Das letzte Konzert von Michy Reincke im Pumpwerk Wilhelmshaven vor Eintritt der Pandemie fand am 28.März 2019 statt.
Auch dieses Jahr tourt der Hamburger Musiker wieder, vorwiegend im Bereich Norddeutschlands und auch wieder im Pumpwerk. Der Titel der Tour lautet: "Darf man erfahren worum es hier eigentlich geht?"
Eine Erklärung hierzu könnte der Pressetext zu den Auftritten geben, hier heißt es unter anderem wie folgt: »Konzert-Abende von Michy Reincke sind immer eine besondere Kombination aus hochwertigen Musik-Beiträgen, humorvoller, erwachsener Unterhaltung und einem originellen Philosophie-Seminar. Es ist ein bisschen wie um ein Lagerfeuer sitzen, und in dieser Atmosphäre ist es unvermeidlich, dass manche Conférence und mancher Lied-Text eine präzisere, weiterführende, universelle Bedeutung bekommt. Bei seinem aktuellen Programm geht es Michy Reincke um die wesentlichen Fragen und die mitunter sehr seltsamen Strategien, die der moderne Mensch entwickelt – gar nicht mal um zur Beantwortung von Fragen beizutragen, als vielmehr Reklame-beworbenen Lebens-Zielen näher zu kommen. In Zeiten zunehmender Irritation hält er es deshalb für angezeigt sowohl ernst gemeinte Angebote zum Nachdenken oder zur Justierung des Kompasses bereit zu stellen als auch unterhaltsame Gedanken zum Thema zu präsentieren, wobei es sich – seiner Meinung nach – bei unserer Existenz "noch" handeln könnte.«
Wenn ich das lese, dann muss ich eigentlich unwillkürlich denken, mich könnte eine Autorenlesung erwarten, mit philosophisch ausgelegten Exkursionen in die Tiefe des Geistes und der Seele, weniger darum, einen Konzertabend mit Musik präsentiert zu bekommen. Nun, zu einem Teil mag das auch zutreffen. Denn vor jedem Song erzählt der Protagonist eine entsprechende Geschichte, die, im Verbund von Gedanken, die nachdenklich stimmen, und einer Prise Humor eine durchaus unterhaltende Wirkung entfalten, manchmal abschweifend, manchmal kurz und knapp auf den Punkt gebracht.
Der Abend startete damit, dass Reincke unter anderem verlauten ließ, »Irgendwann werden sich Menschen in uns verlieben« und dass sich dann auch »Gemüter aus Mörtel« davon erweichen ließen. Im Übrigen käme in jedem der Songs schließlich der Begriff 'Herz' vor. Damit war der Weg geebnet zum Eröffnungstitel "Mach Dein Herz laut". Begleitet vom Pianisten Filip Mitov und dem zurück gekehrten Jörn Heilbut als Gitarrist und mit einem einer Fußfessel ähnelnden Fuß-Tamburin ausgestattet, entwickelte man einen akustisch geprägten druckvollen Sound, wobei das Piano auch recht kraftvoll gespielt wurde. Wenn ich Reincke und Heilbut zusammen höre, muss ich spontan an die einstige Zusammenarbeit zwischen Jackson Browne und David Lindley denken, Zwei, die sich auch perfekt und harmonisch ergänzten im Zusammenspiel aber mit dem Unterschied, dass Mr. Lindley wesentlich mehr Spielraum für solistische Ausflüge zur Verfügung gestellt bekam. Heilbut versteht es, den Sound auszukleiden und konnte auch an diesem Abend leider wieder nur kurz mit Soloeinlagen zusätzliche Akzente setzen. So wünschte ich mir bereits 2014 bei einem Konzert, dass er sich solistisch mehr in Szene setzen würde.
Vorgestellt wurden Songs aus verschiedenen Zeiträumen, wie "Niemand kommt so selten vor" und "Valérie, Valérie" (letztes Stück vor der Pause, mit dem Hinweis an den Tontechniker: »Jochen, geben wir ihnen den Rest vor der Pause«), beide aus 1991, der flotte Westcoast-Rocker "Alles Musik" aus 1999, hierbei war das Album aus 2011, Der Name Kommt Mir Nicht Bekannt Vor, mit drei Songs recht stark vertreten, "Wir Fliegen Vorbei" "Du Brauchst Keine Angst Zu Haben", "Erzähl Mir Nicht Dass Du Nur Tust Was Man Dir Sagt", "Glücklich Glücklich" aus 2016, " Der Mond Mein Freund Aus Silber" aus 2018. Darüber hinaus wurde zwei neue Songs vorgestellt und eine Widmung an die im März 2020 im Alter von achtundvierzig Jahren verstorbene Hamburger Sängerin Regy Clasen, "Jetzt & in Ewigkeit" (aus dem Album "Mach Dein Herz laut"). "Sie trug ein Licht in ihrem Herzen", so Reincke. Mit der Sängerin zusammen hatte er einst auch den Song "So schön kann keine Frau sein" aufgenommen.
