Nach Teil 1, der sich hauptsächlich dem Künstler Frank Zappa und dem familiären Umfeld widmete, gibt es hier nun den Bericht über die diesjährige Zappanale. Alle Bilder mit freundlicher Genehmgigung von Spreewilder.
[Die Redaktion]
Damit kommen wir zum Konzert selbst. Dweezil spielte am 15.07.2017 für über drei Stunden und bot dabei einen imposanten Querschnitt durch das Oeuvre seines Vaters. Mit Dweezil zusammen stand eine siebenköpfige Band auf der Bühne: Dweezil an der Gitarre, Cian Coey als Sängerin, Scheila Gonzales an den Keyboards, Saxophon, Flöte und Gesang, Chris Norton an den Keyboards und Gesang, Kurt Morgan am Bass und Gesang sowie Ryan Brown am Schlagzeug.
Die Setlist umfasste mit Zugabe 34 Lieder aus den 60ern bis in die 80er-Jahre.[27] Dweezil sagte zur Auswahl der Lieder: »Seit dem Beginn meines Tourprojektes bin ich bestrebt, eine breite Auswahl der Musik meines Vaters mit Betonung seiner Arbeit als Komponist und Gitarrist mit dem Publikum zu teilen. Deshalb freue ich mich ganz besonders auf die Zappanale. Ich weiß, dass das Publikum in Bad Doberan sehr stark mit den erstaunlichen Eigenschaften dieser Musik vertraut ist. Ich bin mir sicher, dass es eine intensive Verbindung zwischen mir und dem Publikum der diesjährigen Zappanale geben wird.«[28]
Davon konnte man sich an diesem Abend überzeugen. Nach dem Eröffnungslied "Filthy Habits" ("Sleep Dirt", 1979) spielte die Gruppe "Help I’m A Rock", "The Return Of Monster Magnet" und "It Can’t Happen Here" vom "Freak Out"-Album, unterbrochen mit "Transsylvania Boogie" ("Chunga’s Revenge", 1970).
Der Inhalt des Liedes "Help, I’m A Rock" ist erstaunlich aktuell. Es ist Elvis Presley gewidmet, den Zappa nie mochte. Für Zappa ist er der weiße Typ, der gefälschte schwarze Musik macht. Keine eigene Bewegung, da viele Lieder geklaut waren. Während alle davon ausgingen, dass "Hound Dog" von Presley stamme, hatte Zappa schon vorher gewusst, dass Willie Mae Thornton das Original schuf. Für Zappa war Elvis arm dran, ohne all die schwarzen Musiker hätte es keinen Elvis gegeben – und auch nicht ohne diejenigen Songschreiber, die den schwarzen Blues für weiße Hörer manipulierten und dadurch Elvis zum Nutznießer machte. Die Schwarzen wurden aufgrund ihrer Hautfarbe aus dem lukrativen Geschäft verbannt. Es ist somit unerheblich, ob Elvis persönlich Rassist war – er war auf jeden Fall Profiteur des Rassismus. Auch hier kommt Zappas Sensibilität für Musik in ihrem kulturellen Kontext zum Ausdruck.
