen eines Solokonzerts im Onkel Pö von 1988. Sie wurden liebevoll überarbeitet und neu gemischt. "Du stehst am Fenster" hat Mario für seinen Bruder geschrieben. Menschen nicht allein nach Äußerlichkeiten zu beurteilen – das Thema ist so alt wie aktuell. Das Set handelt von der Suche nach sich selbst, sich einzuordnen in diese Welt und die eigene Position zu finden. "Spiegelbild" ist mein ganz persönlicher Favorit dieser Phase. "Lieber allein, als gemeinsam einsam" war der Titelsong seines ersten Albums von 1977 und wird mittlerweile von Dating-Portalen und Single-Websites in Beschlag genommen. Dabei schwingt im Originaltitel eine gewisse Melancholie mit, die Schwierigkeit die Partnerin zu finden, die es möglich macht, Individuum zu bleiben. "Jeder malt ein andres Bild" widmet sich dem Thema, dass jeder andere Mensch nur das in dir sieht, was er sehen will. Besonders auffallend im ersten Set ist die warme und weiche (junge) Stimme Mario Henés.
Stufen einer Liebesbeziehung
Das zweite Set wurde 2007 im Kulturforum in Kiel aufgenommen und dreht sich um Beziehungen in all ihren Varianten: Liebe und Trennung, Hoffnung und Angst, Kälte und Schmerz, Verzeihen und Einsicht. Der Opener dieses Sets ist "Die Krone der Schöpfung", eine sehr schön angeblueste Nummer, die gut ins Ohr geht. Ein bisschen geht mir dabei Klaus Lage (mit den tollen Sachen abseits der ausgelutschten Hits) durch den Kopf. Akustik-Gitarrenfreaks dürften über das Fingerpicking im Intro von "Unser Tag" vor Entzücken jauchzen. Bei "Alltag" bleibe ich an der Textstelle »Doch irgendwer fängt irgendwann« hängen… ja, leck mich am Ärmel… ’ne ganz ähnliche Idee hatte der Nena Gitarrist Carlo Karges beim ein paar Jahre später erschienenen "Irgendwie, irgendwo, irgendwann". Zufälle gibt’s … Doch von diesem Fragment abgesehen ist "Alltag" eine ganz andere Nummer: und zwar eine saustarke, sowohl textlich wie auch musikalisch. Wer je erlebt hat, wie eine Beziehung am Alltag kaputtgeht, wird’s verstehen. Das zweite Set weist schon Züge einer gewissen Abgeklärtheit auf. »Schade, wirklich schade, Ich habe geglaubt, es würde gehen« zeugt davon. Da schwingt Bedauern und ein bisschen Resignation mit, aber keine Verzweiflung mehr.
Die Reife des Alters
Große Worte stehen über dem dritten Set. Die Aufnahmen entstanden bei Acoustic Media in Freiburg, überwiegend im August 2015. Einige Lieder wurden für die akustische Gitarre neu überarbeitet, bei drei Titeln spielt Uwe Meusel, der die CD auch produziert hat, die Gitarre. Die Stimme ist deutlich gealtert, ohne das jetzt negativ zu meinen. Sie ist etwas brüchig, nicht mehr ganz so harmonisch warm und hat dadurch einen anderen Ausdruck. Nicht besser oder schlechter, sondern ganz wertneutral anders. Eröffnet wird das dritte Set mit "Wilde Pferde", einer sehr nachdenklichen und metaphorischen Nummer. Ganz stark finde ich auch "Aufrecht", diese wunderbare Liebeserklärung an eine eher unkonventionelle Person. "Lass' dich nicht gehn" baut auf, ohne irgendwelche platten Durchhalteparolen zu bemühen, die man hinter dem Titel vermuten könnte. Das letzte Lied dieses Sets hatte Mario Hené auf seiner Facebook-Seite nach dem Tod von Werner Lämmerhirt gepostet: "Wir seh’n uns wieder", ein Song über den Tod hinaus, gewidmet einem Freund und Musiker, der ihn nach eigenen Angaben durch die 'DADGAD'-Stimmung der akustischen Gitarre stark beeinflusst hat.
Die CD klingt mit der Zugabe "Oceans In The Rain" aus. Das ist eine bisher unveröffentlichte, englische Version von "Lieber allein, als gemeinsam einsam" von 1978. Produzent Uwe Meusel hat Hené bei einem Gitarrenworkshop im Mai 2013 kennengelernt. "… im Portrait" entstand im Rahmen der Vorarbeiten für ein Songbook, für das noch Unterstützer gesucht werden. Gemeinsam haben die beiden eine sehr eindrucksvolle Werkschau geschaffen, die sich ganz sicher nicht beim Nebenbeihören erschließt. Wer aber einen Sinn für sehr feine Akustikgitarre, ausdrucksstarke und ausgefeilte Texte sowie einem gefühlvollen Gesangsvortrag hat, sollte Mario Hené kennen oder kennenlernen.
Line-up Mario Hené:
Mario Hené (Gesang, Akustikgitarre)
Uwe Meusel (Gitarre – #19,20,21)
Tracklist "… im Portrait":
- Du stehst am Fenster
- Wenn ich wüsste
- Traum
- Lieber allein, als gemeinsam einsam
- Spiegelbild
- Jeder malt ein anderes Bild
- Drinnen und Draußen
- Die Krone der Schöpfung
- Unser Tag
- Alltag
- Kalte Herzen
- Schade
- Mein Kaktus
- Verwelkte Rosen
- Wilde Pferde
- Bleib so frei
- Für Dich
- Wenn Du nicht wärst
- Aufrecht
- Lass' Dich nicht geh’n
- Wir seh’n uns wieder
- Oceans In The Rain
Gesamtspielzeit: 79:07, Erscheinungsjahr: 2016
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