Ja, es gibt auch noch Schönes im Leben, so zum Beispiel, einen guten und zufriedenstellenden Konzertabend erlebt zu haben. Mit diesem schönen Gefühl im Bauch erinnert man sich der gut zweieinhalb Stunden, in denen uns Michy Reincke mit seinem Auftritt verwöhnte und auch verzauberte. Musik, Plaudereien philosophischen Inhalts, mit allerlei Lebensweisheiten und Lebenshilfen gespickt, ergaben ein abgerundetes Konzerterlebnis. Gut war, dass Michy zwischen den Liedern deren Inhalt und Entstehungsgeschichte und auch deren Hintergründe näher beleuchtete und dieses dann zur Erklärung der Texte beitrug. Das empfinde ich als gelungene Abrundung, auch um den Songs näher zu sein. Somit konnte man auch so manch autobiografischen Hintergrund erfahren, besonders, als man einen sichtlich bewegten Künstler bemerkte, als er den Text zu "Noah" erklärte, der von seinen Eltern, insbesondere vom Vater, handele.
Musikalisch wurde eine Mischung aus alten und neuen Stücken geboten, aber mit dem Schwerpunkt auf den aktuelleren Veröffentlichungen des Musikers. Doch bevor er mit dem nicht mehr so jungen "Niemand kommt so selten vor", dem Song, der die Individualität eines jeden Menschen hervorhebt, startete, wurde noch die Tradition aufgegriffen, einen Nachwuchskünstler im Vorprogramm zu präsentieren. In diesem Fall war das die Hamburger Musikerin Emma Longard. Eine halbe Stunde lang hatte sie Gelegenheit, mit Keyboard ihre Lieder zu präsentieren, die relativ einheitlich klangen, und das mit einer Stimme, die in den hohen Tönen mitunter an die von Kate Bush erinnerte, wobei die jeweiligen Kompositionen diese Referenz sicher nicht erreichten. So war es nur ganz nett und das vorhandene Talent ist sicher noch ausbaufähig.
War Michy Reincke bei seinem letzten Konzert, so wie ich schrieb, mit einer kleinen »Gitarrenarmee« aufgefahren und hatte somit einen dichten Sound erzeugt, reduzierte sich dieses unplugged, indem er nur noch von Stephan Gade an der zweiten akustischen Gitarre begleitet wurde.
So reduziert, fehlte den Vorträgen vielleicht ein wenig früherer Druck, doch tat das der Strahlkraft der dargebotenen Nummern keinen Abbruch. Vom aktuellen Album hörten wir die Stücke "Ozean", "Glücklich glücklich", "Noah" und "Die Frau, in der die Welt verschwand", letzteres eine komplizierte Sicht auf die Situation einer Trennung zwischen Mann und Frau und was sich wirklich alles verändert. Überhaupt schien der Schwerpunkt auf inhaltlich und emotional sehr ausdrucksstarken Liedern zu liegen, wovon das Mut machende "Du brauchst keine Angst zu haben" sicher eines der stärksten ist. Weitere neue Songs hörten wir mit "Ich will die Sache nicht unnötig in die Länge ziehen", "Erzähl mir nicht dass du nur tust was man dir sagt", "Wir fliegen vorbei", und – auch sehr beeindruckend in seiner Botschaft – "Unsichtbare Riesen", in dem von wahren Helden des Alltags erzählt wird und nicht von jenen oft hohlen Pappfiguren, die das Mediengeschehen bestimmen. Das Thema ist dem Künstler insofern auch ein Anliegen: die Gestaltung der Medienlandschaft, speziell des Rundfunks, der sich gar nicht mehr nach Wünschen von Hörern richtet, sondern total andere Interessen verfolgt, insbesondere die von ausschließlich finanziell interessierter Interessengruppen. Hierzu kann man auf der Webseite des Künstlers sehr tiefgehende Ausführungen nachlesen, was ich hiermit empfehle!
