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Markus Reuter / Truce – CD-Review

Markus Reuter / Truce

"Truce" heißt Waffenstillstand.

Klingt nach einem Friedensangebot, oder? Weit gefehlt, wir graben nicht den Klappstuhl aus, sondern eine total abgefahrene und losgelöste wilde, progressive Fusions-Gitarre. Gespielt vom Meister, der beim Crimson-King Robert Fripp einst gelernt und seine eigene Touch-Guitar kreiert hat: Markus Reuter, der mir erstmals bei Stephan Thelens "Fractal Guitar" über den plattentechnischen Weg gelaufen ist.

Es ist dies die einhundertste Veröffentlichung von Moonjune Records, dort, wo sich Leonado Pavkovic seit vielen Jahren um grandiose Produktionen im Dunstkreis der Schnittstellen von Progressive Rock, Jazz und Avantgarde verdient macht. Und als ob es eine Hommage an die Ursprünge der Rockmusik werden sollte, bekommen wir zum Jubiläum ein modernes Power-Trio als Wegweiser zeitgenössischer Rockmusik geboten, das ihrer Zeit vielleicht sogar voraus sein könnte. Das werden spätere Generationen beurteilen.

David Torn, Mick Karn und Terry Bozzio waren einst auf einem ähnlichen Pfad unterwegs, Markus Reuter und seine virtuosen Kameraden Fabio Trentini am Bass und Asaf Sirkis am Schlag führen diese Musik fort in ein neues Zeitalter. Und dabei geben sie jede Menge Gas. Wie der Einzug der Stürme in unsere Zeit birgt die Musik ein hochgradig energetisches Potential, da schauen die  Helden des Metal ehrfürchtig herüber, wenn der krasse Titelsong "Truce" das Album eröffnet. Am Rande des Jazz geht es derart deftig zu? »Ja lecks mi am Oarsch«, würde der Bayer sagen und der Titelsong ergötzt sich förmlich an seinen Möglichkeiten. Ein brodelndes Rhythmusgeflecht wird gesteuert durch eine wüste Gitarre, die zwischen wilden jazzigen Improvisationen und Metal behafteten Krachmachereien einen virtuosen Schulterschluss herbeiführen mag. Meine Fresse, geht das ab. Wie geil ist denn das?

Einen annähernd vergleichbaren Ansatz finden wir bei den Stick Men, die vom Ex-King Crimson Schlagzeuger Pat Mastelotto gegründet wurde und wo Tony Levin als alter Kollege und begeisterter Nutzer des Chapman Sticks gemeinsam mit Markus Reuter die Vorzüge dieser einzigartigen Gitarrentechnik zu Gehör brachten.

Ich muss bekennen, dass meine liebsten ekstatischen Vorlieben nicht unbedingt im Tempo und in Aggressivität liegen. Mein Ding ist die Intensität. Dann, wenn dich die Töne dehnen und strecken, als gäbe es kein Morgen mehr. "Swoonage" macht genau das mit mir und der "Boogeyman" schließt sich dankbar dem Trend an. Über einem hypnotischen Bass und einem dezent spielerischen Schlag elaboriert eine geile Gitarre zwischen reflektiven Momenten und völliger Losgelöstheit. Die ungeheure Virtuosität reißt uns hin und her wie eine Olive, die in einem großen Topf griechischen Joghurts getränkt wird. Würzig, knackig und mit Schärfe. Etwas für Freunde rustikaler Küche.

Doch dann wird vorübergehend das Gas abgedreht und wir mäandern hinein in eine basslastige Landschaft, die jazzig befruchtet mit sanft virtuosen perkussiven Eruptionen erst einmal dahin treibt. Eine nachdenklich phrasierende Gitarre nimmt das Angebot an und setzt dem rhythmischen Treiben einen perfekten Kontrapunkt entgegen. Die Amplituden schlagen im Dreizack aus, mal hierhin, mal dahin. Hier behaupten sich drei gleichberechtigte Instrumente: "Be Still My Brazen Heart".

