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Mossadeq / Czech – CD-Review

Mossadeq / Czech

Clemens Pecher kommt aus Graz und ist Betreiber des Plattenlabels Grazil. In der Kurzform Cle Pecher ist er zudem Kopf, Körper und Seele des Projektes Mossadeq und schreibt über sein neues Werk: »Musikalisch spannt sich der Bogen von klassischem, psychedelisch angehauchtem Hard Rock über experimentelle EDM- und Dubeinflüsse bis hin zu sludgigen Instrumentaltracks«.
Nachdem ich mir das Album nun schon mehrmals angehört habe, kann ich vorab verraten, dass diese Charakterisierung der Musik dem Werk nur sehr vorsichtig annähernd entspricht. Eigentlich kann man für "Czech", so heißt das Album, gar keine Klassifizierung oder Schublade finden, aber das ist ja auch der Plan. Wie sagt Cle selbst: »Mossadeq will ohnehin die Menschen erreichen, die eine Offenheit gegenüber neuen musikalischen Zugängen und Interpretationen mitbringen…«. Ich gebe zu, dass mir solche Ansagen sehr gefallen, die Erforschung von Klangwelten jenseits unseres gewöhnlichen Universums hat mich von je her gefesselt und manchmal entdeckt man als Raumfahrer im rockenden Kosmos völlig neue Welten oder, wie Cle es sagt: »ein Trip, auf dem man neue Leute, Bilder, Gegenden und Stimmungen kennenlernt«.

"Czech" ist bereits die zweite Veröffentlichung von Mossadeq in diesem Jahr. "Hospital" erschien Anfang des Jahres und befasste sich mit einem Aufenthalt im Krankenhaus in der Zeit der Pandemie. Und das Mossadeq sich vor ernsthaften Themen und aktuellen Bezügen nicht scheut, werden uns auch die sechs neuen Songs auf dem vorliegenden Album vermitteln. Doch wenn ich beim 'tschechischen' Titel der Platte und dem Song "Václav " sogleich an den großen Václav Havel dachte, den Freund von Lou Reed, den Künstler, der seine Heimat einst in die Freiheit führte, liege ich total falsch. Es geht vielmehr um Václav Mrázek, einen tschechischen Serienmörder und der Song (wenn man das Stück Musik überhaupt so nennen darf) versteht sich als musikalische Verarbeitung eines Frauenmords. Starker Tobak und die verstörenden, doomigen Sludge-Klänge lassen ein Stück weit das Blut in den Adern gefrieren. Eine beängstigende Soundcollage mit abgehackten Riffs und eintöniger Synthie-Unterlegung, scheinbar ohne jede Fortbewegung – Percussion fehlt hier komplett.

Die ereilt uns sogleich in "The Nurse", garniert mit Noise- bzw Metal-befruchteten Riffs und kurzen Post Rock-Hooks. Psychedelisch schräger Gesang, versehen mit kurzen Grunz-Attacken scheinbar direkt aus der Hölle. Denn das Thema der Nummer ist wieder ein sehr morbides, es beschreibt die Taten der tschechische Krankenschwester Marie Fikáčková, die nach Angaben von Mossadeq einst zehn Neugeborene ermordete, weil sie deren Geschrei nicht ertragen konnte. Allmählich bekommt man Angst, demnächst mal wieder nach Prag zu reisen. Ich mag aber an dieser Stelle festhalten, dass ich mit einigen Tschechen befreundet bin, die allesamt noch niemanden um die Ecke gebracht haben und auch das Album verlässt jetzt diese düsteren Mörder-Szenarien und setzt mit "Škodub" dem tschechischen Muster-Auto ein wohlwollendes Denkmal. Der Sound bewegt sich dabei irgendwo zwischen tanzbarer Elektronik und Post Rock.

