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Monocluster / Ocean – CD-Review

Monocluster / Ocean

Alles Leben auf der Erde stammt aus dem Ozean, das gilt als wissenschaftlich gesichert. Der Ozean, die Wiege der Menschheit, der Ort, von dem wir stammen – und wenn wir den Gedanken von Monocluster durch das Album "Ocean" folgen, dann gehen wir irgendwann dort auch unter.

»Stoner und Psychedelic Death Blues aus Köln.« Kurz und schmissig präsentiert das powervolle Trio von Monocluster auf seiner Facebookseite das eigene Konzept und legt gleich in den Referenzen ein paar sehr lieb gewonnene Bands wie Colour Haze, Kyuss oder Sungrazer nach. Eigentlich allein schon ein guter Grund um zuzugreifen, haben sie mich beim Anspielen der ersten Töne des aktuellen Albums "Ocean" sofort an der Angel. Eigentlich peinlich, dass ich diese Truppe bislang noch nicht realisiert hatte, wo sie doch aus meinem fast schon heimischen Orbit entstammen. Oder eben dem Ozean vor der Tür. Die Stoner-Welt ist halt ungeheuer kreativ und weit gestreut und lässt immer wieder ganz erstaunliche Pilze in die weite Welt der gepflegten Rockmusik sprießen, wundersam verbunden in einem wuchernden Wurzelwerk aus besten traditionellen Essenzen, jugendlichem Freigeist und betörendem Wahnsinn.

Doch Vorsicht, wer sich richtig auf das Album einlässt und neben der (zugegebenermaßen sehr geilen) Musik auch mit den faszinierenden Texten auseinandersetzt, wird sich völlig unvermittelt in einem philosophischen Themenkreis wiederfinden, der sowohl die Natur des Menschen an sich als auch seine kriegerische Mentalität und damit irgendwie auch Unbelehrbarkeit behandelt. Wow, das hatte ich nicht erwartet. So wird es nicht ganz einfach, in einer Review beiden Aspekten gleich gerecht zu werden. Ich möchte aber unbedingt vorausschicken, dass die Gedankenanstöße zwar ausdrücklich und sicher gewollt von der Band ausgehen, zeitgeschichtliche Einordnungen und Schlussfolgerungen aber nichts anderes als eine mögliche Interpretation darstellen, die sich nicht zwangsläufig mit den Auffassungen der Musiker decken müssen.

Bereits im langen Opener "Ocean In Our Bones", einer schönen Metapher auf unser Erbgut, was sich in der Folge als gar nicht so toll erweisen wird, stoßen wir in einem lateinischen Zitat aus vorchristlicher Zeit auf den britischen Philosophen und Staatstheoretiker Thomas Hobbes: »Homo lupus lupus homini«, eigentlich einer Komödie entnommen, gilt bei Hobbes als eine Beschreibung kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Staaten. Und sein Hauptwerk hieß "Leviathan", genau wie der zweite Song auf dem Album, zu dem wir noch kommen werden.

Später stoßen wir auf eine weitere Quelle, die auf Hobbes zurückgeht:»Contra Omnes Bellum Omnium«, ein sinngemäßes Zitat des Philosophen, der mit dieser Aussage (Krieg aller gegen alle) aus seiner Sicht das Wesen der Menschheit beschrieb – und zwar schon 1642. Wenn ich mir die Entwicklung unserer Gesellschaft hier in West-Europa anschaue, dann nimmt diese Weissagung immer realistischere Züge an. Schon eine Weile hat man das ungute Gefühl, die Menschen werden mehr und mehr gegeneinander aufgehetzt. Arm gegen Reich, Migranten gegen Einheimische, rechts gegen links, Dortmund gegen Bayern. Hauptsache, sie hauen sich gegenseitig auf die Omme, das mag sie, unsere feine Elite. Und die Medien dirigieren dazu, sie trommeln, sie blöken und sie belehren. Eigentlich nicht neu, wir kennen es von Goebbels über von Schnitzler zu den Erklär-Bären der Neuzeit. »From the streetfights to the war of drones….« Es berührt mich sehr, dass eine junge deutsche Rockband fähig ist, uns auf diese Weise die nahende Götterdämmerung vor Augen zu führen.

