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Martin Popoff / "50 Jahre Kiss: Die illustrierte Biografie" – Buch-Review

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Für mich bleiben Kiss allzeit das Phänomen, das sie ab 1979 mit ihrem Hit "I Was Made For Lovin' You" waren – ein Hit, der zu Beginn mehr in Diskotheken gespielt wurde und später auch in vielen Radiostationen lief. Das Lied war genau zu jenem Zeitpunkt erschienen, als die New Wave of British Heavy Metal (kurz: NWoBHM) solch wegweisende Bands wie Iron Maiden, Judas Priest, Saxon hervorbrachte und deren Musik nur allzu deutlich machte, dass "I Was Made For Lovin' You" nicht viel mit Hard Rock zu tun haben konnte. Zumindest für einen Augenblick. Dazu kamen die maskierten Gesichter und die ungewohnten Plateaustiefel. An den Gedanken, bei Kiss könnte es sich nach dem einen gehörten Song um eine Hard Rock-Band handeln, wollte ich mich nicht gewöhnen.

Es ergab sich später nie, dass ich in puncto Kiss über meinen engen Tellerrand hinaus blicken konnte. Es gab keine Gelegenheiten. Mit meinen englischen Bands war ich fürstlich eingedeckt. Es dauerte tatsächlich Jahrzehnte, ehe ich durch Freunde und Bekannte erfuhr, welche epochale Entwicklung an mir offensichtlich vorbeigegangen war: Beste Liveband des Planeten, beste Show – alles ging in diese Richtung. Dabei hatten meine Defizite nicht unbedingt etwas mit Desinteresse zu tun. Die Maskenmänner als Wegbereiter des modernen Rock’n’Roll hatte ich offenbar verschlafen.

Wenn auch der Zug in Richtung Livekonzerte abgefahren ist, so ergibt sich doch immer noch die Möglichkeit, Entwicklungen in geeigneter Form nachzulesen. Als neutraler Beobachter richte ich deshalb meine Aufmerksamkeit auf das Buch "50 Jahre Kiss: Die illustrierte Biografie" aus der Feder des erfahrenen Rockjournalisten Martin Popoff. Das fast schon monumentale Druckwerk, das man gut und gern nach Gewicht verkaufen könnte, mutet auf den ersten Blick wie ein Bildband an. Das ist dem Umstand geschuldet, dass Bildbände oft eine solche Größe haben. Hinzu kommt im konkreten Fall, dass uns zu Beginn mehrere doppelseitige Aufnahmen in Schwarzweiß begegnen. Blättert man einmal kurz durch, bleibt der hohe Bildanteil im Gedächtnis. Doch es gibt auf den 193 Seiten vielfältige Informationen. Dem Titel des Buches zufolge ist der Text das Kernstück der reichlich bebilderten Ausgabe. Die großartige Wirkung erreichen aber nur Text und Bild zusammen.

Das Inhaltsverzeichnis zeigt, dass 50 Kapitel symbolisch für 50 Bandjahre seit der Gründung 1973 stehen. Hinzu kommen einige Anhänge. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass der Autor zwar ein akribischer Arbeiter und Dokumentar ist, er aber bewusst seine Grenzen zieht. Das verrät uns das Kapitel Diskographie. Hier stoßen wir auf alle Studioalben, auf ausgewählte Livealben, ausgewählte Zusammenstellungen (Compilation) und auf die wenigen Soloalben der einzelnen Musiker. Schon allein die Auswahl macht deutlich, dass es Grenzen gibt. Der Autor schreibt: »Es sind ausschließlich die wichtigsten Gastmusiker aufgeführt. Wir gehen erst gar nicht dahin, wo irgendein Gitarrist Bass gespielt hat oder umgekehrt. Teilweise sind solche Hinweise auf zusätzliche Musiker in den Einträgen vertreten.« Martin Popoff lässt also die sprichwörtliche Kirche im Dorf. Aufgelistet zu jedem Album sind das Label mit Nummer des Albums, Tag der Veröffentlichung, Zeitpunkt und Ort der Studioaufnahme, Produzent, die Titelfolge und besondere Bemerkungen. Ohnehin wird in den Buchkapiteln auf jedes Album ausführlich eingegangen.

Martin Popoff würde garantiert keine Nachlässigkeit zulassen. Sein Name steht für bisher rund 115 Bücher über Hard Rock, Heavy Metal, Prog Rock und weitere Stilrichtungen sowie einige Plattensammlungen. Das Buch über Kiss hat jedoch einen besonders engen Bezug zum Verfasser. Näher dran als Publizist war sonst niemand außer ihm. Popoff war Zeitzeuge und Autor zugleich, man kann aber mit Fug und Recht behaupten, er ist zugleich ein ausgewiesener Fan. Das darf ein Autor immer sein. Er informiert und er unterhält. Zum Buch heißt es aus seiner Feder: »Kiss waren die erste Band, bei der ich auf allen Alben an Bord gewesen bin – im Gespann mit Rush; beide debütierten 1974, als ich elf war. Ja, dieses Buch hat eine geordnete Basis. Ich habe Kiss genau zu jenem Zeitpunkt entdeckt, als ihr erstes Album erschien.«

Das reichhaltige Bildmaterial mit Livefotos, Pressefotos, Fotos hinter der Bühne, Zeitschriftentiteln und Merchandising-Artikeln macht das Buch allein schon wertvoll. Im Text gesellen sich zu den Informationen rund um die Alben immer wieder Insiderinformationen. Auf diese Weise erfährt der Leser beispielsweise, wie Plattenverträge zustande kamen und welchen Einfluss Comics und Zeichner auf Kiss hatten.

"50 Jahre Kiss: Die illustrierte Biografie" ist ein lesenswertes Kompendium für alle Fans mit dem Charakter eines umfassenden Nachschlagewerkes. Das Werk überzeugt mit der Vielzahl fundiert recherchierter Fakten. Es ist nicht zu vergleichen mit den Zeitschriftentiteln über Kiss, auch wenn diese Publikationen ihre Berechtigung haben. "50 Jahre Kiss: Die illustrierte Biografie" ist Musikgeschichte zum Fühlen, Anfassen und vor allem Erinnern.


Autor: Martin Popoff
Herausgeber: Hannibal Verlag
Sprache: Deutsch
Übersetzung: Matthias Breusch
Hardcover mit Schutzumschlag: 192 Seiten
ISBN-10: 3854457677
ISBN-13: 978-3854457671
Originaltitel: Kiss At 50
Abmessungen: 25,1 x 25,1 x 2,4 cm
Preis: 35,00 Euro

Über den Autor

Mario Keim

Musikstile: Heavy Rock, Rock, Deutschrock, Hard Rock
Marios Beiträge im RockTimes-Archiv

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