Vor nicht allzu langer Zeit nun engagierte die Witwe Presley Helene Fischer, damit diese mit dem Staub singe. Witwe Presley verkündete ganz stolz, dass beide zusammen passen würden. Vergleicht man beides und weiß zu schätzen, dass wir mit der Figur Helene Fischer zur Vorhölle gelangt sind, so können wir zumindest einen Hauch der Stimmung damaliger Zeiten auffangen. Dweezil bemerkt zum ersten Album der Mothers: »Es lohnt sich, das Album aus der Perspektive des Entstehungsjahres 1966 zu sehen und mit der Musik seiner Zeit zu vergleichen. Ich stelle mir gerne vor, wie gefährlich es damals geklungen haben muss. Auf mich wirkt es noch heute gefährlich und subversiv. Ich habe immer das kontrollierte Chaos, den Sarkasmus und die klangliche Verzerrung geliebt, die auf Songs wie "Who Are The Brain Police?" zu hören sind.«[29]
Ich hörte dieses Stück das erste Mal 1968. Da alle mögliche Musik auf mich einströmte und ich der englischen Sprache noch nicht mächtig war, war es das genaue Zuhören der Musik, die Fremdartigkeit, die das Lied dauerhaft in meinem Gedächtnis einbrennen ließ. Komplementarität und innere Verwobenheit zwischen Text und Musik, dass eines durch das andere sich ausdrücken ließ, stellte in diesem Sinne auch die Kritik Zappas gegenüber seinen eigenen Fans Anfang der 80er dar. Er monierte, dass die Fans sich nur auf die Texte konzentrieren würden und die damit verbundene Musik in ihrer Wechselbeziehung mit den Texten völlig ausblendeten. Für mich, um meine kleine Geschichte über die 'Gehirnpolizei' abzurunden, war die schließliche Textlektüre des Liedes, zusammen mit dem Hören des Liedes, doppelter Genuss; die Nummer vermittelt einen sehr guten Eindruck über den Musiksemiotiker Zappa, wie er vermochte Musik in Text zu übersetzen und visa verca.[30]
Während Ben Watson in seinem "Poodle"-Buch den Inhalt von "It Can’t Happen" eher in den damaligen Geschlechterdiskurs stellen will[31], stoßen wir auf eine weitere Ebene, wenn wir berücksichtigen, dass auch eine halbsatirische Politnovelle von Sinclair Lewis aus dem Jahre 1935 diesen Titel trägt. Zappa kannte das Buch. Sinclair Lewis schrieb seine Novelle in einem Zeitraum, in dem in Europa der Faschismus wütete, und er stellte sich die Frage, ob es in einem Lande wie den USA möglich sei, dass Gleiches sich ereigne. In der Geschichte geht es um einen ambitionierten Politiker, der die Präsidentschaftswahlen geschickt ausnutzt, um sich dann als Diktatur positionieren zu können.
Er verspricht einfache und schnelle Lösungen, um die katastrophale wirtschaftliche Lage zu beheben. Die damaligen Parallelen zum Reiche Hitlers waren mit dieser Geschichte freizulegen. Ein radikalpopulistischer Demokrat – in den USA kein Widerspruch – wird mit dem Satz zitiert: »Wenn Faschismus nach Amerika käme, dann mit dem Programm eines Amerikanismus«. Huey Long, ein solcher Populist jener Zeit, wollte selbst für die Wahl kandidieren, fiel aber selbst einem Anschlag kurz zuvor zum Opfer, ebenfalls kurz danach erschien Lewis' Novelle.
Es geht jetzt nicht um die Suggestion einer Verbindung von damals zum heutigen politischen Treiben in den USA, sondern und in erster Linie um die inneren Verbindungen des Albums in ihrer kulturkritischen Relevanz. Bei der Komposition von "It Can’t Happen Here" ließ sich Zappa auch von dem argentinischen Komponisten Mauricio inspirieren, der eine Reihe von Pionierwerken im elektronischen Musikbereich schuf und auch auf dem Album in der Liste der Einfluss gebenden Personen aufgeführt wird.
Schön war auch die Aufnahme von Titeln aus dem "200 Motels"-Album, "What Will This Evening Bring Me This Morning?", "She Painted Up Her Face", "Half A Dozen Provocative Squats" in die Setliste, bei denen es sich lohnt, sich einmal näher damit zu beschäftigen. Bekanntermaßen geht es in "200 Motels" um das Leben der Band auf Tour, weswegen es auch um Groupies geht. Das erste Lied beispielsweise erörtert die schwierige Frage eines Musikers, was der nächste Morgen wohl als Resultat des Abends bringen würde, wobei es natürlich um Groupies geht. Die Auswahl des Titels impliziert inhaltlich eine gewisse Kreisbewegung im Leben eines Rockmusikers: »… this evening … this morning«. Als dies konterkarierendes Stilelement, was die Thematik zugleich ironisiert, sich gar darüber lustig macht, wählt Zappa den Kanon, den man in der Regel gerne mit sakralem Liedgut in Verbindung bringt. Solcherart hier eingebunden, wird besagter Widerspruch erzeugt. Im gleichen Stil, jedoch u. a. mit Musical-Elementen verarbeitet, wurden die beiden anderen Numern gespielt.
