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Mitch Ryder / Red Blood/White Mink – CD-Review

Mitch Ryder / Red Blood/White Mink

Es war früher Morgen am siebten Oktober 1979, irgendwo in einem Essener Hotel. Ein sichtlich verstörter und noch lange nicht nüchterner William Levise saß in der Lobby und fragte irritiert seinen Manager: »Scheiße, hab ich vielleicht übertrieben?«
Der Manager antwortete nicht und war statt dessen dem Aufschlitzen seiner Pulsadern nahe.
Es war das Ende der fünften Rocknacht und Mr. Levise alias Mitch Ryder hatte sein Konzert reichlich alkoholgeschwängert absolviert und für einige Missstimmung in der Audience gesorgt.

Nach seiner Zeit mit den Detroit Wheels (von denen John Badanjak an den Drums hier mit an Bord ist) war es still geworden um den kleinen Mann aus der Motor City, der an diesem Abend sein Comeback geben wollte.

In den frühen Morgenstunden dieses Tages im Jahr 1979 wussten weder Musiker noch Manager, dass soeben eine Art Wiedererweckung stattgefunden hatte. Im Suff traf Mitch mit seinen schrägen Ansagen und provozierenden Sprüchen vielleicht nicht unbedingt den Nerv des Publikums, seine unglaubliche Musik mit einer begnadeten Band hingegen traf mitten ins Herz.
Fortan war Mitch Ryder wieder im Saft und steht bis heute für die wohl konsequenteste und härteste Fortführung alter Traditionen. Die kann hier nur heißen: Rock’n’Roll!

Dies ist ein weiterer Beitrag zur Corona-Krise, in der ich meine liebsten Live-Scheiben wieder entdeckt habe und sie gerne mit Euch teilen möchte, weil sie bislang in unserem Archiv nicht enthalten waren.

Der provozierende, aber in jeder Beziehung geniale Auftritt im Rockpalast hat Mitch Ryder bis heute in der Oberklasse der traditionellen Rocker spielen lassen, einundvierzig Jahre ist das nun her.

Doch Mitch rockte vor langer Zeit noch einmal legendär in Deutschland, jenseits der Grenze, die ein Jahr später für alle Zeiten von den Karten verschwinden sollte. Und er spielte mitten im Herzen der komischen Republik in ihrem komischen Palast, der längst den Baggern und dem Zahn der Zeit seinen Platz opfern musste. Und dort, inmitten von 'Ossis', die vielleicht den Rock’n’Roll noch mehr geliebt haben als wir, weil sie nur so wenig davon bekommen konnten – genau dort spielte Mitch Ryder sein vielleicht bestes Live-Konzert aller Zeiten. Und weil er offenkundig eine Beziehung zu diesen Menschen aufbaute, entging ihm auch nicht, dass es in der sogenannten Zone eine Band gab, die schon seit vielen Jahren mit hinreißender Leidenschaft seine Songs spielte – Engerling. Sie sollte in Zukunft die hiesige Begleitband des Mitch Ryder werden.

Weitestgehend war es hier und jetzt aber die Truppe, die damals schon den Rockpalast gerockt hatte, wo Mitch vor allem auf seine beiden Saiten-Zauberer Joe Gutc und Robert Gillespie vertrauen konnte. Damals rockten sie den Rockpalast, heute den Palast der Republik. Es war laut, es war hart, es war voller Adrenalin. Damals und heute.
»Ain’t nobody white can sing the blues…« heißt es zum Ende des Konzerts und Mitch Ryder ist der beste Beleg dafür, dass diese Aussage falsch ist.

Was wir auf diesem Album bekommen ist pure Energie. Und wir erleben einige Songs in der jeweils besten Version, die diese Band jemals performt hat. Respekt!
Zu Beginn dominieren zwei fantastische Cover-Versionen, die so oder so ihres gleichen suchen, "Rock’n’Roll" von The Velvet Underground und "Gimme Shelter" von den Stones. Geniale Versionen voller Energie und kraftstrotzender Dynamik, aber dann packt Mitch seine eigene Tupperdose aus.

"War" ist schon ein Erlebnis für sich, treibender Rock mit allen klassischen Attitüden aus geilem Gesang, wilden Gitarren und vorwärts orientiertem Krawall. Aber dann kommt "Freezin' In Hell" und der Song wird seinem Titel mehr als gerecht. Das relaxt bluesige Intro groovt uns ein, die Gitarren dehnen und strecken uns im Bewusstsein, immer die wichtigsten Töne weg zu lassen. So funktioniert der Blues, so funktioniert auch der Song. Eine mystische Atmosphäre liegt darüber, schon bevor Mitch das Wort ergreift. Die Nummer bleibt in diesem Modus, bis Mitch in einem ekstatischen Geschrei das eskalierende Solo heraufbeschwört. Und dann geht es ab. Wah Wah-unterstützte Meditationen brechen in einer einzigen Eruption heraus, Mitch setzt seine unglaubliche Röhre dagegen. So geil.

