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Morning Glory / Morning Glory – CD-Review

Morning Glory / Morning Glory

Dieses Album ist eines, dem ich lange nachjagte. Am 12.März 1973 im Marlowe Theatre in Canterbury aufgenommen, erschien es unter der Nummer ILPS 9237 seinerzeit auf Island Records. Oft wurde die Platte in Verbindung mit John Surman, als eine dessen Soloplatten, gebracht. Tatsächlich ist er einer jener Stars, die das Line-up bereichern, und das Projekt nannte sich letztlich Morning Glory. Korrekterweise erscheint es dann auch auf Surman’s Webseite unter der Rubrik 'Other Albums featuring John Surman'.

Doch wie kam es zu diesem zwingenden Wunsch, diese Platte zu besitzen? Nun, allesamt 'Einzelfaktoren'. Surman hatte seinerzeit die Soloplatte "Westering Home" (1972) veröffentlicht, und 1971 war es "Where Fortune Smiles", das mich in den Bann zog , nun, bei dieser Besetzung sicher nicht ungewöhnlich: John McLaughlin, Dave Holland, John Surman, Stu Martin, Karl Berger! Schlagzeuger John Marshall spielte damals bei Soft Machine ("Six", "Seven") und war bei mir im Fokus. Dann – klar – Terje Rypdal, der mich damals ohnehin bereits gepackt hatte, kennen gelernt durch die ersten beiden Platten von Jan Garbarek auf ECM, und die dort auch erschienene Soloplatte von Terje. (1971). Ehrlich gesagt, die Übrigen, Chris Laurence, John Taylor und Malcolm Griffiths, waren mir damals noch nicht so präsent, doch die drei Erstgenannten verliehen mir der Band Morning Glory bereits den Status einer Supergroup. Insofern also – Neugierde pur!

Da mein Interesse leider erst etwa ein Jahr später erweckt wurde, war es so, dass ich der LP nirgends habhaft werden konnte, offensichtlich war sie rasch wieder verschwunden. Nun ja, war ja irgendwie auch ’schwerer Stoff'! Und Viele mögen vielleicht auch abgeschreckt gewesen sein von der Produktion "Where Fortune Smiles" und davor liegenden Veröffentlichungen, wo Surman selbst recht frei agierte.

Wie dem auch sei, diese Musik war letztlich doch anders, Surman ließ das für ihn typische Bariton-Saxofon zu Hause und spielte nun Sopran-Saxofon und Bassklarinette. Die Musik hatte sich der Fusion weiter geöffnet, und so flossen Erfahrungen der grundsätzlichen Musik von "Bitches Brew" von Miles Davis und auch von Soft Machine zusammen mit jenen Klängen, wie sie bekannt waren von der Urformation von Weather Report. So war die Musik dieser Platte nicht mehr der reine Jazz, wie es vielleicht Einige erwartet hätten. Doch war die Einbeziehung von Rock noch nicht so stark ausgeprägt, dass sich Freunde des Jazz Rocks, wie er damals die Szene erobert hatte durch Bands wie Return To Forever oder dem Mahavishnu Orchestra, der Band Morning Glory mit fliegenden Fahnen zugewandt hätten. Denn zu sehr war die Musik noch in gewisser Weise mit avantgardistischen Zügen behaftet.

Dabei ist der "Iron Man" doch ein hervorragendes Beispiel dafür, wie individuell Jazz Rock eigentlich klingen konnte, ohne sich an den rasenden Zug der Entwicklung anzuhängen. Das rockende Fundament von John Marshall und der gleichzeitig wirkende elastische Bass von Chris Laurence verhalfen den Solisten zu einer Grundlage für deren Ausflüge in jazzige Improvisationsgefilde! Und dazwischen fetzte Rypdal mit seinem damals noch ganz anders geprägten und von Rockelementen bestimmten Sound mit teils splitternden Gitarrenelementen hinein, einige Passagen mögen auch an John McLaughlin erinnern. So ist der "Iron Man" sicher der Kernsong, und der längste, des Albums, einer, der die sonst gängigen Ausprägungen der Fusion-Bewegung in den Schatten stellte, dadurch, dass hier viel kompromissloser fusioniert wurde.

Neben dem modalen "Cloudless Sky" ist es "Norwegian Steel – Septimus", das viele Jazz-Rocker verschrecken mag, denn hier wird es wirklich freier im Ausdruck, und Rypdal hat hier einen großen Auftritt. Dahinter soliert Marshall ständig und hält die Musik dennoch am Boden. "Hinc Illae Lacrimae – For Us All (Hence These Tears)" blickt bereits in die Zukunft und man hört Ansätze dessen, was Surman später auf seinen vielen Soloproduktionen auf ECM-Records vorstellen sollte. Hier bricht sich eine gewisse Lyrik die Bahn und die Musik ist eher zart und behutsam in ihrem Vortrag, bis sich langsam die Intensität steigert und die Freiheit ihren Lauf nimmt, ab etwa Minute Fünf. Doch bereits etwa eine Minute später formiert man sich dann erneut zu dieser faszinierenden Fusion-Ausprägung, es rockt nun sogar kraftvoll.

Wollte man vergleichsweise Beispiele heranziehen, dann muss man unweigerlich solche Acts wie Ian Carr’s Nucleus, Centipede oder Soft Machine heranziehen, also, eine klare britisch ausgeprägte Variante des Jazz Rocks, aber oft genug mit Passagen einiger Songs des Pioniers Miles Davis.

Ach ja, ich schrieb mir das ja immer auf, wann ich eine LP erwarb, in diesem Fall musste ich doch tatsächlich bis Juni 1979 warten, bis ich sie kaufen konnte, und – sogar noch die Originalpressung, mit dem schönen Klappcover aus ganz dicker Pappe! Später wurde die viel gesuchte Platte dann endlich auch auf CD wiederveröffentlicht, das war 2016 von Fledg’ling Records.
Zum Abschluss noch der Rest der Linernotes, wo es heißt: »There are no fetters on MORNING GLORY’S music; it refuses to be categorized or tagged, the more easily to be dispended with as some element of this month’s fad. It is an aural experience which stays with you.« Mithin – ein (vergessener) Klassiker!


Line-up Morning Glory:

John Surman (soprano saxophone, bass clarinet, synthesizer)
Terje Rypdal (guitar)
John Taylor (piano, electric piano)
Chris Laurence (bass)
Malcolm Griffiths (trombone)
John Marshall (drums, percussion)

Tracklist "Morning Glory":

  1. Cloudless Sky (8:10)
  2. Iron Man (13:00)
  3. Norwegian Steel – Septimus (9:27)
  4. Hinc Illae Lacrimae – For Us All (Hence These Tears) (12:27)

Gesamtspielzeit: 43:22, Erscheinungsjahr: 1973 (CD 2016)

Über den Autor

Wolfgang Giese

Hauptgenres: Jazz, Blues, Country
Über mich: Althippie, vom Zahn der Zeit geprägt, offen für ALLE Musikstile
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Mail: wolfgang(at)rocktimes.de

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