Not macht in der Regel erfinderisch. Im Hause Megadeth scheint dies nicht anders zu sein: Schließlich haben die Thrash Metal-Musiker aus den USA mit "Dystopia" (Universal) ihr bisher letztes Album im Januar 2016 veröffentlicht. Mindestens bis 2022 müssen die Fans von Dave Mustaine & Co. auf den Nachfolger warten. Dazu gab es 2021 die Botschaft, dass Gründungsmitglied David Ellefson die Band verlassen muss. Nach übereinstimmenden Medienberichten wurde der Bassist gefeuert. Fluktuation unter den Musikern hat bei Megadeth ebenso Konjunktur wie die Neuorientierung im Musikstil. Dabei hatten sie ihren Fans nie ein enttäuschend anmutendes Album vorgelegt.
Aktuell richten Megadeth ihr Augenmerk auf das neu veröffentlichte Album "Unplugged In Boston" (2021). Das Indie-Label Cleopatra Records hat dafür Ausschnitte eines Konzerts vom Mai 2001 in Boston auf CD und Vinyl veröffentlicht. Die Inhalte waren bisher exklusiv nur über Fanclubs erhältlich.
In größerer Zahl hatten sich Bands aus den Bereichen Rock und Metal/Alternativ in den vergangenen drei Jahrzehnten unplugged präsentiert. Naturgemäß ist der Anteil im Metal eher gering. Zu den Genrevertretern in dieser Kategorie zählen Metallica, Korn, Nirvana, Alice In Chains und die Scorpions.
Im Rahmen der 1989 gegründeten Reihe MTV Unplugged traten darüber hinaus einzelne Musiker von Bands solistisch oder in kleinen Gruppen auf. Ein Merkmal der Aufzeichnungen waren stets die besonderen Drehorte und ein edles Ambiente. So nahmen die Toten Hosen am 1. September 2005 ihr Konzert im Wiener Burgtheater auf. Die Musiker versahen die akustischen Gitarren ähnlich wie zuvor Nirvana mit elektrischen Abnehmern. Seitdem wird über die genaue Definition des Begriffs Unplugged trefflich diskutiert.
Megadeth könnten sich daran beteiligen. Denn nach einer Variante, die auf den Kern akustischer Darbietung reduziert ist, klingt deren 20 Jahre altes Konzert nicht. Stöpsel raus ja, rein akustisch aber eher nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass sich auf dem Album "Unplugged In Boston" ein lautstarkes Publikum zwischen den Liedern, aber auch während einiger Darbietungen, bemerkbar macht. Gediegener Klang aufgrund von akustischen Instrumenten ist etwas Anderes. Entweder gab es damals keine Tonmeister oder sie hatten einen schlechten Tag erwischt. Unplugged bedeutet auch nicht das gemeinsame Musizieren mit einem klassischen Orchester. Dies praktizierten beispielsweise Metallica. Das Konzert mit dem Orchester San Francisco Symphony unter Leitung von Michael Kamen wurde 1999 veröffentlicht. Die kommerziell erfolgreiche Produktion wurde unter den Fans trefflich diskutiert. Letztlich schmückt dieser Farbtupfer ihre stattliche Vita.
Bei Unplugged geht es immer um einen intimen Rahmen für ein kleines, zumeist überschaubares Publikum. Das in Los Angeles ansässige Indie-Label Cleopatra Records hat sich also mit der Band zusammen getan, um das Live-Spektakel zu vermarkten. Dabei wird man den Verdacht nicht los, dass hier kommerzielles Interesse vor Qualitätsanspruch steht.
Um sich der Band und ihrem Album zu nähern, ist es ratsam, sich erst einmal alle zehn Stücke im Original anzuhören. Eine Metalband, deren Lieder dem Konsumenten nahezu unbekannt sind, lassen sich allein über ein Unplugged-Konzert nur schwer erschließen. Anders herum erleben die Fans ihre Helden in einer völlig anderen Verpackung, sodass es schon einmal vorkommen kann, dass diese aus dem Häuschen geraten. In einer unausgewogenen Mischung ist das beim Hören natürlich kein Genuss. Ein unüberhörbarer Nachteil ist es, dass die Stimme von Sänger und Gitarrist Dave Mustaine, die allgemein als gequält gilt, einzelne Lieder derart überlagert, wie es bei den Originalen in dieser Stärke nicht passiert. Dort können die verstärkten Instrumente diesen Makel korrigieren. Beim Hören scheint es tatsächlich so, als verlangen die Musiker ihren akustischen Gitarren mit elektrischen Abnehmern alles ab, sodass der Gedanke unplugged nur noch als ein Rudiment bleibt.
Hauptkriterium für ein eher schlechteres Hörerlebnis bleibt folglich der Klang. Dabei waren die Megadeth-Musiker angetreten, Titel aus einer größeren Bandbreite in ein neues Gewand zu kleiden. Die Fans kommen dabei auf ihre Kosten. Das ist unstrittig. Aber bei dieser Zielgruppe sollte es bleiben. Genau dies geht am breit angelegten Konzept der Veröffentlichung vorbei. Mit dem turbulenten "Dread And The Fugitive Mind" beginnt die Setlist, bevor eine Reihe älterer Favoriten folgt, darunter mehrere aus dem 1997er Album "Cryptic Writings" sowie ein Auszug aus "Holy Wars…The Punishment Due", dem härtesten Track aus der Epoche als klassische Trash Metal-Combo, veröffentlicht 1990 im Album "Rust In Peace", im Original ganz im Stile der Genre-Kollegen von Metallica. Das Beste hatten sich Mustaine & Co. fürs Finale aufgehoben und beenden die Show mit "Moto Psycho" und dem unverwüstlichen "Symphony Of Destruction", das als Mainstream-Durchbruch von Megadeth gilt.
Wenn man in der offiziellen Ankündigung zum Album liest, »Alles in allem ein außergewöhnliches Konzert, das Megadeth-Fans nicht missen möchten!«, kann man dem wohl in vollem Umfang zustimmen. Zu mehr hat es allerdings nicht gereicht und die Frage, warum dieses Album in den einschlägigen Medien des Genre mit keiner Silbe erwähnt wird, beantwortet sich von allein.
Line-up Megadeth:
Dave Mustaine (guitar, vocals)
David Ellefson (bass)
Al Pitrelli (guitar)
Jimmy Degrasso (drums)
Tracklist "Unplugged In Boston":
- Dread And The Fugitive Mind
- Trust
- Time: The Beginning
- Use The Man
- Holy Wars…The Punishment Due
- Almost Honest
- Promises
- She-Wolf
- Moto Psycho
- Symphony Of Destruction
Gesamtspieltzeit: 40:58, Erscheinungsjahr: 2021
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