Und wie sich dann aus "Bang, Bang" das Keyboard für "Red Scared Eyes" entwickelt, ist fast ein wenig legendär, denn wenn die Gitarren aufdrehen, entwickelt sich ein fließend rockendes Inferno wie aus den Tiefen unserer Emotionen. Der lässige Rhythmus hält uns alle im Zaum und macht gespannt auf das, was kommt. Mitch hält die Spannung spielend durch seinen mitreißenden Gesang hoch, doch alles wartet darauf, dass sich die Gitarren endlich entladen dürfen. Und das tun sie. Episch, treibend und voller Energie kulminieren wir zweimal in ein rockiges Nirvana.

Am Ende groovt uns das coole und bereits zitierte "Ain’t Nobody White" mit seinem mitreißenden Soul in eine entspannt ekstatische Liegewiese, let’s dance, baby. Wir befinden uns auf der Zielgeraden. Doch die besinnliche Hymne an das Publikum mit der Textzeile »when the bombs stop falling on Berlin«, ist eine abschließende Liebeserklärung an die Menschen und vermutlich weit ehrlicher gemeint als das »ick bin ein Berliner« eines früheren Gastes. Dieser sanfte Ausklang mit einem hinreißend sensiblen Mitch, nur über Billys spärlichem Keyboard, ist so ganz anders als das restliche, energiegeladene Konzert – der Mann kann nicht nur Krawall machen, er beherrscht alle Töne auf der Klaviatur und müsste aus meiner Sicht auch in den Chef-Etagen der Großverdiener unserer Helden einen Platz beziehen. Aber ich glaube, das wäre ihm scheißegal!

Diese Mitch Ryder-Live-Scheibe ist ein Elektrizitätswerk, sie ist eine Quelle unglaublicher Power und mächtiger Musik. Und sie ist purer R’n’R. Knallhart, kompromisslos und kompakt, aber mit der Leidenschaft eines Künstlers, der sich immer in den Dienst seiner Sache gestellt hat, selbst wenn er stockbesoffen war. Wenn ich einst in die ewigen Jagdgründe eingehen werde, dann wird die Musik von Mitch Ryder bei mir sein. Geiler kann man Rockmusik nicht rüber bringen.


Line-up Mitch Ryder:

Mitch Ryder (vocals)
Robert Gillespie (guitar)
Joe Gutc (guitar)
Mark Gougeon (bass)
Billy Csernits (keyboards)
John Badanjak (drums)

Tracklist "Red Blood, White Mink":

  1. Little Latin Lupe Lu
  2. Rock’n’Roll
  3. Heart Of Stone
  4. Gimme Shelter
  5. War
  6. Freezin' In Hell
  7. Bang Bang
  8. Red Scar Eyes
  9. Where’s The Next One Coming From
  10. I Feel Good
  11. Bridge Of Sympathy
  12. Big Time
  13. Ain’t Nobody White
  14. Berlin

Gesamtspielzeit: 75:00, Erscheinungsjahr: 1988

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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3 Kommentare

  1. Steffen Nitzsche

    Engerling ist die ideale Begleitband für Mitch Ryder im "Alter". Das ist musikalisch ganz gehobener Anspruch. Die besten Jahre sind leider vorbei, auch bei Mitch. Aber so vor 10 – 20 Jahren war jedes Konzert erste Sahne was ich erlebt habe. "Engerling typisch schlaffe Ossi-Deutschrocker" ? das lasse ich mal unkommentiert. Macht mich fast….

  2. Dr. Tuin

    Hmm, für jemanden, der meint, sich mit Mitch Ryder auszukennen, gibt es hier doch ein paar dicke Fehler….
    1. Beim Rockpalast Auftritt spielten Joe Gutc und Rick Schein die Gitarren, NICHT Robert Gillespie.
    2. Joe Badanjak ist zwar ganz ok, aber Owen Wilson von der Band des Rockpalast-Auftritts war um Klassen besser. Erst seine unnachamlichen Synkopen machten Ryders Musik zwische 78 und 81 so treibend und dynamisch (besonders gut zu hören auf Live Talkies).
    3. Der Song heisst Red Scar Eyes (nicht Red Scared Eyes, lol!).
    4. Engerling sind typische schlaffe Deutschrocker (Ossi-Rocker?) und können Ryders Band der späten 70er nicht annähernd das Wasser reichen.

    1. Manni

      Immer wenn jemand sagt, dass ein Musiker „um Klassen besser“ war, als ein anderer, ist mir das verdächtig. Wer ist in der Position, dies allgemein zu bestimmen? Du??

      Du betreibst sinnfreie Erbsenzählerei, wenn du den Schreibfehler im Text „Scared“ (unten bei der Tracklist ist es ja richtig aufgeführt) monierst.

      Engerling waren/sind eine Blues Rock Band und die Mitch Ryder Band der späten 70er war eine Rock ‘n Roll Band. Das sind zwei unterschiedliche Dinge, das sollte eigentlich offensichtlich sein. Ich selbst finde gerade die Live Platten von Mitch Ryder mit Engerling (The Old Man Springs A Boner und die 2008er aus der Air Harmonie in Bonn) deutlich anspruchsvoller. Es liegt also wie immer im Ohr des Zuhörers. Als sicher darf gelten, dass Mitch Ryder aus gutem Grund deine Meinung nicht teilen wird. 😉

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