Um noch einmal zurück zu kommen auf die Aussage, dass die Konzerte auch humorvolle, erwachsene Unterhaltung und ein originelles Philosophie-Seminar beinhalten, kann ich hinsichtlich des ersten Sets durchaus damit übereinstimmen. Vor jedem Song wurden entsprechende philosophische und hintergründige Ansagen vorgestellt, die letztlich in einem Zusammenhang mit dem vorgestellten Stück landeten. So gab es unter anderem zum Thema Verzweiflung und das Pop-Musik letztlich auch von Verzweiflung leben würde, einige auszugsweise Textbeispiele von den von Reincke geschätzten Schriften von Francois Bijou und Heinrich Heine. Auch andere relativ tiefgründige Beiträge zählten dazu.
Und genau das fehlte letztlich auffällig im zweiten Set, die Ansagen verkürzten sich, der Humor wurde mitunter flacher ("Mutter und Tochter morgens im Badezimmer. Fragt die Tochter die Mutter, wo ist der Waschlappen? Mutter: der ist Einkaufen"), und man hatte das Gefühl, die entspannte und entspannende Atmosphäre des ersten Sets sei einer Art 'Schnelldurchlauf' gewichen.
Ich erinnere mich, dass der Protagonist einst betonte, den Hit von Felix DeLuxe, "Taxi nach Paris", eigentlich nicht mehr spielen zu wollen, klar – wer möchte auch schon auf einen einzigen Song "festgenagelt" werden, doch letztlich gab es auch diesen Titel im großen Finale wieder. Davor, und damit das Publikum dann für das Taxi gleich stehen bleiben konnte, die Aufforderung zur sportlichen Bewegung mit "Move’t Eure Körper für mich", und wie auch beim letzten Jahr zum Schluss die Feststellung des Wunsches, dass man gern wiederkäme mit "Es wär so schön". Anmerkung: neben "Nächte übers Eis" und "Taxi nach Paris" wurde aus dem Publikum auch der Ruf nach einem weiteren Lied von Felix DeLuxe laut, nämlich nach "Eddie Ist Wieder Da". Michy’s Antwort darauf: »Ich wünschte, ich könnte das, aber ich will nicht.« So bin ich gespannt, wann und ob dieses eines Tages auch für "Taxi nach Paris" gelten wird.
Ansonsten? Was fiel noch auf? Im ersten Set bekam Jörn Heilbut die Gelegenheit, auf sein im August erscheinendes Soloalbum "Tubilah" hinzuweisen. Ein rein instrumentales Album, eine Serie von Songs, strikt nur mit klassischer Gitarre interpretiert – und nichts sonst! Daraus gab es schon einmal eine Kostprobe und Vorbestellungen wurden später entgegen genommen.
Und – klar doch, eine lange Tradition wurde schließlich fortgeführt. Dieses Mal oblag es Heilbut wieder, eine Blondine aus dem Publikum auszusuchen, damit diese dann zu "Für immer blond" die Mundharmonika spielen durfte. Dieses Mal erwischte es eine Astrid, die dann gern das Instrument in die Hand nahm, jene Mundharmonika, die, so augenzwinkernd, anlässlich einer Afrikatournee gern von dankbaren Menschen, die an Lepra und Typhus erkrankt waren, gespielt wurde. Aber – man hätte es ja schließlich mit einem alten Lappen abgewischt.
Zur Musik allgemein, Michy Reincke sang seine Titel frisch wie gewohnt und sogar der lang anhaltende Ton bei "Nächte übers Eis" konnte problemlos lange gehalten werden. Letztlich konnte man sich wiederfinden in einem Konzert mit unterschiedlicher Ausprägung, von Nachdenklichkeit und Partystimmung gleichermaßen ausgefüllt und mit auch geistreichen, intellektuellen und vergnüglichen Anekdoten angereichert. In der Regel gab es auch überwiegend wieder Nummern mit nachhaltig geprägter Musik, Musik, die mit ihren Texten zum Nachdenken anregen kann. Doch im Gegensatz zum Konzert von 2019 war die Songauswahl eine überwiegend andere. Grundsätzlich vermissten wir solche wirklich tiefgehenden Titel wie "Laß mich traurig sein", "Ozean", "Noah" oder "Die Frau in der die Welt verschwand". Auch "Reeperbahn" stand erneut nicht auf dem Programm. Was letztlich blieb, ist die Tatsache der Ausnahmestellung des Musikers mit seinen Kompositionen, die abseits jeglichen Mainstreams weiterhin strahlen.
Auf die Frage, wann ein neues Album erscheinen werde, antwortete Michy lediglich, dass zwar bereits genügend Songs zur Verfügung stünden, aber die hohen Produktionskosten von etwa 80.000 – 90.000 EURO dieses derzeit wohl nicht möglich mache. Nun – wie wäre es mit einem Crowdfunding Projekt?
Mein Dank geht an Reent Fröhlich vom Pumpwerk-Team für die Akkreditierung.
Line-up Michy Reincke:
Michy Reincke (vocals, guitars)
Jörn Heilbut (guitars, vocals, foot percussion)
Filip Mitov (piano)
Astrid (harmonica)
plus Samples, eingesetzt durch den Soundmaster Jochen
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