Der geile Aufbau gleich in der ersten Nummer "Ocean In Our Bones" lässt in den treibenden Licks im Mittelteil ein wenig Verwandtschaft mit lieben Freunden aus Rotterdam und Umgebung erkennen, The Machine grüßen freundschaftlich. Man bewegt sich musikalisch auf sicherem Terrain bekannter Mittäter.

Dass die Band auf "Ocean" durchgängig in ihrer eigenen Bildsprache bleibt, gefällt mir sehr gut. "Leviathan", nicht nur ein Werk des zitierten Theoretikers, sondern vor allem ein biblisches Seeungeheuer, welches man gemäß Wiki in der Neuzeit auch als Metapher auf die Finanzmärkte oder Naturkatastrophen wie Tsunamis oder Vulkanausbrüche ansieht. Die Macht und Niedertracht der Bänker hat mich ja schon in vielen Reviews zu dunklen Ausblicken angetrieben. Leider. Wie viele moderne Kriege mögen von den Banken ausgegangen sein? Dass beispielsweise Hitler damals ganz massiv Geld von amerikanischen Großbanken bekommen hat, wird in hiesigen Schulen nicht beleuchtet, was sehr schade ist, denn wenn man Ursachen und Wirkungen erklären möchte, muss man in aller Regel nur der Spur des Geldes folgen.

Musikalisch werden alle Wünsche befriedigt, die der Stoner-Freund gemeinhin sein eigen nennt. Hypnotisch schöne, mäandernde Gitarrenlinien, meditative Momente von transzendentaler Ausschweifung, die sich mit brachialen Riffs und krachenden Bässen kreuzen. Ja, der Bezug zu Colour Haze ist hinsichtlich solcher Ausprägungen völlig gerechtfertigt, insbesondere in "Guns And Greed" und "Home" phrasiert Jan recht nah bei Stefan Koglek, während sich insgesamt die Hooklines aus meiner Sicht ein wenig näher bei der Mutter unser aller Kultur bewegen, dem ewigen Blues, in diesem Fall dem Psychedelic-Death Blues, wobei der düstere Gesamt-Duktus dem 'tödlichen' Aspekt in dieser gezielt  provozierenden Bezeichnung durchaus Rechnung trägt.
Verbunden mit den nicht minder bedrohlichen Szenarien und Erkenntnissen, die die allesamt langen und vor Improvisation strotzenden Songs auch inhaltlich aufwarten, ergibt das eine Mischung, wie ich sie im Stoner bislang noch nicht in dieser Intensität mitbekommen habe. Ich bin bereits jetzt schon tief beeindruckt.

"Guns And Greed", also Waffen und Gier verstärkt massiv die angerissenen Ideen und man mag sich an den großartig bösen Film "Lord Of Wars" mit Nicolas Cage erinnern, in der Handlung übrigens genial begleitet von Jared Leto, der wiederum selbst nicht nur Oscar-Preisträger, sondern auch Sänger und Gitarrist von Thirty Seconds To Mars ist. So oder so, Rockmusik nicht nur als Selbstzweck, sondern als Vermittler von Botschaften. Bärenstark, meine Herren, und ganz dezent erinnere ich mich an einen Moment, der sich auch in Köln ergab. Damals, in 2015, als Warren Haynes so verletzlich und für mich zutiefst bewegend Bob Dylans "Masters Of War" vortrug. Eine universelle und zeitlose Anklage gegen alle Kriegstreiber, von denen gerade heute wieder allzu viele auf einer ächzenden Erde ihr schmieriges Spiel spielen. Syrien, Ukraine, als nächstes träumen sie vom Iran und von Russland. Die Leitmedien beginnen schon den Frontalangriff auf die ’neue Bestie' in Persien. Ich fasse es einfach nicht, wie diese servilen Vasallen auf Knopfdruck reagieren und Männchen machen.

