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Midnight To Six Man – Zum Tod von Phil May – Nachruf

Leah Kunkel am 26. November 2024 verstorben

Es sind die unerbittlichen Mühlen der Zeit, die in diesen Jahren immer rasanter mahlen und einen um den anderen der Ur-Väter der britischen und amerikanischen Rock-Musik (als Oberbegriff) mit schöner Regelmäßigkeit ins Jenseits befördern. Am 15. Mai 2020 hat es nun im Alter von 75 Jahren auch Phil May, den Sänger und Frontmann der englischen Rhythm’n’Blues- und Rock-Band The Pretty Things erwischt. Da die Vita des Frontmanns immer ganz eng mit der seiner 'Schönen Dinge' bzw. 'Hübschen' verbunden war, werfen wir im Nachgang einfach nochmal einen Blick auf eben diese.

Die Band wurde 1963 von May sowie dem Gitarrist Dick Taylor gegründet und verschaffte sich in der Szene sehr schnell einen Namen als furiose Live-Combo, die andere Größen der damaligen Zeit auf der Bühne scheinbar ziemlich alt aussehen ließ. Mit den Singles "Rosalyn", "Don’t Bring Me Down" und "Honey I Need" wurden auch die ersten Single-Hits eingefahren und die Briten hatten auch einen Auftritt im Beat Club von Radio Bremen. Leider blieb dies aber nicht so und mit (von der Plattenfirma forcierten) psychedelischen Sounds auf dem dritten Album, "Emotions" (1967) wurden auch noch viele Fans der ersten Stunde vergrault. 1968 erschien mit S.F. Sorrow eine Rock-Oper, über die sich die Experten bis heute streiten, ob sie nicht doch vor The Who und deren Doppelalbum Tommy die allererste überhaupt war. Fakt ist, dass sie verkaufstechnisch nicht einmal ansatzweise mithalten konnte. Enttäuscht und desillusioniert verließ Dick Taylor im Anschluss die Band.

Im Jahr 1970 erschien das von der Kritik hochgelobte "Parachute", das sich aber erneut mehr schlecht als recht verkaufte und als das 1972er "Freeway Madness" ebenfalls floppte, waren die Pretty Things erstmal Geschichte. Allerdings kam dann kein Geringerer als Jimmy Page auf die Jungs zu und bot ihnen einen Vertrag für das frisch gegründete Label Swan Song an. Die Band war wieder da und brachte 1974 mit "Silk Torpedo" eine absolute Hammerscheibe an den Start. Erneut gab und gibt es bis heute Fans, die dieses Album aufgrund seiner musikalischen Neuorientierung ablehnen, aber wenn man sich von allem anderen Ballast befreit und die Scheibe alleine für sich bewertet, hat man es schlicht und ergreifend mit einem sehr guten Album zu tun. Eines, das sich zwar auch nicht über die Maßen verkaufte, der Band aber 1974/75 immerhin eine erste US-Tour ermöglichte. Während den Aufnahmen zum Nachfolger "Savage Eye" kam es dann zu Streitereien innerhalb der Gruppe, was schließlich dazu führte, dass die anderen Musiker Phil May, das letzte Original-Mitglied, feuerten. Um anschließend dann selbst sang- und klanglos unterzugehen.

Der gute Phil wurde dann von der Combo Fallen Angels (mit durchaus bekannten Musikern) als Sänger für deren Debütalbum angeheuert. Aber die Zeiten waren wild, ungezügelt und weder frei von übermäßigem Alkohol-, noch von Drogenkonsum. Die (offensichtlich sehr treffend benannte) Band war bereits am Ende, als die Platte erst zu zwei Dritteln im Kasten war. Mr. May hatte allerdings überhaupt keinen Bock darauf, diese Geschichte im Sande verlaufen zu lassen und heuerte auf eigene Faust neue Musiker an um der Nachwelt das zu hinterlassen, was wir heute als sein einziges Soloalbum kennen, nämlich "Fallen Angels". Allerdings war kein Label im Business sonderlich daran interessiert (klar, Punk Rock war der Sound dieser Ära) und das Ende vom Lied war, dass die Scheibe 1978 gerade mal in den Niederlanden erschien.

Nach einem letzten Pretty Things-Hurra in Form von "Cross Talk" (1980, mit fast allen Original-Mitgliedern), das zwar richtig gute Kritiken bekam, aber – und wer bis hierhin gelesen hat, wird es bereits erahnen – ebenfalls weit hinter den erwarteten Verkaufszahlen zurückblieb, gab es immer wieder Phasen, als Phil May und Dick Taylor die Band mit wechselnden Begleitmusikern für einzelne Auftritte oder Touren reanimierten. Was wenigstens ein bisschen Kohle reinbrachte, aber große Sprünge zu erwarten, hatten sich die beiden mittlerweile abgeschminkt. 1999 erschien "Rage Before Beauty", gefolgt von dem 2007er Balboa Island und schließlich – als Schwanengesang – 2015 noch The Sweet Pretty Things (Are In Bed Now, Of Course). Die Band war bis zum Schluss auf Tour und die beiden Gründer mit den Jahren zwar doch deutlich ruhiger geworden, aber immer noch sehr gern gesehen. Als Tipp will ich hier auch noch die Alben erwähnen, die die Engländer Ende der Sechziger (aus rechtlichen Gründen) unter dem Namen Electric Banana veröffentlichten. Ebenfalls sehr starke Scheiben, die teilweise als Soundtracks für Filme genutzt wurden.

Phil May galt in den frühen bis Mittsechzigern als der Mann mit den längsten Haaren auf der ganzen Welt, naja zumindest in der Musik-Szene, was ihn alleine schon als Reizfigur für die damalige Gesellschaft qualifizierte. Und die Pretty Things blieben irgendwie immer nur ein Geheimtipp, obwohl sie mit ein bisschen mehr Glück und geschäftlichem Geschick ganz locker in die Ruhmeshalle der sogenannten 'Großen Fünf' der britischen Rockmusik der sechziger Jahre (The Beatles, The Rolling Stones, The Who, The Kinks und The Small Faces) reingepasst hätten. Aber selbst wenn man sich nicht mal ein Pint Bitter dafür kaufen kann, so kann man aber wenigstens ein bisschen stolz darauf sein, als Geheimtipp und ewig unterbewertet zu gelten, aber trotzdem eine beinharte Fan-Gefolgschaft zu haben. Die Musik der Pretty Things spricht sowieso eine ganz eigene (und laute) Sprache, man muss sie nur entdecken (wollen).

Rest in peace, Phil, wir werden dich nicht vergessen.


Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
Über mich
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Mail: markus(at)rocktimes.de

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