Das Stück "Holiday in Berlin, Full Blown" ("Burnt Weeny Sandwich", 1970) geht auf eine wahre Begebenheit zurück, die sich im Berliner Sportpalast am 16. Oktober 1968 zutrug, als Mitglieder der APO Zappa aufforderten, sich an einer Demo zu beteiligen, die zum Amerika-Haus zu gehen sollte.
Zappa lehnte ab, worauf es einen großen Tumult vor und auf der Bühne gab. Die Demonstranten änderten hierauf für sich auch den Bandnamen in 'Mothers Of Reaction' um, Zappa rief ihnen zu, dass sie sich wie Amerikaner benehmen würden.[32]
Dweezil Zappa konnte auch auf einen alten Weggefährten Zappas, Ike Willis, zurückgreifen, der bei einigen Liedern als Gastsänger auftrat, darunter "Outside now" vom "Joe’s Garage"-Album (1979), von dem Dweezil fünf Lieder spielte. Aus dieser Sammlung sticht besonders "Watermelon In Easter Hay" heraus, nicht nur, da Zappa das selbst auf vielen Konzerten spielte, sondern weil es musikalisch mit "Lucille Has Messed My Mind Pp" (gleiches Album) zu den einfühlsamsten Stücken im Werk zählt. Neben dem oben erläuterten "Montana" gibt es gewisse Stücke, die der Fan und Besucher solcher Konzerte einfach erwartet. Hierzu zählen auch "Black Napkins" ("Zoot Allures", 1977) und natürlich "Muffin Man" ("Bongo Fury", 1975), was ebenfalls vom Meister selber gerne als Schlussstück einer Aufführung gespielt wurde – so auch von Dweezil in Bad Doberan.
Die versierten Musiker hatten die Komplexität, die Liedstrukturen glänzend einstudiert und interpretiert. Besonders stach hierbei die Saxophonistin Scheila Gonzales hervor, die in "Holiday In Berlin" ein sehr schönes Solo gab, mit Dweezil solistisch abwechselte und beide im Duett das Stück in ein abschließendes Crescendo münden ließen. Der Schlagzeuger trieb das Ganze voran und gab der Musik eine starke, kräftige Basis.
Mit der Auswahl der Lieder konnte der Besucher mehr als zufrieden sein. Es war, um das zu betonen, erfreulich, dass Stücke zu hören waren, die man ansonsten so oft nicht auf der Bühne bestaunen konnte. Noch vor Ort ging das Gerücht um, dass Dweezil Zappa auch zum Jubiläum übernächstes Jahr aufspielen würde. Mal sehen, welches Programm er mitbringen wird.
Ein gewisser Streitpunkt stellen die hohen Eintrittspreise dar. Ein Festivalticket kostet 220 Euro für drei Tage. Ein Besucher zeigte mir einen Aufkleber mit der Aufschrift 'Zappanale. Only For Rich?', was durchaus seine Berechtigung findet. Allerdings kann von dieser Seite aus nichts Konkreteres gesagt werden, da die Aufschlüsselung der Kosten fehlt.
Insgesamt aber waren es vergnügliche drei Tage.
Am Samstag, 30.09.2017, werde ich das Konzert in Radio Blau Leipzig, vorstellen. Diese Sendung versteht sich als akustische Ergänzung zum Zappanale-Bericht. Es werden neben den textlichen Informationen, Teile des Dweezil Zappa-Konzertes in Bad Doberan vorgestellt. Die Sendung läuft von 16:00 bis 18:00 Uhr.
Quellenangaben:
- [27] Vgl. Setliste
- [28] DWEEZIL ZAPPA – Die erstaunliche Fähigkeit, die Zeit zu überdauern. 25. Mai 2017
- [29] Vgl. hierzu auch meine Sendung: Frank Zappa/Mothers Of Invention. "Freak Out" zum 50. Jahrestag. Radio Blau Leipzig. 2 Teile 18.12.2016, 17 Uhr; 23.12.2016, 18 Uhr.
- [30] Eine Liedfassung zum Hören sowie andere Liedbesprechungen finden sich im Link von Fußnote 29.
- [31] Vgl. Ben Watson: Frank Zappa: The Negative Dialectics of Poodle Play
- [32] Das Ereignis wird z.B. in NEIL SLAVEN: Zappa Electric Don Quixote, S. 125f. beschrieben.
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