Um wieder auf das Programm zurückzukommen, liebgewonnene Gewohnheiten durften nicht fehlen. So etwa die Suche des Musikers im Publikum nach einer schlanken Blondine, die die Ehre hatte, auf der Mundharmonika den Song "Für Immer Blond" zu begleiten, und das recht mutig und mit gut integriertem Spiel.
Sprach ich eben noch von reduzierter Band – nun, ganz so allein waren die Beiden nun auch nicht, denn eine mysteriöse Maschine aus dunklen Zeiten der deutschen Geschichte (ganz so alt war das mit einem Kassettenrekorder integrierte und Rhythmus wiedergebende Gerät nun auch wieder nicht) sorgte für scheppernde Begleitung, die so exakt war, dass Michy und Stephan gelegentlich gar aus dem Takt kamen, sodass man sich am Ende doch lieber entschloss, das Gerät auszuschalten.
Später folgten noch einige Tracks aus früheren Tagen, auch von jener Band, von der Reincke ausführte, das seien damals die deutschen Jackson Five gewesen, und er ja noch ganz klein…., also – Felix De Luxe.
"Nächte übers Eis" war wieder voll strahlendem Ausdrucks, atmosphärisch in dichte Nebelschwaden gehüllt, und die Zugabe führte uns dann dorthin zurück, worauf Einige vielleicht bereits warteten: nach Paris, natürlich mit dem "Taxi", und dort traf man wahrscheinlich "Valerie", so schön wie nie. Ganz zum Schluss gab es nochmal "Es wär so schön", und das traf den Nagel dann auch auf den Kopf.
Und wieder fiel mir auf, dass es gewisse Unverhältnismäßigkeiten in der deutschen Musikszene gibt. Es war wohl 2004, da las ich einen Bericht, der den Begriff 'Neue Neue Deutsche Welle' benutzte. Oder auch von »Pop der neuen deutschen Befindlichkeit« wurde berichtet. Silbermond, Juli, Revolverheld, Johannes Oerding, das waren die Neutöner dieser Bewegung.
Überwiegend gefällt mir diese Strömung überhaupt nicht, weil für mich vieles gleich klingt. Manche Texte wirken so oberflächlich 'bedeutend', die Musik ist oft hölzern, ohne Groove, austauschbar und einfach langweilig, steif und ohne echtes Gefühl. So manche pseudo-intellektuelle, inhaltsschwangere Dramatik, angebliche Wichtigkeit und Deutungstiefe sind nicht ehrlich, sondern eher anprangernd, um dem Publikum auch zu gefallen. So bewegt sich vieles, wenn man es wirklich einmal reduziert, letztlich im Bereich des guten alten deutschen Schlagers.
Und so gibt es halt Ausnahmen wie zum Beispiel Michy Reincke, trotz seiner auch gewöhnungsbedürftigen Stimme. Und abermals fällt mir hierzu sein Zitat ein: »Ich bedaure den Mangel an Erlebnistiefe in einem Großteil der abgebildeten deutschen Popmusik.«
Doch oft ist es dieser Mangel an Erlebnistiefe, der dazu führt, dass Interpreten dieser Musik immer wieder für lange Schlangen an den Kassen sorgen, während die wirklich interessanten Acts vor nicht ganz so zahlreichem Publikum spielen müssen.
Thema dieser Tour ist "Wir sind die Flut". Reincke betrachtet dieses als einen hymnischen Aufruf zu mehr Lebendigkeit und als eine reinigende Kraft.
Beenden möchte ich die Besprechung mit der Aussage seines ersten Songs des Abends, denn dieses gilt mit Sicherheit auch für ihn selbst: "Niemand kommt so selten vor"!
Im Übrigen geht noch ein Dank an Reent Fröhlich vom Pumpwerk-Team für die problemlose Akkreditierung.
Line-up Michy Reincke:
Michy Reincke (vocals, acoustic guitars, harmonica, "drum-computer")
Stephan Gade (acoustic guitar)
Special guest (harmonica)
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