Wer rastet, der rostet, denkt sich der wohl mittlerweile 'etwas älter gewordene' Dieter Birr, den seine Freunde nur 'Maschine' nennen. Das Leben muss dennoch weiter gehen, nachdem seine Band, die Puhdys, die Gitarre an den berühmten Nagel gehängt haben. Also wagt sich Birr an ein weiteres Solo-Album, das dritte mittlerweile, denn bereits 1986 wandelte er mit "Intim" und 2014 mit "Maschine" auf Solopfaden.
Neben Musikern wie Marcus Gorstein (Gitarre) und Felix Lehrmann (Schlagzeug) wird er von Uwe Hassbecker (Silly) tatkräftig an Gitarre, Sitargitarre, Mandoline und einer griechischen Laute unterstützt, legen somit ein solides musikalisches Fundament. Dazu hat er sich, wie bereits beim Vorgängeralbum, wieder eine illustre Schar Gastsänger gesucht, die den einen oder anderen Duett-Part übernehmen. Dieses Mal sind es Ela Steinmetz von Elaiza, János Kóbor von Omega, Toni Krahl von City, Dirk Michaelis und Heinz Rudolf Kunze.
Dass einige der auf "Neubeginner" enthaltenen Songs, wie zum Beispiel der Opener "Neubeginn", "Himmel" oder auch "Unterm Himmel von Berlin" dennoch nach seiner Hauptband klingen, kann und wird er vermutlich auch nicht verleugnen, hat Birr doch jahrelang nicht nur die meisten Songs für die Puhdys selbst komponiert, sondern war auch deren 'Stimme'. Man fühlt sich deshalb irgendwie zurückversetzt in die 70er Jahre.
Und doch hat man den Eindruck, dass die Tracks durch die Mitwirkung verschiedener Musiker eine Art Frischzellenkur verpasst bekommen haben.
So ist zum Beispiel "So viel erlebt" ein hübscher Popsong mit einem ganz leichten Countryanstrich, was wohl der Elaiza-Sängerin Ela 'geschuldet' ist. "Der große Magnet" handelt von unserem Planeten Erde und kommt als wunderschöne Ballade daher. Die beiden Stimmen Birr/ Kóbor harmonieren ganz hervorragend. Könnte ebenso ein (Radio)Hit für 'Maschine' werden, wie der textlich amüsante Rockstampfer "Irgendwie begabt", geschrieben von Heinz Rudolf Kunze, der hier mit Birr im Duett singt:
»Lobt mich lobt mich
Wenn mein Hirn auch an der Schädeldecke schabt
Lobt mich lobt mich
Trotz allem bin ich irgendwie begabt.«
"Alt wie ein Baum" (Puhdys) ist er zwar noch nicht, dennoch hat der 72jährige viel erlebt – sowohl beruflich als sicherlich auch privat – und somit viel zu erzählen. So blickt er in "Helden meiner Generation" zurück auf die Rock’n’Roll-Zeit hinter der Mauer, erzählt davon, wie ihn seine musikalischen Helden mit ihren Songs dermaßen infiziert haben, um am Ende selbst nach der Gitarre zu greifen:
»Damals war mein Radio
das Tor zur weiten Welt
Ich hörte meinen Helden zu
sie haben mir viel erzählt.
Von einem anderen Leben
Fern vom Spießerglück
Von Rock’n’Roll eben
Ich denke gern zurück.«
In "So viel erlebt" erzählt Dieter Birr, wie er zwar seine Gedanken immer wieder in die Vergangenheit schweifen lässt. Dennoch lebt er nicht nur in dieser, er blickt auch nach vorn, voller Erwartung und Vorfreude auf das, was noch kommen mag. "Unterm Himmel von Berlin" ist, wie sollte es anders sein, eine Hommage an Berlin, die Stadt, in der Birr als Kind den Mauerbau unmittelbar miterlebt hat, in der er groß geworden ist, seine Band gegründet hat und die er freiwillig nicht verlassen wird.
Wenn man auf den Text von "So wie du bist" hört, hat man das Gefühl, dass dieser Song wohl seiner Frau gewidmet ist.
"Ehe der Krieg beginnt" wurde von Gisela Steineckert geschrieben. Sie zeichnet ein Schreckenszenario, das eben nur ein sinnloser Krieg anrichten kann und sorgt so für ausreichend Beklemmung beim Zuhörer. Auch wenn der musikalische Beginn sehr zurückhaltend ist, wird man plötzlich mit einem stampfenden, ja fast an eine militärische Parade erinnernden Schlagzeug aufgerüttelt. Der düstere Text und die dazu passende dunkle Stimmung sorgen für reichlich Gänsehaut und regen unwillkürlich zum Nachdenken an. Stehen wir wirklich schon wieder am Rande eines Krieges?
Nachdem die Gefühle fast schon im Keller waren, richtet uns Birr mit "Auf das Leben" doch wieder auf und lässt unsere Augen leuchten. Er blickt in die Zukunft und auf das, was unsere Urenkel noch erwarten wird. Er hofft, es wird nur Gutes sein.
Nein Dieter 'Maschine' Birr, dein Zug ist noch lange nicht abgefahren, auch wenn du dies – zwar eher halbherzig – mit "Mein Zug ist abgefahren" andeutest.
Deine Songs klingen immer noch frisch und unverbraucht, genauso wie Deine Stimme. Deine Texte haben Sinn und Verstand, sind es wert, genauer hinzuhören. Ich denke, auch die Zusammenarbeit mit neuen Musikern waren für Dich eine Art Inspirationsquelle, so dass die Stücke nicht nur nach Puhdys klingen, im Gegenteil, ein Stilmix aus Rock, Folk, Pop dominiert die Scheibe. Es ist kein Rohrkrepierer dabei, sondern absolute Ohrwürmer – eine rundum gelungene Platte – dicke Kaufempfehlung.
Line-up Dieter 'Maschine' Birr:
Dieter Birr (vocals, backing vocals, guitars, bass)
Marcus Gorstein (keyboard, backing vocals)
Felix Lehrmann (drums)
Uwe Hassbecker (guitar – #2,3,4,5,11, sitar – #4, mandolin- #9, Laouto – # 9)
Ela Steinmetz (vocals – #3)
Joschka Bender (pedal steel – # 3)
János Kóbor (vocals – #4)
Toni Krahl (vocals – #5)
Heinz Rudolf Kunze (vocals – #6)
Dirk Michaelis (vocals – #12)
Sandor Friedrich (flute – #12)
Ingo Politz (drum programming – #12, 13)
Tracklist "Neubeginn":
- Neubeginn
- Helden meiner Generation
- So viel erlebt
- Der Große Magnet
- Unterm Himmel von Berlin
- So wie du bist
- Irgendwie begabt
- Himmel
- Deine Stille
- Silberstreifen
- Mein Zug ist Abgefahren
- Zwei Hände Mehr
- Ehe der Krieg beginnt
- Auf das Leben
Gesamtspielzeit: 64:29, Erscheinungsjahr: 2016
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