Als Trump sein »America First« formulierte, da echauffierten sich unsere Empörungs- und Betroffenheitsapostel in der Mattscheibe mit wild wirbelnden Zeigefingern bis an den Rand der Schnappatmung.
Nicht, dass ich diesem überdrehten Monster-Bänker mit dem Finger an sehr gefährlichen Knöpfen irgendwelche Sympathien entgegenbringe, doch anstatt sich an selbstgefälliger Belehrung zu ergötzen hätten unsere Weltverbesserer besser einmal beim amerikanischen Chefstrategen Zbigniew Brzezinski nachlesen sollen, was der uns bereits vor einundzwanzig Jahren völlig ohne Skrupel dezidiert in seinem Buch erklärt hat. Begriffe wie Befreiung oder Demokratisierung, mit denen man uns medial erschlägt, wenn der große Bruder wieder mal in ein fremdes Land einfällt, verwendet der erst gar nicht. Der sagt sinngemäß: Wir nehmen uns, was wir brauchen, um die Nummer eins zu sein. Warum? Weil wir es können und es wollen. "Die einzige Weltmacht" heißt das Teil, es lohnt sich zu lesen, auch wenn einem dabei der Atem gefriert. Wer’s getan hat, wird künftig beim ersten Anblick des Klebers Claus den Fernseher ausschalten.
Am Ende werden es wieder Dylans "Masters Of War" sein, die sich die goldene Nase daran verdienen, wenn wir nicht alsbald von unserem selbstreferenziellen Lemming-Dasein erwachen.

Und dann vermittelt "A Place Beyond" plötzlich und aus dem bisherigen Kontext völlig unerwartet Hoffnung auf den Platz, wo Milch und Honig fließt. Gibt es Hoffnung auf Erlösung? »There is a place where we will go, we will go.« Vielleicht ein Aufruf zu mehr Spiritualität, die unsere entfremdete Gesellschaft wahrlich gut gebrauchen könnte. Ein Loblied auf die Kreativität des menschlichen Geistes, sich den Sinn seines Daseins zu erschließen?

Musikalisch entwickelt sich diese Vision aus einem zunächst nachdenklich, düsteren Auftakt bis hin in schwere Riffs – nach dem ersten Viertel gleiten wir jedoch hinüber in eine doomige Meditation, stark geprägt von der Rhythmusfraktion und plötzlich immer verträumter und melancholischer kreiselnden repetitiven Gitarrenklängen. Fast verletzlich klingt die Stimme über den Riffs:»We will go, we will go….« Gänsehaut kommt auf und mittendrin ein wenig von der Stimmung, die Been Obscene einst in ihrem Meisterwerk "Demons" kreierten. Auch thematisch passt dieser Übersong sicher ganz gut zum hier vorliegenden Album.

Und als ob ich geahnt hätte, der letztgenannte Bezug wird in der abschließenden Nummer "Home" weiter kultiviert. Sehr schön, wie sich Monocluster auch hier wieder viel Zeit nehmen, um die eingeschlagene Richtung innerhalb eines Songs ausführlich zu entwickeln. Die Steigerung aus dem Grundthema verläuft dezent, aber ständig spürbar. Abermals treffen wir auf Colour Haze-befruchtete Licks, der Song bleibt aber intensiv bei sich selbst und schert nicht aus in wilde Solofahrten. Textlich werden uns einige unserer markantesten menschlichen Unarten präsentiert, gipfelnd in den gespenstischen Zeilen:

»There will be war for a while.
Children will cry for a while.
Houses will burn for a while.
We will be dead for a while.«

Ich weiß nicht, ob man dieses beängstigende Szenario besser und eindrucksvoller darstellen kann, mir läuft es jedenfalls eiskalt den Rücken runter. Insbesondere, wenn die Band jene legendäre Rede von Dwight D. Eisenhower in die dunkel, doomig driftende Improvisation einbaut. Eine Textpassage, in der der damals scheidende Präsident vor dem Einfluss des militärisch-industriellen Komplexes warnte. Wahre Worte, schreit doch die amerikanische Rüstungs-Lobby seit Jahren mit aller Macht nach einem großen kalkulierbaren Krieg. Ich bin sicher, der Iran ist der nächste, den es treffen wird, doch das liebste Schlachtfeld dieser Interessengruppen sollte uns sorgen, denn das sind unsere Häuser, Gärten, Wälder, Seen. Eurasische Auseinandersetzungen sind die besten. Ein verdampfter Wirtschaftskonkurrent und unermessliche Rohstoffe im Osten, der süße Traum machtgeiler gieriger Geostrategen. Die Amerikaner nennen Bezüge auf diesen Text natürlich eine Verschwörungstheorie, was bei uns ungefähr gleichzusetzen ist mit der allzeit bewährten Nazi-Keule. Mehr fällt ihnen dazu nicht ein, diesseits und jenseits des "Oceans".