Dann krachen metallische Riffs und Lines, treffen auf wütend ausbrechenden Gesang. Gegrölte Hooklines zerlegen Männlichkeitswahn und Macho-Gehabe und geißeln es als das, was es ist. Ein Armutszeugnis falsch verstandenen Rollenverhaltens. Aber Cle Pecher scheint bei all den schwerwiegenden und oft verstörenden Themen auch Sinn für Humor zu entwickeln, hat anscheinend auch keine Hemmungen, die Liebe zu seiner Familie in seine Musik zu integrieren. "The Sisters" besteht nämlich in erster Linie aus einer Aufnahme, die seine beiden Töchter beim Spielen und Herumtollen im Tonstudio wiedergibt. »Nina, Julia, Papa«, hört man die Kinder rufen. Collagenartig werden die Sequenzen der Mädchen mit elektronischer Musik unterlegt, lässig treibend und unbeschwert wie das Spiel der Kinder. Solche Sounds finden eigentlich in meiner Musikwelt eines Altrockers gar nicht statt, aber hier und in dem Kontext rührt mich gerade dieser Song sehr an, sind doch gerade die Kinder die vermutlich am heftigsten getroffenen Opfer der Corona-Pandemie. Clemens gibt ihnen ein Forum, lässt sie teilhaben an seinem Werk und verschafft ihnen positive Erinnerungen für die Zukunft aus einer dunklen Zeit. Er verleiht ihnen Identität, er nimmt sie mit. Wie vielen Familien mag gerade das in den letzten Monaten so schwer geworden sein?

Das Album endet mit dem instrumentalen Titelstück, welches fast wie eine Klammer zum Opener wirkt, auch wenn sich hier aus einem klaren Rhythmus heraus die sludgigen Sounds entwickeln. Unbedingt erwähnen möchte ich die faszinierende Cover-Art mit dem Korpus Christi, der auf den traditionell dreieckig angeordneten Flächen der Nationalflagge Tschechiens scheinbar ein neues Kreuz gefunden zu haben scheint. Was mich maximal erschüttert ist der Umstand, dass die Darstellung des Jesus exakt dem Kruzifix entspricht, welches Jahrzehnte im Schlafzimmer meiner Eltern hing. Vermutlich einem berühmten Vorbild nachempfunden, welches mir nicht bekannt ist. Leider kann ich die Symbolik des Kreuzes in Verbindung mit dem Land Tschechien sowie die vermehrten Hinweise auf dramatische Tötungsdelikte nicht auflösen, wäre sicher mal sehr interessant, dieses Thema weiter zu vertiefen. Vielleicht bietet sich nach der Pandemie ja mal ein Live-Event dazu an, diesbezüglich anzudocken. Würde mich echt interessieren, woher diese Assoziationen stammen. Dann würde mich sicher auch interessieren, ob der Bandname jenem einstigen iranischen Staatschef zuzuordnen ist. Mit dessen Demissionierung hat die Destabilisierung des Orients und ein permanenter Unruheherd gegen den Weltfrieden einst begonnen, aber das ist ein ganz anderes Thema.

Unabhängig davon, nun, wo ich nach einigen weiteren Runden mit den Songs deutlich vertrauter geworden bin, kommt mir das Gesamtkonzept gar nicht mehr so fremd vor. Diese Soundscapes muss man sich erarbeiten, um die eigenartige Schönheit ihres Wesens zu begreifen. Aber genau das sind jene Momente, für die ich RockTimes küssen könnte. Diesen Trip hätte ich wahrscheinlich nicht erlebt, wenn ich nicht hier tätig wäre. Wer den Mut hat, verschiedene Einflüsse in ein Gesamtkonzept für sich als Hörer zuzulassen, der wird hier eine sehr zeitgemäße, aber völlig authentisch unverdorbene Sichtweise von Rockmusik erfahren. Das ist übrigens weit mehr als klassische Genre-Treue jemals vermitteln kann. Meist sehe ich für solche Projekte eher alte Stiefel wie mich als Zielgruppe, die im Herzen irgendwo immer noch ein wenig jung geblieben sind. Hier dürfte es gerne auch mal den gegenteiligen Typen ansprechen, nämlich den jungen und aufgeschlossenen Rocker, der sich ein wenig von der Gelassenheit und vielleicht altersbedingten Toleranz von uns alten Knackern angeeignet hat. All die werden hier Spaß haben auf ihrer ganz persönlichen Reise durch "Czech".


Line-up Mossadeq:

Cle Pecher (vocals, guitar, bass, drums, synths)
Michael Jud (vocals #4)
Nino Hutterer (guest vocals #2)
Nina & Julia Pecher (Vocals #5)

Tracklist "Czech":

  1. Václav
  2. The Nurse
  3. Škodub
  4. Knights In Shining Armor
  5. The Sisters
  6. Czech

Gesamtspielzeit: 23:13, Erscheinungsjahr: 2021

Über den Autor

Paul Pasternak

Hauptgenres: Psychedelic Rock, Stoner Rock, Blues Rock, Jam Rock, Progressive Rock, Classic Rock, Fusion

Über mich

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