Der kernig, erdige Sound des klassischen Dreiers aus Gitarre, Bass und Schlagzeug verleiht  dem Album schon jetzt eine krachend kraftvolle Durchschlagskraft, die in einer Fusion getränkten Umgebung nur wenigen Virtuosen vergönnt war. Mr. Al di Meola zum Beispiel und der göttliche John McLaughlin haben da auch gravierende Eruptionen voran getrieben. "Truce" erinnert sich seiner Väter, hält uns permanent unter Spannung und gönnt keine Verschnaufpausen.

Ein vertracktes Rhythmus-Experiment namens "Let Me Touch Your Batman", wo ich zugegebenermaßen mein Kopfkino ausschalte, wütet und kreiselt in epileptischen Bewegungen. Schräge Gitarren-Vibes beschimpfen bösartig konterkarierende Bässe und bestrafende Schläge versuchen die Kontrahenten in Kampfeslust zu versetzen. Hier begegnen wir uns mit Provokationen und Lust auf Krawall. Interaktion auf höchstem Niveau und ohne schönende Schnörkel. Eine geile Nummer.

Mag man zum Ende hin den Meister zelebrieren? Ganz sicher. Ein geradezu hypnotisch agierender Bass legt die Basis, das Schlagzeug zeugt von ungeahnter Wildheit, wenn es gelegentlich aus den Strukturen des scheinbar vorgegebenen Songs ausbricht. Und die extemporierende Gitarre schert sich einen Scheiß um Konventionen und wütet munter drauf los. Wir müssen uns im Klaren sein, dass "Truce" kein Album zur beiläufigen Unterhaltung sein mag. Doch wenn wir das Angebot des Waffenstillstands annehmen und uns auf die Musik einlassen, dann kehren wir gestärkt und voller Energie aus den letzten 62 Minuten zurück. Wissend, dass wir uns auf eine Reise begeben haben, auf der uns absolute Topstars begleitet haben, die uns ihre Version vom Frieden bieten. Und den brauchen wir schließlich alle.

Markus Reuter hat über die Jahre seinen eigenen Stil entwickelt und noch dazu die perfekte Gitarre konstruiert: Die Touch Guitar (in diesem Fall die U8). Ob man so Geschichte in der Musik schreiben kann? Na sicher!
Aus den Klassikern wie der Warr Guitar und vor allem dem Chapman Stick, einer Gitarre ohne klassischem Korpus, entwickelte Markus sein eigenes Produkt. Wow.

Dass seine Beziehungen zu den verehrten King Crimson dazu beitrugen, ist Geschichte. Robert Fripp prägte nicht nur das Gitarrenspiel von Markus, er fand in der Zusammenarbeit mit Tony Levin und Trey Gunn auch Meister und Brüder im Geiste, die dem besonderen Saitenspiel des Tapping genauso verbunden waren wie er selbst.
Tapping, das Agieren beider Hände auf dem Hals der Gitarre, fast wie auf einem Piano, wurde 1978 durch Eddie Van Halen populär, doch schon zur Peter Gabriel-Zeit praktizierte Steve Hackett bei Genesis diese Technik. Es war in "The Musical Box", wenn ich mich nicht irre.

Die technischen Betrachtungen zu "Truce" sind sicher sinnvoll, um die besondere Ausdrucksform der Musik herzuleiten. Vor allem aber haben wir es mit Schwindel erregender Virtuosität zu tun, mit purer erdiger Musik, die aus dem klassischen Konzept der Rockmusik, dem traditionellen Powertrio eine hinreißend spannende Beackerung zwischen den Feldern des Rock, des Jazz und der Avantgarde vornimmt, atemraubend und energetisch. Dieses Album wird jeder lieben, der auf abgefahrene Gitarrenklänge steht. Nicht umsonst haben sich Heavy Metal-Saitenschwinger immer schon auch in der Fusion umgeschaut. Jazz-Rock kann unglaublich abgehen, denn nirgendwo anders sind die Finger so schnell.


Line-up Markus Reuter:

Markus Reuter (touch guitars)
Fabio Trentini (fretless bass, bass synthesizer)
Asaf Sirkis (drums)

Tracklist "Truce":

  1. The Truce
  2. Swoonage
  3. Bogeyman
  4. Be Still My Brazen Heart
  5. Power Series
  6. Let Me Touch Your Batman
  7. Gossamer Things

Gesamtspielzeit: 62:33, Erscheinungsjahr: 2019

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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