Egal, ob man sich diesem Album rein musikalisch nähert, um sich einfach nur die volle psychedelische Dröhnung zu geben, oder aber auch mit den überaus interessanten philosophischen Betrachtungen grundsätzlich und den interpretierbaren Anspielungen auf zeitgeschichtliche Entwicklungen und Geschehnisse im Speziellen auseinandersetzen mag, man wird mit "Ocean" bestens bedient und am Ende einer knappen Stunde feststellen, dass Monocluster ein ganz starkes Ausrufungszeichen in die Welt des Stoner und der heimischen Rockmusik gesetzt haben. Für mich ist der gedankliche Ansatz hinter der Platte unbezahlbar, vermittelt er uns doch die – wenngleich sehr trübselige – Erkenntnis, dass der Mensch anscheinend nicht fähig ist zu lernen. Eine These, die ich jederzeit unterschreiben würde.

Mensch geht aus dem Ozean hervor, mit all seinen Anlagen und Möglichkeiten, aber auch behaftet mit den Erbsünden eigenen Strebens, vergeht sich an der Natur und seinesgleichen und am Ende fällt er dahin zurück, wo er hergekommen ist – in den Ozean. Noch bevor mir die Gleichheit des Album-Titels in den Sinn kam, fiel mir spontan Eloys Prolog zu "Poseidon’s Creation" ein:

»Worlds atomize and oceans evaporate in internity!
Man erects out of the darkness,
laughs into the glimmering light and disappears.«

So beginnt das legendäre Live-Album und so steht es auf der Platte "Ocean". Nein, ich weiß, Eloy haben nichts mit dieser Art Musik zu tun, aber auch Jürgen Rosenthal, der damals die Texte schrieb und für das Konzept wohl hauptverantwortlich war, wollte über die Analogie zum Mythos Atlantis auf die bedrohlichen neuzeitlichen Szenarien für die Menschheit hinweisen. 1977 tobte der kalte Krieg, der Nato-Doppelbeschluss stand kurz bevor und warf fast schon die Schatten von Pershing und Cruise Missile auf Zentral-Europa. Besser geworden ist es bis heute nicht.
Gibt es einen deutlicheren Beleg dafür, dass die Menschheit nicht begreifen mag, wenn 42 Jahre später wieder eine deutsche Rockband (und ein inzwischen zynisch gewordener alter Rezensent) von den gleichen Ängsten geplagt werden?

»And we are becoming aware of falling. Falling into the ocean again.«
Es liegt an uns, diesen Flow zu durchbrechen, bevor es zu spät ist. Sehr viel Zeit bleibt wohl nicht mehr.

Yeah, ein derart aufrichtiges und wachrüttelndes Statement habe ich in der Rockmusik lange nicht mehr vernommen. Mein tiefer Respekt für diese junge Formation! Monocluster regen uns an, über uns selbst nachzudenken, uns und unsere gesamte Art. Wahrheit tut oft weh, aber es wäre gut uns ihr zu stellen. "Ocean" spornt dazu an und wird schon allein daher einen Ehrenplatz in meiner Plattensammlung einnehmen. Ach ja, und die Musik macht sehr viel mehr Freude als das, wovon sie handelt und wovor sie warnt.


Line-up Monocluster:

Chris (bass, vocals)
Ewald (drums)
Jan (guitar)

Tracklist "Ocean":

  1. Ocean In Our Bones
  2. Leviathan
  3. Guns And Greed
  4. A Place Beyond
  5. Home

Gesamtspielzeit: 56:38, Erscheinungsjahr: 2019

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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1 Kommentar

  1. Jan

    Danke für diese schöne Review! Hat uns sehr gefreut! Grüße aus Köln von Monocluster 🙂

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